Tichys Einblick
Auf Kurzum folgt eine Halbwahrheit

DER SPIEGEL Nr. 41 – Plasberg: Es ist nicht Aufgabe von Journalisten, Parteien kleinzuhalten

Besser als Frank Plasberg kann man den Spiegel im Spiegel selbst nicht ad absurdum führen. Genial. Genial einfach. Ja, da hätten dutzende Spiegel-Journalisten auch drauf kommen können. Wollten sie aber nicht.

Zugegeben, es könnte einer individuellen Lesart geschuldet sein, aber im Hause des Rezensenten gibt es ein unausgesprochenes Battle um die Erstleserschaft des Spiegels. Das Blatt aus Hamburg verliert aus der haptischen Perspektive zuverlässig schon nach dem ersten Durchlesen seine Spannkraft. Der Zweitleser hält eine deutlich wabbligere Ausgabe in den Händen. In den Wartezimmern von Arztpraxen ist das noch einmal etwas anderes. Dieser blaue Umschlag vom Lesezirkel wirkt wunder.

Nun haben die Blattmacher in den Wochen zuvor eine doppelte Last stemmen müssen: Zur üblichen kam noch eine Ausgabe 39a. Allen Stoff verpulvert? Wird man es der aktuellen Ausgabe 41 anmerken? Luft raus? Der Titel jedenfalls verspricht echte Aufregung: „Die unheimliche Macht. Wie ARD und ZDF Politik betreiben.“ Eine Medienschelte auf dem Titel der Vielgescholtenen? Leitmediale Selbstzerfleischung? Klingt jedenfalls merkwürdig AfD-affin. Also gespannt reingeblättert.

Den Leitartikel schreibt Michael Sauga, Leiter des Spiegel-Hauptstadtbüros: „Auf der Suche nach dem Wir“. Und es wird ein einseitiger Nachweis, wie gründlich man die Rede des Bundespräsidenten missverstehen kann. Ja, Sauga unterstellt Steinmeier, der wolle den Begriff „Heimat“ wieder in die Debatte um Deutschland einführen. Wie gemein von dem. Und wie unlesbar von Sauga. Was will er erzählen? Weiß er selber nicht.

Neben der Nespresso-Werbung „Fortissio Lungo, kräftig und vollmundig“, steht Markus Feldenkirchens Meinung. Klar, nach dem herrlichen Martin-Schulz-Nähkästchen der letzten Woche redlich verdient. Und, oh Wunder, Feldenkirchen möchte noch einmal über seinen journalistischen Streich sprechen, versteht nicht, dass es zwei Lesarten gab. Dahinter stecke wohl ein Paradoxon. Überinszenierung schade der Glaubwürdigkeit. Das politische Berlin solle seine Angst vor den Bürgern ablegen. Ach, Herr Feldenkirchen, reicht doch, Sie würden Ihre in so vielen Talkshows gezeigte offensichtliche Geringschätzung gegenüber dem Bürger mal ablegen.

Dann der Titel. Hier mit der Überschrift „Bildstörung“. ARD und ZDF sollen endlich wieder ihre Zuschauer ernst nehmen. Auf dem Höhepunkt der Zuwanderungsshow der Öffentlich-Rechtlichen sang der Spiegel allerdings gerne mit im Chor. Nun traut er sich was. Späte Wiedergutmachung?  Und wie sie vorlegen: ARD und ZDF hätten jahrzehntelang so mit der Politik gekungelt, dass sie Beute wurden. Dort die zwangsfinanzierten TV-Journalisten, hier die vom Auflagenschwund verängstigten Spiegelianer. Vor dem nächsten Jobabbaumonster-Überfall in der Redaktion hat das große Hacken also begonnen. Aber ach herrje, man traut sich nicht einmal selbst, den ÖRR zu würgen, dafür schieben – kein Witz – die Spiegel-Leute Matthias Döpfner von Springer vor.

Zwischenbemerkung: Achten Sie bitte einmal darauf, wenn ein Satz im Spiegel mit „Kurzum“ eingeleitet wird, denn dann folgt meist eine fragwürdige Halbwahrheit. Aber weiter: Schön hier die Feststellung, dass die Arbeitsverweigerung der Kanzlerin im TV-Duell die Modernisierungsbemühungen der Chefredakteure des ÖRR boykottiert hätte. Na, wenn es nur das wäre. Und welche Modernisierungsversuche? Spontaner, dynamischer und streitfördernder wollte man es haben, weiß der Spiegel. Aber wo? Bei den Audienzen der Kanzlerin bei Anne Will beispielsweise? Hier wurde doch das Fundament erst gesetzt für so ein ödes TV-Duell. Dann wird es leider wie immer schmuddelig: Spiegel bringt das Beispiel Elmar Theveßen, der hatte ja vor der Wahl in einem Kommentar die AfD zur Schnecke gemacht und damit einen Shitstorm ausgelöst.

Der Spiegel dazu: „Offenbar haben viele Menschen Schwierigkeiten damit, dass jemand in einem öffentlich-rechtlichen Sender eine Meinung äußert.“ Das muss man sich vorstellen, da schrauben gleich vier Spiegel-Journalisten an einem Text und keiner kommt auf die simple Idee, dass die „Menschen“ eben genau das wünschen: dass mal einer seine Meinung mitteilt. Aber Moment! Denn die darf dann auch mal die ihre sein, nicht immer nur die anderen Anderen. Darum geht es doch im Auge der Wut: um die Auslassungen. Und der Spiegel, der Döpfner vorschickt um den Medien-Konkurrenten ÖRR zu beschmuddeln, fällt am Ende auch nichts anderes ein, als dem ÖRR: Ein paar Troll-Zitate („Ratte“, „Arsch“ usw.) aus dem Internet begründen den Meinungsausschluss.

Nein, so wird das leider nichts. Der Rest der Titelgeschichte wird zur Strafe überblättert. Jan Fleischhauer ist dran. Und er ist pessimistisch, glaubt nicht dran, dass sich das System ÖRR unter dem Druck der Öffentlichkeit reformieren könnte. Der ÖRR wäre unzerstörbar und seine Expansion im Internet wäre der Tod für die „letzte freie Zeitung“. Nein, nein, nein. Er kann den Spiegel nicht meinen. Aber welche Zeitung meint er dann?

Kommen wir zum partiell gelungenen Teil: Ein Interview mit Frank Plasberg von „hart aber fair“. Wir von TE waren oft hart aber fair mit ihm. Zu hart? Denn man muss ihn einfach mögen, wenn man dieses Interview liest. Beispiel? Frage: Hat „hart aber fair“ die AfD groß gemacht? Antwort: „Im Prinzip finde ich es schön, wenn man dem Fernsehen eine solche Bedeutung zumisst. (…) Niemand kann eine Partei groß machen, wenn es dafür in der Bevölkerung nicht ein Bedürfnis gibt.“ Oder noch besser: Die Antwort auf die Frage, warum so viele AfD-Lieblingsthemen wie „Flüchtlinge“ gekommen seien: „…gehen Sie mal in Ihr Archiv und schauen nach, wie viele Terroranschläge es im vergangenen Jahr gab.“

Digitalisierung als Thema? Interessiert leider kein Schwein, sagt Plasberg. Dann der wohl beste Satz der gesamten Ausgabe zu diesem unnötig aufgeblähten Spiegel-Themenkreis ÖRR. „Um es mal grundsätzlich zu sagen: Es ist nicht die Aufgabe von Journalisten, Parteien klein zuhalten.“ Das sei der Job der politischen Konkurrenz, so Plasberg. „Wir sind nicht dazu da, den Schulterschluss mit den vermeintlich richtig guten Demokraten zu üben, um im Gegenzug das niederzukartätschen, was am rechten Rand entsteht.“

Besser kann man den Spiegel im Spiegel selbst nicht ad absurdum führen. Genial. Genial einfach. Ja, da hätten dutzende Spiegel-Journalisten auch drauf kommen können. Wollten sie aber nicht.

Nach dieser kristallklaren Plasberg-Trompete fällt es fast schwer, weiter zu blättern. Auch dann noch, wenn Plasberg natürlich im weiteren Verlauf des Interviews wieder in die wohlig–warme öffentlichs-rechtliche Filterblase zurückspringt. Ausnahmsweise einmal geschenkt! Am liebsten würde man es nämlich jetzt dabei belassen wollen mit der Spiegel-Lektüre. Aber schauen wir halt noch weiter im Schnelldurchlauf:

Da ist noch Doris Schröder-Köpf, die ihren Gatten verteidigt, nein, nicht in Sachen fernöstlicher Liebesbemühungen, sondern in Sachen russischer Ölkonzern: „Ich weiß, dass ihm eine unzerstörbare Freundschaft zwischen Deutschland und Russland sehr am Herzen liegt.“ Gut, zwischen Mann und Frau weniger, aber auch das kann Doris Schröder-Köpf heute egal sein, sie hat sich den Niedersächsischen Innenminister geangelt und sie hat für ihn sogar den eigenen Listenplatz einen nach hinten gerückt, erzählt sie. Dem Spiegel-Journalisten Hubert Gude bringt sie Erdbeermarmelade mit für seine Brötchenhälften. Der Glückliche.

Dann darf noch Gregor Gysi seine Autobiografie bewerben. Wird sie deshalb mehr gekauft werden? Manchmal scheint es tatsächlich zu spät für die letzte Offenbarung, wenn man zuvor kein großes Amt der Bundesrepublik bekleidet hat. Schade für Gysi.

Ein Verdienst des Spiegel im Gesellschaftsteil: den verfolgten und geflüchteten Rohingya in den Lagern in Bangladesh ein Gesicht geben. Ja, der Planet ist für Millionen immer noch ein übler Ort ohne Lidl, Aldi, Netto und Penny. Aber noch mehr ohne Freiheit und echte Überlebenschance.

Im Wirtschaftsteil dann doch noch ein Aufreger, angekündigt als echter Investigativ-Journalismus: die ungeklärten Geldflüsse bei Airbus. Entsprechend groß geschrieben die Anmoderation: „Das hier ist die Geschichte einer Weltfirma. Ihrer Geheimnisse. Die Geschichte über einen korrupten Konzern.“ Klasse, oder? So beginnt der O-Ton eines TV-Blockbusters XXL. Fazit: Airbus hat über Jahre systematisch Berater und Firmen bestochen, um Aufträge zu ergattern. Sechs Kollegen haben über Monate recherchiert. Spezielles Thema, aber klar: Lesetipp!

Im hinteren Teil des Heftes eine Reportage, die ungefähr so geht: Economy fliegen mit dem österreichischen Außenminister Kurz. Auch mit dem zukünftigen Kanzler der Alpenrepublik? Leider kommt dann nicht mehr, als eine nette Plauderei, die so aussieht, als wolle sich der Spiegel versichern, demnächst mal ein exklusives Interview zu bekommen, wenn Kurz Kanzler werden sollte. Funktioniert Blattmachen tatsächlich genau so?

Zum Schluss noch eine zärtliche Umarmung von Volker Weidermann. Einst war er das warme Herz des Feuilletons der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, dann lockte wohl der Spiegel und nach all der Zeit nahm Weidermann das Angebot an. In Ausgabe 41 bespricht er Daniel Kehlmanns neuen Roman „Tyll“ über den dreißigjährigen Krieg. Über eine Zeit, „als Deutschland noch das Syrien der Welt war.“ Und der wohl beste Kulturschreiber Deutschlands schreibt verlässlich eindrucksvolle, fast simple Sätze über Kehlmanns Kunst hin, wie diesen hier, mit dem wir den Blick in diesen Spiegel gerne versöhnlich beenden wollen:

„Eine Welt der totalen Unsicherheit, der großen Gereiztheit, eine Welt, in der jeder alles glaubt und niemand etwas wirklich weiß, in der man nirgendwo auf festem Grund geht, das ist seine fantastische, historische, heutige Romanwelt.“