Tichys Einblick
Vor 50 Jahren: Beatles zum letzten Mal live

Unser „inneres England“ wird uns bleiben

Es war ein Abschiedskonzert, obwohl das nur wenige ahnten. Am 30. Januar 1969 spielten die Beatles ihr letztes öffentliches Konzert. Fast mutet es wie der Soundtrack zum Brexit an, jedenfalls zeigt die Musik der Beatles, wie viel Schönes uns bleibt.

Hulton Archive/Getty Images

Vor 50 Jahren ereignete sich im Westen Londons Unerhörtes. Wer an diesem windigen Januartag des Jahres 1969 gegen Mittag in eine kleine Nebenstraße, die Savile Row, kam oder durch die nahe, wesentlich größere Regent Street im vornehmen Mayfair nahe dem Piccadilly Circus ging, vernahm vertraute Klänge – waren das nicht die Beatles? War das nicht live? Schließlich war es ein normaler Donnerstag. Die Fab Four spielten hier, im Londoner West End, doch nicht etwa Open Air? Sensationell!

Brexit: Der Deal ist noch lange nicht tot
Und so war es. Die berühmteste Band der Welt hatte ein komplettes Verstärker-Set auf dem Dach ihres Studios montieren lassen. Es ging um die Aufnahme einer Konzertszene für den Film „Let it be“. Vor allem auf Paul McCartneys Initiative hin unternahmen die Beatles einen Versuch, den ursprünglichen Schwung, die Kreativität der Band wiederzubeleben, der Relevanz des muskalischen Schaffens neuen Ausdruck zu verleihen. Gemeinsam neue Songs schreiben, zusammen improvisieren, gemeinsam die Produktion gestalten und schließlich alles mit einem Konzert krönen. Der kreative Prozess wurde dementsprechend für eine Filmdokumentation aufgenommen. Der Titel des Projekts ist mehrdeutig: „Get Back“.

Und das war er nun, der Live-Gig für den Film. Ohne Vorankündigung, ja, eigentlich nicht für die Öffentlichkeit gedacht. Wer sich von der Musik leiten ließ, kam bald zum Haus Nr. 3 in der Savile Row. Nun war die Musik deutlich zu hören. „Get back! Get back to where you once belonged …“ eindeutig die Stimme von John Lennon – sie spielten live in der Öffentlichkeit! Jeder in London kannte die Gerüchte um Streit in der Gruppe, jederman wusste, dass die Beatles keine Konzerte mehr geben wollten, und dass sie dies seit rund zweieinhalb Jahren eisern durchhielten. Und nun diese Musik! „Don’t let me down“ – Lennon schmachtete jetzt Yoko Ono an, so hörte es sich an. Was die Zuhörer, die sich nun zahlreicher versammelten nicht sehen konnten: Yoko war tatsächlich da, oben auf der der Dachterrasse von Nr. 3 Savile Row, John blickte sie an, während er sang. Und weil der Januarwind auf dem Dach schneidend kalt war, hatte er sich ihren Mantel ausgeliehen – wie übrigens auch Ringo Starr, der sich in den knallroten Mantel seiner Frau Maureen hüllte, während er trommelte.

Brexit hin oder her: unser „inneres England“ bleibt

Gemeinsam gegen Zentralismus und Planwirtschaft
Brexit: Offener Brief an die britischen Freunde
Ja, diese Musik ist uns vertraut. Sie ist zu einem wichtigen Stück unserer selbstdefinierten kulturellen Identität geworden. Wir alle tragen ein Stück „inneres England“ in uns – es müssen nicht die Beatles sein, deren Konzert sich heute jährt. Es kann auch die Erinnerung an die Kathedralen von Salisbury, Winchester oder Canterbury sein, an ein Weihnachtskonzert in St.-Martin-in-the-Fields mit Sir Neville Marriner am Pult oder ein Besuch im Globe Theatre oder in Stratford upon Avon – sie wissen schon, bei wem. Wir alle haben ein „inneres England“ in unserem Herzen, und das wird bleiben. Natürlich auch nach einem Brexit.

Das Rooftop Concert der Beatles war nach 42 Minuten vorbei. Paul McCartney erinnerte sich später: „Es war schon ein seltsamer Auftrittsort. Außerdem hatten wir dort oben kaum Publikum, nur ein paar Leute. So spielten wir buchstäblich das Nichts an. Vor uns war nur der Himmel. Es war schön.“ Unvermittelt endete das Konzert etwas früher als geplant, denn die diensthabenden Beamten des naheliegenden Polizeireviers taten ihre Pflicht und stellten die öffentliche Ordnung akribisch wieder her. Und, um in die Gegenwart zu blicken: so unvermittelt, wie dieses Konzert endete, soll nun wohl auch der Brexit kommen.

England wird nicht weg sein

Was ist ein Plan B?
Brexit: Plan B ist auch kein Plan
Der Vergleich zwischen einem Live-Gig der Beatles und einer Loslösung Großbritanniens von der EU hält einer genauen Betrachtung dabei nicht wirklich stand. Darum geht es auch gar nicht. Der Blick soll vielmehr auf die kulturellen Werte gelenkt werden, die bleiben werden. Vor 50 Jahren, am 30. Januar 1969, war Großbritannien noch kein Mitglied der EU. Und dennoch hat die von dort kommende Kultur der U-Musik – landläufig Pop- und Rockmusik – sehr vielen, die hierzulande nach einer frischen, unverbrauchten Jugendkultur suchten, das gegeben, was sie sich wünschten. Die Narben der Diktatur waren noch frisch, und große Unsicherheit herrschte bei der jungen Generation im Nachkriegsdeuschland. Hier bot die britische Musik eine Chance für neue Identifikation, eine Plattform für neue, unverdächtige Lebensfreude. Diese ganze Beatlemania und übrigens auch „Satisfaction“ – alles ging ohne die EU. Dieses Erbe wird bleiben, auch wenn London jetzt „Get Back“ sagt. „Don’t let me down“ – der Wunsch ist bereits erfüllt, auch wenn die EU-Bänder gelöst werden. Das „innere England“ wird uns bleiben.