Tichys Einblick
Weihnachts-Innovationen

Es werde Licht

Eine neue Lichterkette hat als "Gutes vom Tage" unseren Leser J. Thiel motiviert, über Innovationen am Weihnachtsbaum und die erforderliche Technikfolgenabschätzung nachzudenken.

Eine neue Anschaffung in der Vorweihnachtszeit hat mich über die Feiertage zu eingehenden Betrachtungen über unseren Weihnachtsbaum geführt, wie ich sie zuvor noch nie angestellt hatte. Es war die Lichterkette, die ich aus dem Baumarkt mitgebracht hatte. Da ich in nahezu allem gnadenlos konservativ bin, wehre ich mich vehement gegen jegliche, auch technische Neuerungen, insbesondere was Beleuchtungsfragen angeht.

Natürlich habe ich bereits Lichterketten für den Weihnachtsbaum, diese sind aber naturgemäß bei mir sehr alt oder zumindest teildefekt. Also stehe ich im Baumarkt vor einem unüberschaubaren Regal mit winzigklein, chinesisch beschrifteten Lichterketten in allen nur erdenklichen Ausführungen. Nachdem ich dort einen lehrreichen Vormittag über die verschiedensten Systeme, Girlanden, Ketten, Netze, bis zu ganzen Gebäudeilluminationen für innen, außen, innen und außen, weiß, warm und Goldton hinter mich gebracht hatte, saß ich schließlich endlich wieder im Auto mit einer LED-Variante, die ich größenmäßig für unseren Baum angemessen hielt. LED! Zur Hölle, was wollte ausgerechnet ich mit einer LED-Lichterkette? Und dann noch an Weihnachten?

Es waren diese vielen kleinen Lämpchen, die mich irgendwie faszinierten. Ein Gegenkonzept zu den wenigen großen, der alten Lichterkette. Womit ich mit alt, nicht die ganz alten meine, die ja noch Kerzen nachempfunden waren, sondern die, die danach kamen, die weiter leuchteten, obwohl einige Birnen schon kaputt waren. Da ich diese ja noch hatte, war ich also bereit, auf für meine Verhältnisse volles Risiko zu gehen, und ausgerechnet an dem in unserem Hause wirklich geheiligten Weihnachtsbaum, ausgerechnet da, erstmalig eine LED-Beleuchtung auszuprobieren. Die Tradition in meiner Familie schreibt vor, daß der Weihnachtsbaum absolut perfekt zu sein hat, und damit verbunden, stand und fiel das Fest mit der Qualität des Baumes.

So hatten Unregelmäßigkeiten im Wuchs des Baumes oder Schmückfehler stets das Potential, die Feiertagsstimmung nachhaltig zu dämpfen. Den Richterspruch über den Baum hat in meiner Kindheit regelmäßig meine Mutter gefällt, eine Hausfrau von altem Schlage, wobei der Baum natürlich in ihren Zuständigkeitsbereich fiel. Alle Hilfskräfte unterstanden, soweit zugelassen, kritischer Überwachung, Mängelrügen, waren geradezu vorprogrammiert. Ausgewogene farb- und Größenverteilung der Kugeln waren Mindestanforderung, ebenso wie eine geübte Handhabung des Lametta und Sicherheit bei der Kerzenhalteranbringung. Das mit dem Lametta hat sich mit den Jahren als so eine Art Königsdisziplin herausgestellt. Das wurde Zweig für Zweig aufgetragen und hatte eiszapfengemäß schwerkraftgerecht herunterzuhängen. Ein Berühren des darunterliegenden Zweiges wurde nicht geduldet.

Besonders heikel wurde es, wenn Fehler auftraten, die zum Zeitpunkt ihrer Entdeckung nicht mehr rückgängig zu machen waren. Dazu zählten, wie gesagt, neben dem Wuchs des Baumes, der nahezu nie allen Ansprüchen genügte, besonders das korrekte Einstielen in den seinerzeit obligatorischen Gußeisenständer mit den drei, allgemein viel zu dünnen Knebelschrauben. Ein Kunststück, welches mein Vater stets mit der für ihn ausreichenden Präzision absolvierte und damit regelmäßig für Diskussionen sorgte.

Das andere war diese Lametta-Sache, die ebenfalls nicht nachträglich korrigierbar war. Unser Weihnachtsbaum wies nämlich eine Besonderheit auf, die sonst allgemein nicht üblich ist. Es wurde nämlich zum Abschluß eine Schicht Watte auf die Zweige aufgetragen um Schnee zu simulieren. Sieht fantastisch aus. Danach waren keine Korrekturen mehr möglich und der Baum als Feuerbombe vorbereitet. Normale Haushaltswatte steht nämlich bei geringster Feuerberührung mit einem Schlag in Flammen.

Nach Anbringung der Kerzenhalter, die eine Herausforderung für sich waren, und Einstecken der echten! Kerzen, war die Bombe scharf gestellt. Es mußte also peinlich darauf geachtet werden, daß keine Kerze unter einem Zweig stand oder mit Watte in Berührung kam. Die endgültige Abschlußarbeit bestand also in der genau vertikalen Ausrichtung der Kerzen am Baum. Dies erfolgte mittels der versilberten Drehteller der Kerzenhalter und bekam mit der zunehmenden Austrocknung des Baumes zusätzliche Bedeutung. Trotz all dieser aus heutiger Sicht, geradezu unglaublichen Risiken, trotz fehlender Warnhinweise und ohne Verantwortungsübertragung auf Staat und Gesellschaft, und das weiß ich sicher, ist in den letzten tatsächlich einhundert Jahren! in unserer Familie kein einziger Baum in Flammen aufgegangen. Also, entweder jährliches Weihnachtswunder oder eigenverantwortliches Handeln. Heute obliegt mir die Hoheit über den Weihnachtsbaum und ich erfülle alle Aufgaben in Personalunion. Und nun frage ich mich, warum ich mit einer LED-Lichterkette vor dem Weihnachtsbaum stehe.

Wie konnte es eigentlich so weit kommen?

Was treibt einen Konservativen dazu, mit LED’s an seinem Weihnachtbaum herumzufummeln? Ist nicht gerade der Weihnachtsbaum das Konservative schlechthin? Und dann LED’s? Ist das nicht inkonsequent? Oder doch ein sinnvolles Zugeständnis an fortschrittliche Technologie?

Fragen über Fragen, also Praxistest! Sensationell! Noch nie habe ich eine Lichterkette so einfach anbringen können, und es sieht auch noch ganz gut aus. Dadurch, dass die kleinen LED’s sich in großer Anzahl relativ dicht an der zu verlegenden Leitung befinden, wird diese durch die Blendwirkung praktisch unsichtbar und erleichtert in Verbindung mit einer innovativen Leitungskonvektionierung die Verlegung unglaublich. Ein echter Fortschritt also.

Das hat mich dazu angeregt, meinen Weihnachtsbaum etwas näher zu betrachten. Eigentlich war es doch längst nicht mehr der Baum, wie ich ihn aus meiner Jugend kannte. Zunächst also das Licht. Waren es früher vielleicht 25 kleine Kerzen die diesen erleuchtet hatten, so wurden diese irgendwann durch 25 elektrische ersetzt. Ich erinnere mich noch genau, wie ich als Kind bei Verwandten zum erstenmal eine elektrische Lichterkette gesehen habe und diese bei mir völliges Befremden ausgelöst hatte. Ein echtes Unding sozusagen. Nicht viel später hatte eine solche bei uns selbst Einzug gefunden, da viel bequemer, sicherer und beliebig oft einfach ein und ausschaltbar.

Wie gesagt, waren diese zunächst noch den klassischen Kerzen in Form, Größe und Halterung nachempfunden, nur die Leitung störte die Optik sehr. Später kamen dann diese vielen kleinen Birnchen ohne eigene Befestigung, die frei verteilt wurden, etwa 50 Stück mit kleinem Trafo. Inzwischen bin ich mit diesen LED’s bei gut 200 angelangt, die zum einen etwas problematisch in der Lichtqualität sind, zum anderen durch ihre Menge ein gewisse Unruhe vermitteln. Was nun als nächstes kam, und darüber bin ich mir nicht ganz im Klaren, war entweder die Sache mit dem Baum oder dem Ständer.

Um einmal mit dem Ständer anzufangen, es kamen irgendwann diese Ständer mit dem Seilzug auf, mit denen auch der handwerklich weniger Begabte den Baum ohne jeden Aufwand einfach und schnell aufstellen konnte. Die Herausforderung des Aufstellens, der damit verbundene Lob und Tadel, und somit ein Stück Weihnachtsvorbereitung entfiel praktisch, als ob man die fertig gefüllte und vorbereitete Weihnachsganz kauft und einfach in den Ofen schiebt.

Die andere Sache ist der Baum selbst. Ich weiß nicht mehr, wann es war, wohl in den Achtzigern kamen die Nordmann-Tannen auf, nadelten nicht, piksten nicht und waren einfach zu handhaben. Sie haben die guten alten Edel- und Blautannen oder wer nicht soviel ausgeben wollte, Fichten, praktisch völlig verdrängt. Außerdem sahen sie im Durchschnitt fast immer besser aus. Jedoch eine, gerade für einen Weihnachtsbaum entscheidende Eigenschaft, fehlt ihnen. Es ist die Tragfähigkeit für den Weihnachtschmuck. Sie sind zu weich, (wie unsere Gesellschaft insgesamt, hätte ich beinahe gesagt), können anspruchvollen Baumschmuck z. B. aus Holz kaum tragen, geschweige denn, die in meiner Kindheit gern verwendeten süßen Kringel aus Gelee oder Zucker, die gab’s blanko oder einseitig mit Schokoüberzug. Es fallen also für die Nordmanntanne ganze Schmucksegmente völlig aus. Sind (heute) nicht mehr tragbar. Hinzukommt das die Bäume bei Austrocknung noch mehr Tragkraft verlieren und sich so hängen lassen, daß der Schmuck teilweise herunterfällt, aber es gibt ja mittlerweile sehr gute Plastikkugeln.

Eine gute Blautanne hatte jedoch sehr oft die Eigenschaft, sich in eine Art „Baummumie“ zu verwandeln, also eigentlich k.o. war, aber trotzdem außerordentlich fest blieb und auch kaum Nadeln verlor. Man konnte also ohne Bedenken schweren und auch wertvollen Baumschmuck verwenden. Trotz allem ist unser Weihnachtsbaum (Nordmann) dieses Jahr recht schön geworden und hat mir als „Gutes vom Tage“ zusammen mit seiner neuen Lichterkette eine Menge Anregungen gebracht, über Entwicklungen und wozu diese geführt haben, auch ganz allgemein nachzudenken.

Jetzt will ich aber lieber aufhören, schließlich ist während meiner ganzen Überlegungen Weihnachten schon an mir vorbeigerauscht. Es hat halt in Sachen Weihnachsbaum nur für einen kleinen Überblick gereicht. Nächstes Jahr gehe ich dann aber mal richtig ins Detail. Versprochen.