Tichys Einblick
Bettina Röhl direkt

VW 4.0 ohne Piëch

Ist der amtierende VW-Chef Martin Winterkorn in seiner Person der Garant der Zukunft des größten Autokonzern Europas, wie VW derzeit in den Medien regelmäßig genannt wird? Diese Frage hat der gerade abgedankte VW-Oberaufseher Ferdinand Piëch mit seiner bekundeten „Distanz“ zum Vorstandsvorsitzenden Winterkorn ins allgemeine Bewusstsein gerückt und das ist per se erst einmal gut so.




Die Macht des Faktischen, die Übermacht des Status quo, entfaltet sich oft vor allem in Ansehung von Personen. Und da saß Martin Winterkorn, in dessen Amtszeit VW erfolgreiche Entwicklungen in Sachen Umsatz und Gewinn zu verzeichnen hatte, auf dem Chefsessel des Vorstandes wie ein Buddha, unangefochten, nicht hinterfragbar. Ob eine Verjüngung, eine Dynamisierung und schlicht eine Veränderung auf dem Posten des VW-Lenkers ein richtiger und wichtiger Schritt in Richtung der nächsten digitalen Revolutionierung ist, muss indes wohl bedacht werden.

Baustellen im Konzern sind zu Jedermannswissen geworden

Es muss zu allererst dem Kunden, den Käufern des Produktes der Firma, die er lenkt, gefallen VWs zu kaufen, und dies zu einem Preis, der eine hohe und immer höhere Umsatzrendite garantiert. Es ist am Ende allein der Gewinn, der die Anteilseigner, die Mitarbeiter, den mit am Tisch sitzenden Fiskus und bei systemrelevanten Unternehmen auch die Gesellschaft glücklich macht. Dabei geht es nicht darum, sich auf alten Lorbeeren auszuruhen. Interessant ist vor allem immer der Gewinn des laufenden und des nächsten Jahres und der absehbaren Zukunft.

Über die Personendebatte, die Piëch vor wenigen Wochen losgetreten hat, sind über Nacht einige Baustellen im Konzern zu Jedermannswissen geworden. Routiniert steht in jedem Beitrag zum Thema, dass VW im Nordamerikageschäft hinterherläuft, im Kleinwagenbereich nicht gut aufgestellt ist und aus dem eigentlichen Starprodukt Golf nicht genug herauswirtschaftet. Die notwendigen Transformationsprozesse in die nächste, neuerdings viel beschworene Industriewelt 4.0, von der noch niemand so ganz genau weiß, wie sie funktionieren und aussehen wird – und wie die konkreten Maßnahmen – könnten für VW eine besonders große Herausforderung sein angesichts der sehr besonderen, sich von den großen Wettbewerbern unterscheidenden inneren Struktur des Unternehmens.

Immerhin: Der Staat in Gestalt des Landes Niedersachsen ist 20prozentiger Mitunternehmer, ausgestattet mit atypischen Zusatzrechten, die im VW-Gesetz in Blei gegossen sind. Die Genossen, die viel über und gegen Kapitalismus diskutieren, waren nicht immer die geborenen Unternehmer und dies gilt auch für die amtierende Genossenregierung in Niedersachsen, wo die SPD an der Basis und gegenüber ihren gemeinen Wählern und Unterstützern teils recht links auftritt, aber die Repräsentanten und auch Ministerpräsident Weil nach oben hin glatte und wirtschaftsfreundliche Kapitalisten abgeben. Das bleibt ein Spagat, den die gute alte SPD auszuhalten hat, der aber für ein Unternehmen immer eine latente Belastung darstellt.




Die aus den Jahren vor dem zweiten Weltkrieg ererbte Übermacht der Gewerkschaften und der Arbeitnehmervertreter, die bei VW über die Macht der allgemeinen unternehmerischen Mitbestimmung hinausgeht, wie sie in den siebziger Jahren etabliert wurde, hat auch so ihre Tücken. Die Gewerkschaften als Unternehmer haben sich in der Bundesrepublik gründlich blamiert, um es vornehm auszudrücken. Die eigentlich unkaputtbaren Giganten Neue Heimat und der Handelsgigant Co-op mit langer Genossentradition sind beide auf eine schmähliche Art zu Grunde gerichtet worden, nachdem sie alle, auch rechtlichen Privilegien für ihren Aufbau einst nutzen konnten.

Die Kapitalistenfamilie Porsche, die auch seit den dreißiger Jahren auf unterschiedliche Art vom Staat gut behandelt wurde, scheint als heutiger Mehrheitsgesellschafter des VW-Konzerns von konzernfremden Momenten ganz ordinärer familiärer Zwistigkeiten und Eifersüchteleien geschüttelt zu sein. Derzeit steht zwar vor allem der frühere Porschechef Wendelin Wiedeking vor Gericht – wesentlich wegen der gescheiterten VW-Übernahme durch den Sportwagenhersteller Porsche, aber bei realistischer Betrachtung wird man wohl sagen müssen, dass der gesamte Porscheclan, Ferdinand Piëch inklusive, bei dem Manöver `David will Goliath fressen` keine gute Figur gemacht hat. Auch die sehr weit getriebene Verschachtelung der Beteiligungen der Porsche-Piëch-Enkelgeneration, die die auch schon in die Jahre gekommene Urenkel-Generation offenbar nicht so recht ranlassen will, hat etwas Nerviges an sich.

Überhaupt, dass es jetzt zum Volkssport geworden ist, die Porsches und die Piëchs nach Dallas-und Denverclan-Manier durchzudeklinieren, ist nichts, was dem VW-Konzern besonders hilft. Die Porschelinie und die Piëchlinie scheinen nicht besonders verknallt ineinander zu sein. Kein Wunder, wenn sie doch sich selber dazu verdonnert haben, als Mehrheitsgesellschafter der Porsche Holding mit einer Stimme zu sprechen. Aber vor allem liegt die Vermutung nahe, dass die Sonderstellung von Cousin Ferdinand Piëch, der jenseits seiner knapp 14 % Beteiligung am VW-Kapital seine eigene Karriere im VW-Konzern über Audi aufgebaut hatte und zum überragenden Patriarch des VW-Konzerns wurde – mit einer faktischen Macht, die über seine Rechtsmacht als Oberaufseher hinausging, den anderen Miterben der Porschelinie zunehmend ein Dorn im Auge geworden war.

Natürlich will kein Porscheerbe nur Erbe sein, sondern sich auch selber profilieren und da könnte Piëch latenten Neid erzeugt haben, der solange nicht virulent wurde, wie der Riese Piëch als unüberwindlich galt. Begehrlichkeiten wachsen bei großen Führerfiguren immer dann, wenn sie zum Beispiel altersbedingt als nicht mehr so stark und wehrhaft angesehen werden. Man könnte die aktuelle Entwicklung bei VW auch so deuten, dass Piëch mit seinem eigenen Vorstoß lang gehegte Phantasien und Wünsche nach der Devise „Der Alte muss weg“ nur hat virulent werden lassen.




Winterkorns wenig strahlender Sieg

Das was in den Medien als Winterkorns Sieg gerade mal eine Woche lang gehandelt wurde, hat mit einem Sieg, gar einem strahlenden Sieg, wenig zu tun. Ein strahlender Sieger und die richtige Führungsfigur für die Zukunft wäre Winterkorn gewesen, wenn er sich nach Piëchs Vorstoß nicht von Piëchs Gegnern, die sich auch mal Luft machen wollten, hätte passiv retten lassen, sondern wenn er sofort als aktiver Akteur aufgestanden wäre, sein Amt zur Verfügung gestellt und seinen Verbleib an der VW-Spitze von einem konstruktiven Vertrauensvotum des Aufsichtsgremiums abhängig gemacht hätte. Stattdessen hat Winterkorn an seinem Amt geklammert und deswegen ist er, wie es jetzt doch allgemein heißt, auch nicht unbeschädigt aus der Affäre hervorgegangen.




Winterkorn hat sich als feige erwiesen und damit selbst signalisiert, dass ihm die letzte Qualität fehlen könnte, das 600.000-Mann-Unternehmen in die Zukunft zu führen. Er hat als Führungsfigur in der Auseinandersetzung mit Piëch zu wenig gezeigt und das Gleiche gilt auch für Wolfgang Porsche, der sich ebenfalls viel zu sehr versteckte, obwohl er gewiss keine nebensächliche Rolle dabei gespielt hat, Piëch jetzt zum Abdanken zu treiben.

Auch der Tross der öffentlichen Meinungsmacher zeigt in Sachen VW wieder jene Schizophrenie, die das bei Großunternehmen durchaus wichtige mediale Begleitgeschehen beherrscht. Keine Blockupy-Bewegung, keine Kapitalismus- und Kapitalistenkritik kann blöd genug sein, um nicht von den Medien kritisch behätschelt zu werden. Gleichzeitig gibt es in denselben Medien eine oft genug kindische und geradezu hündische Verehrung der Könige, der Reichen, der Wirtschaftskapitäne und der Gelddynastien. So kommt es, dass sich erstaunlich viele Stimmen in den Medien bei der Suche nach einem Nachfolger für Piëch, aber auch für Winterkorn auf die Suche im Porscheclan beschränken. Es heißt zwar, VW sei kein Unternehmen mehr, das weiter wie bisher von einer Person gelenkt werden könnte, was allerdings gleichviel Sinn für und gegen sich hat, aber gleichzeitig wird eben doch nach einer Erbnachfolge im Familienclan gesucht.

Dass die VW-Zukunft ohne Piëch gedacht werden muss, stand bei einem 78jährigen auch vor der aktuellen Entwicklung fest, aber dass Piëch ein Glücksfall für VW bis gestern war und auch noch für eine Weile geblieben wäre, steht wohl außer Frage. Piëch, heißt es, hätte seine Macht überschätzt. Das mag sein. Aber diejenigen, die an Piëchs Stuhlbein sägten, haben ihre Möglichkeiten VW jetzt und sofort einen Dienst zu erweisen, womöglich auch überschätzt.

Die Märkte nehmen es gelassen, was sollen sie auch sonst tun. Es geht bei VW nicht um alles oder nichts, aber es geht bei VW um entscheidende Weichenstellungen, die anstehen und einen großen Einfluss auf mehr oder weniger Erfolg oder Misserfolg haben. Es scheint so zu sein, als bekäme jetzt die Suche nach geeigneten Nachfolgern für Piëch und Winterkorn Vorrang, die ja in manchen Köpfen sicher bereits schon länger läuft. Ob da die Weichen richtig gestellt werden, scheint ziemlich offen zu sein. VW wird auf die Dauer kein Unternehmen sein können, das weiterhin 600.000 Mitarbeiter weltweit beschäftigt. Auch seinen Beschäftigungsstand hierzulande wird VW nicht aufrecht erhalten können. Da sind die berühmten Interessenkonflikte zwischen Kapital und Arbeit vorprogrammiert. Winterkorn war für VW wahrscheinlich weniger essentiell als das Winterkorn-Lager glauben macht, insofern ist ein Revirement an der VW-Spitze jetzt auch eine Chance.

Wer ist der größte Autobauer der Welt?

In diesem Zusammenhang lohnt ein Blick auf die Konkurrenz, zumal es ein erklärtes Ziel des VW-Konzerns ist, diese Konkurrenz auszustechen und größter Autobauer der Welt zu werden. Aber wer ist der größte Autobauer der Welt? Ist der größte Autobauer der Welt derjenige, der die meisten Autos verkauft? Oder der Autobauer, der die teuersten Autos verkauft? Wird Größe am Umsatz gemessen? Wird Größe am Gewinn gemessen? Wird Größe an der Zahl der Beschäftigten gemessen? Wird Größe an der Umsatzrendite gemessen, die auch etwas über das Risiko und die Langlebigkeit des Unternehmens aussagt, oder wird Größe daran gemessen, welches Unternehmen die meisten Subunternehmer in der Fertigung kapitalistisch versklavt beschäftigt. Toyota holt viel mehr Geld aus seinem Umsatz heraus, beschäftigt weniger eigene Mitarbeiter, lässt offenkundig viel mehr durch abhängige Fremdfirmen zuarbeiten und ist so auf dem Weltmarkt offensichtlich wettbewerbstauglicher und sehr stark auf seinem Vormarsch in Richtung Industrie 4.0.

Könnte VW seine Produkte schlicht und ergreifend durch Anhebung der Preise gewinnträchtiger machen und so den Abstand zu Toyota verkürzen? Sicher nicht, denn diese einfache Lösung wird bei VW gewiss jeden Tag getestet. Man verlangt für sein Auto schließlich, was man kriegen kann, was der Markt hergibt. Es muss also aus dem Preis der Produkte für die Zukunftstauglichkeit von VW trotz eines nominal erst einmal gut klingenden Gewinnes mehr herausgeholt werden.

Ob die chinesische Regierung den heimischen Automarkt auf Dauer „ausländischen Eindringlingen“ überlassen wird oder ob das Auto 4.0 nicht umgekehrt in China ein chinesisches Auto sein wird, das ganz nebenbei auch noch ein Exportschlager werden könnte, ist eine offene Frage. Weltmarktführer sein zu wollen, heißt sich dem Zwang besser zu sein als die Konkurrenz zu verpflichten.

Möglicherweise lag Piëch richtig, als er sagte, dass er auf Distanz zu seinem langjährigen Weggefährten und Ziehsohn Winterkorn gegangen ist. Ein Schritt aus der Situation, so wie sie sich jetzt darstellt, das Beste zu machen, wäre es, den auch schon gesetzten Lenker des Sportwagenbauers Porsche, Matthias Müller, sofort und unmittelbar, ohne jede Verzögerung zum Nachfolger eines in Ehren suspendierten Winterkorn zu machen, bevor das Spekulationskarussel sich immer wilder dreht.