Tichys Einblick
Eine Kulturrevolution namens Bargeldverbot - Teil 1

Rettet das Bargeld!

Seit ein paar Jahren ist es Mode geworden der Abschaffung des Bargeldes das Wort zu reden. Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger zeichnet das Ideal einer heilen Welt ohne organisierte Kriminalität, Terrorismus, Drogen und Prostitution. Was soll man also tun? Einfach das Bargeld abschaffen?

Wenn’s ums Bargeld geht, ist skrupellose Wichtigtuerei seit einigen Jahren en vogue. In Schweden ist bereits vor längerer Zeit ein kleiner regionaler Feldversuch, das Leben bargeldlos zu organisieren, ins Werk gesetzt worden. Dahinter stand der in der schwedischen Politik fest verankerte Wille das Bargeld mit konkreten Aktionen und begleitender Propaganda zügig abzuschaffen. Und so ist es kein Wunder, dass in Schweden der Weg bis zu einem vollständigen Bargeldverbot nicht mehr weit ist. Roland Tichy berichtete bereits hier und hier über den „Krieg gegen das Bargeld“.




Auch in Dänemark sind die E-Geld-Fetischisten auf dem Vormarsch. Einzelne IWF-Vertreter oder einzelne Vertreter der europäischen Zentralbank, aber auch eine wachsende Zahl von Politikern in fast allen westlichen Demokratien leben ihre Profilneurosen neuerdings durch Scheingefechte gegen das Bargeld aus.
Es ist eine inflationär erscheinende Modeerscheinung geworden, berufen oder nicht berufen, sich für eine schnelle, schrittweise (Rogoff „Erst die Ausgabe großer Scheine stoppen„)  oder für eine sofortige Bargeldabschaffung (Bofinger: „Märkte für Schwarzarbeit und Drogen austrocknen“ ) ins Zeug zu werfen.

Peter Bofinger und das Kleingeld im Supermarkt

Nicht jeder Wirtschaftsweise ist zwingend ein Weiser. Peter Bofinger, der „die verlorene Zeit“, die Bargeld erzeugt, als Argument ins Feld führt („wenn Leute vor Ihnen an der Ladenkasse nach Kleingeld suchen und die Kassiererin nach Wechselgeld“), geht womöglich seit langem nicht mehr im Supermarkt einkaufen. Ab einer gewissen Karrierestufe lässt man einkaufen, und zur besseren Überwachung des Personals schickt man subalterne Haushaltshilfen dann vielleicht gern mit einer Geldkarte in den Supermarkt. Dann hat man alles ganz easy unter Kontrolle. Jedenfalls ist das Bofinger-Beispiel an das einfache Volk gewandt, nämlich, dass Bargeld zum Beispiel deshalb Mist wäre, weil es lästig sei warten zu müssen, wenn Leute vor einem an der Kasse nach Kleingeld kramten und die „Kassiererin“ (gemeint ist sicherlich der oder die Kassierer/in) – nach dem passenden Rückgeld in der Kasse herumwühlte, etwas abwegig.

Abgesehen davon, dass das von Bofinger eingeführte Beispiel „Kleingeld an der Kasse“, wenn überhaupt nur von krümelhafter Relevanz für die Frage, Bargeld ja oder nein, ist, steht eins fest: An kassiererlosen Kassen (die der Bargeldabschaffung dann bald folgen könnten), also jenen Kassen, die in manchen Supermärkten parallel laufen, an denen der Kunde seine Ware selbst einscannt und (mit Karte oder am Münzautomaten) bezahlt und nur noch ein Kontrolletti überwacht, ob auch alles hübsch bezahlt wurde, entstehen regelmäßig häufiger und längere Wartezeiten für die nachfolgenden Kunden. Der eine stellt fest, dass die bereits eingescannte Milchtüte leckt, er sie ergo nicht bezahlen will, der andere stellt fest, dass auf seiner Gurke der aktuelle Aktionspreis nicht vermerkt war oder auf jenem Päckchen Brot der Barcode nicht zu lesen ist usw. usw. Solcherlei kleine Unfälle bügelt der Kassierer, die Kassiererin heute noch en passent aus.

Wie auch immer, die Kartenzahlung bei der Kassiererin oder dem Kassierer, die es parallel zur Bargeldzahlung inzwischen überall gibt, dauert oft länger als die Bargeldzahlung. Und umgekehrt gibt es an vielen Kassen mit oder ohne Kassierer/in bereits Automaten, die das Rückgeld ausspucken.
Das Bofinger-Kassenbeispiel ist also ohne jede Aussagekraft und erst recht ohne Aussagekraft für die Wucht der Kulturrevolution eines Bargeldverbotes, deren verhehrende Wirkung gar nicht absehbar ist.




Bringt die Einführung des reinen Digitalgeldes das Paradies auf Erden?

Etwas zweifelhaft wirkt die Behauptung der Digital-Geld-Fanatiker, dass eine Abschaffung des Bargeldes das Paradies auf Erden brächte, in dem mit einem Streich schnipp schnapp mehrere Geißeln der Gesellschaft auf einmal, nämlich das organisierte Verbrechen, Drogenhandel, Terrorismus, die Steuerhinterziehung, Schwarzarbeit für immer von dieser Welt getilgt würden. Und sogar, oft angedeutet, aber selten ausgesprochen wird, die Prostitution verschwände.

Schlechte Zeiten für Pastor Ulrich Wagner, den evangelischen Gottesmann, der unlängst politisch korrekt verklausuliert am Rande einer CSU-Veranstaltung zum Thema Asyl anregte, dass den „Ängsten“ von dummen Dorfbewohnern vor einer zu großen Zahl männlicher Flüchtlinge dadurch begegnet werden könnte, dass den Flüchtlingen kostenlos Prostituierte zur Verfügung gestellt werden sollten.

So scheint das bei evangelischen Machos zu sein. Prostituierte werden nicht gefragt, ob sie einen konkreten Freier wollen oder nicht wollen, sondern die Bordelle sollen nach der Vorstellung des Pastors ihre Prostituierten zur Verfügung stellen und gleichzeitig noch eine gute Tat tun. Unterschiedliche Preise für unterschiedliche zeitliche oder sonstige Wünsche der Flüchtlinge will der Herr Pastor offenbar pauschal abgegolten wissen.




Ein exotisches Beispiel, aber eines, das zeigt, wie die Dinge durcheinandergehen. Der arrivierte Herr aus der Vorstandsetage eines Dax-Konzerns oder aus dem Bundestag oder aus einem Landesparlament ist niemand, der sich per organisierter Flatrate eine Prostituierte zur Verfügung stellen lassen möchte, aber er ist auch niemand, der sein Kreditkartenkonto mit einem Eintrag „käuflicher Sex“ „versauen“ möchte. Nein, er ist gewiss ein typischer Barzahler. Nun mag man ja gegen Prostitution sein, aber es gibt sie und mit einer Bargeldabschaffung wird es sie tatsächlich in der jetzigen Form nicht mehr geben. Aber ob sie gleich vom Erdboden verschwindet?

Wahrscheinlicher ist es, dass kriminelle Wege erfunden werden, die ohnehin um die Prostitution herum grassieren, die das Prostitutionsgewerbe aufrechterhalten, aber womöglich noch brutaler ausgestalten. Kann eine Hure heutzutage ein Extra-Obolus von einem Freier vielleicht an einem Zuhälter vorbei schmuggeln, würde ihr der Zuhälter diese Möglichkeit in Zukunft verwehren können, indem er ihre Kontounterlagen schlicht und ergreifend gewaltsam konfisziert. Dass die Prostitution, das angeblich älteste Gewerbe der Menschheit, verschwindet und dass es keine männliche Nachfrage mehr geben wird, ist sicher eine irreale Annahme. Vielleicht wird es eines Tages einen Ring von Scheinfirmen geben, die den eigentlichen Zahlungszweck anonymisieren.

Wer weiß, was die Phantasie der Kriminellen der Zukunft ersinnt?

Die Machart eines Erpressungstatbestandes würde sich ohne Bargeld ändern. Die Kriminalität würde sich weiter digitalisieren. Die Aufrüstung und vielleicht sogar Brutalisierung würde möglicherweise sogar zunehmen. Ein Opfer würde beispielsweise womöglich gezwungen, komplizierte Überweisungswege in Gegenwart des Täters auszuführen, die den angestrebten kriminellen „Erfolg“ so entstehen lässt, dass der Täter etwas davon hat, wofür das Opfer dann verstärkt mitwirken muss.
Womöglich dauern die Tatausübungen, zum Beispiel einer räuberischen Erpressung, quälender Weise viel länger, in dem das Opfer nicht nur seine Geldkarte und seine Pin rausrücken muss, sondern auch noch eine Warenbestellung an sich selbst veranlassen muss, um die vom Täter „bestellte“ Ware, ohne, dass das System etwas davon mitbekommt zu übergeben. Es ist müßig, neue Tatbestände einer völlig anderen Rechtsordnung zu antizipieren, aber die Geschichte lehrt, dass Menschen, die den Rechtsbruch als Erwerbsquelle ansehen, noch immer einen Weg gefunden haben.

Da der Datenschutz, soweit er nicht de facto heute schon abgeschafft ist, noch weiter minimiert wird, wenn jeder Kauf einer Ware oder einer Dienstleistung dokumentiert ist, steht fest. Dann weiß Big Brother nicht nur, was wirtschaftlich gelaufen ist oder nicht gelaufen ist, sondern kann, mindestens technisch, auch steuern, was in Zukunft läuft oder nicht läuft. Der Staat müsste, wenn er Aspirin als freiverkäufliches Medikament verbieten wollte, keine Zwangsmaßnahme gegen die Herstellung oder den Handel mit Aspirin ergreifen, er könnte einfach einen Kontoblock setzen, das niemand mehr Aspirin bezahlen kann oder, dass niemand mehr Geld für Aspirin entgegennehmen kann. Auch individuelle Kontenblocks sind denkbar. Das alles ist bekannt und schlimm genug.

Noch gewichtiger ist die politische Dimension der Bargeldabschaffung. Die politische Qualität der Bargeldabschaffung, die das gesamte System verändert und eine neue Gesellschaft und einen neuen Menschentypus erzwingt, ist bislang nicht erkannt. Eine völlig neue Geldpolitik ist mit der Abschaffung des Bargeldes zwangsläufig verbunden. Ein neues Steuersystem, eine neue Steuereinzugstechnik gehen mit der Abschaffung des Bargeldes unvermeidlicherweise einher. Die komplexe Frage, was ist Geld eigentlich, würde von der noch komplexeren Frage, was ist bargeldloses Geld abgelöst werden, und die Antworten auf diese Frage sind schwieriger zu finden, als man bei oberflächlicher Betrachtung zu glauben geneigt ist.

++ Teil 2 – Politik und Bargeld – morgen ++