Tichys Einblick
EINE KULTURREVOLUTION NAMENS BARGELDVERBOT - TEIL 2

Politik und Bargeld

Der politische Konformitätsdruck, der durch einen Orbitalsprung in der Überwachung der Menschen durch Bargeldabschaffung erzeugt würde, stiege ins Unermessliche. Die Abschaffung des Bargeldes wäre ein Anschlag auf die Demokratie.

Warum noch ein verfassungskonformes Verbotsverfahren gegen irgendeine missliebige Partei, wenn sich jede Transaktion zu Gunsten oder zu Lasten der Partei verhindern lässt? Es macht das Wesen der Demokratie aus, wie sie zum Beispiel im deutschen Grundgesetz gestaltet ist, dass die Macht vom Volk ausgeht, und dass das Volk seine Macht ausübt, indem es seine Stimmen in Wahlen abgibt und die Wahlen müssen vier Kriterien erfüllen. Sie müssen frei sein, allgemein sein, gleich sein und geheim sein.



Geheim meint nicht Geheimniskrämerei, meint nicht irgendein eigentlich bemakeltes, eben noch geduldetes Geheimnis, sondern meint, dass der Bürger unter der Garantie, dass er nicht überwacht und damit manipuliert wird, überhaupt erst frei, allgemein und gleich wählen kann.

Das höchste demokratische Gut des Wahlgeheimnisses ist tatsächlich gesehen täglichen Dauerangriffen ausgesetzt. Meinungsforscher, die politische Parteien und viele andere beforschen und beobachten das Wahlgeschehen und zerlegen die Bundesrepublik und die Gesellschaft in immer kleinere Zellen – produzieren ein immer engmaschigeres Wissen über die Wähler, dass von einem Wahlgeheimnis weniger und weniger gesprochen werden kann. Wer so und so alt ist, da und da wohnt, den und den Beruf ausübt usw. ist bereits mit einer fast an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit als Wähler der einen oder anderen Partei dingfest gemacht.

Das große Geheimnis des Bargeldes

Das Geheimnis des Bargeldes ist in einer Gesellschaft, die täglich bis in den letzten Winkel hinein durchdigitalisiert wird, ein letzter demokratischer Rettungsanker. Es geht Niemanden, auch keine Bank, keinen Big Brother etwas an, was jemand konsumiert oder warum er es konsumiert. Wer gerne Bananen isst und womöglich sehr viele Bananen, soll dies tun können, dürfen, ohne, dass es irgendjemand sonst erfährt oder gar seinen Senf dazu gibt. Wer alte Armbanduhren sammelt oder auf ganz viele Goldfische steht oder obszöne Kunst liebt, soll dies autonom, unkontrolliert tun dürfen. Das ist das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit.

Die Reglementierung von Parteispenden sind verfassungsrechtlich heikel. Wer eine Partei anonym unterstützen möchte, muss eigentlich das Recht dazu haben. Ob jemand einen Hosenknopf in die Kirchenkollekte wirft oder gar nichts oder 100 Euro, geht die Kirche und ihn etwas an, aber nicht Big Brother. Der politische Konformitätsdruck, der durch einen Orbitalsprung in der Überwachung der Menschen durch Bargeldabschaffung erzeugt wird, steigt ins Unermessliche.

Bestehende wirtschaftliche oder auch machttechnische Strukturen werden durch die Abschaffung des Bargeldes gestärkt. Die gesellschaftlichen Schichten werden undurchlässiger. Der gesellschaftliche Status quo wird zementiert. Newcomer, die regelmäßig etwas chinchen müssen, ohne das Recht zu verletzen, werden von Big Brother an die Kette gelegt. Kreativität wird erwürgt. Phantasien werden erstickt.
Ein Start-up, das einen Gläubiger vielleicht verabredungswidrig etwas hinhält, um einen anderen Gläubiger kurzfristig zu bevorzugen, bekommt vom Big-Brother womöglich eine Abmahnung oder wird vollautomatisch mit einem Konkursverfahren überzogen, in dem Big Brother die entsprechenden Quoten an die Gläubigergemeinschaft überweist und den Schuldner vollautomatisch auf Sozialhilfe setzt und ihn von da an erzieht, nur noch grün und vegan zu essen, weil gerade eine Studie heraus gekommen ist, die einen Zusammenhang zwischen Konkursgefährdung und Fleischkonsum nachgewiesen hätte.

Überwachungsmöglichkeiten des Staates stellen alles Dagewesene in den Schatten

Leider handelt es sich weder um eine irreale Phantasie, dass eine Bargeldabschaffung Überwachungsmöglichkeiten des Staates schafft, die alles bisher Dagewesene in den Schatten stellt, noch ist es eine irreale Phantasie anzunehmen, dass der große Anonymus Staat in der einen oder anderen Form seine Überwachungsmöglichkeiten, die durch kein Gesetz unschädlich gemacht werden können, nicht gebrauchen wird. Noch jede neue Technik wurde, einmal vorhanden, auch angewendet.

In diesen Zeiten verhält es sich so, dass viele Politiker und auch Medienleute lässig daher fabulieren, dass es absolute Sicherheit nicht gäbe: Die Menschen müssten sich daran gewöhnen, wenn sie in einer offenen Gesellschaft leben wollen, dass dank einer gestiegenen Kriminalität der eine oder andere Bürger auch mal daran glauben und die Freiheit mit seinem Leben bezahlen müsste. Gerade in solchen Zeiten, ist es etwas absurd, wenn aus einer ähnlichen geistigen Haltung heraus, weil irgendwer das Thema Bargeld aufgebracht hat, die Leute auf den Modezug aufspringen und sich darum drängen, die Ersten zu sein, das Bargeld abschaffen zu wollen, und das alles nur, um ein bisschen Kriminalität und Schwarzgeld hoffentlich etwas zurückzudrängen.

Mein wohlverdientes und versteuertes Geld ist mein legitimes und von meinen Persönlichkeitsrechten gedecktes Geheimnis, sagt sich der Bürger und möchte dieses Geheimnis nicht lüften müssen, nur weil jemand behauptet, dass ohne das Geheimnis andere rechtsuntreue Menschen das legitime Bargeldgeheimnis des Einzelnen ausnutzen könnten.

Wenn durch die Bargeldabschaffung, egal bei wem, ein Wissenszentrum entsteht, dann wird es auch immer Menschen geben, die dieses Zentrum anzapfen und sich des Machtinstrumentariums nie gekannten Ausmaßes bedienen. Bevor das Bargeld abgeschafft wird, muss es eine, von jedem Bürger auch verstandene öffentliche Debatte darüber geben. Bargeldabschaffung greift so tief ins System ein, dass sie nur aufgrund demokratischer Legitimation und mit dem Zuspruch der Mehrheit informierter Bürger vorgenommen werden darf.

Ob die Rechtslage im Euroraum eine Abschaffung des Bargeldes oder eine qualitative Einschränkung des Bargelds überhaupt zulässt, ist mehr als zweifelhaft. In Zeiten, in denen eine Institution namens EZB sich über das Recht stellt und dabei von den Euro-Regierungen auch noch unterstützt wird, sollte jeder mündige Bürger in den Euroländern jeden faktischen Angriff auf die Bürgerrechte energisch bekämpfen. Die angedrohte Bargeldabschaffung ist ein Angriff auf die Bürgerrechte, indem ein Allwissen über die Menschen entsteht, das vom Staat oder einzelnen staatlichen Einrichtungen, und sei es auch verbotener Weise, angezapft werden kann. Und unausweichlich – und sei es auch noch so verboten – angezapft werden wird.




Da regen sich die Menschen über die Datenvorratsspeicherung zur Verbrechensbekämpfung auf. Manche regen sich über den sogenannten NSA-Skandal auf und alle Menschen akzeptieren ununterbrochen allgemeine Geschäftsbedingungen von Google, Facebook, Apple, Microsoft usw.usw., in denen sie sich sämtlicher Datenschutzrechte aktiv entäußern.




Daten können auf einer Datenbank gelöscht werden, nicht aber im Internet.
Die Daten, die in einem bargeldlosen Wirtschaftssystem zusätzlich sammelbar werden, stellen allerdings alles in den Schatten. Ob sie jetzt online oder offline navigieren, in Echtzeit oder beim nächsten Kartenupdate, die Anbieter der Software und die Provider wissen, wo sie sind und im Zweifel auch warum sie dort sind. Auf ihrer Gesundheitskarte offenbaren Sie alles, Ihre Bank weiß fast alles. Und auch der Chip, der jedem Menschen nach der Geburt oder, besser noch, minimal invasiv vor der Geburt fürs ganze Leben eingepflanzt wird, ist, wenn dem leichtfertigen und auf bloße Mainstreamkonzentration angelegten Überwachungswahn kein Ende gesetzt wird, nur eine Frage der Zeit. Auf dem Chip braucht auch kein individueller Code mehr eingespeichert zu sein, Ihr Gen Code reicht aus. Dann bezahlen Sie in Zukunft bargeldlos mit Ihrer DNA und das ist tatsächlich sehr praktisch, um auf Herrn Bofinger zurück zu kommen. Überhaupt: Wenn sie in Zukunft, schon aus einer gewissen, im Laufe der Zeit zunehmenden Entfernung von jeder Maschine als Herr Meier erkannt werden und mit vollem Namen begrüßt werden, ist das doch einfach nur schön.

Verbrechensbekämpfung und Bargeld

Die unliebsamen Wirkungen, die dem Bargeld zugeschrieben werden, muss die Gesellschaft aushalten, weil die Wirkung der Abschaffung des Bargeldes ein allzu hoher Preis ist. Das organisierte Verbrechen, der Terrorismus usw. müssen besser bekämpft werden als bisher, aber sie müssen mit Bargeld bekämpft werden.

Es wird sehr viel über Verbrechensbekämpfung geredet, aber es wird zu wenig getan und vor allem gibt es auch ganz erhebliche Ladehemmungen, was die Bekämpfung von Illegalität betrifft und gelegentlich gibt es kontraproduktives Verhalten. Den Westen halten Isis oder die Ukraine in Atem, eine Abschaffung des Bargeldes leistet zu diesem Kampf keinen Beitrag. Im Gegenteil. Das organisierte Verbrechen hierzulande entdeckt in Zukunft vielleicht manch einen Warlord als neue Steueroase, um schwarzes Digitalgeld weiß zu waschen, um es beispielsweise hierzulande investieren zu können.

Und eine weltweite Bargeldabschaffung, die letzten Endes eine Weltregierung nach sich zöge, würde die Menschheit wahrscheinlich in ein archaisches Chaos stürzen, in dem wieder das Prinzip des Catch as Catch Can Einzug hielte, bis sich neue staatliche Einheiten herauskristallisieren würden. Jedenfalls würden gigantische Schwarzmärkte zunächst auf Tauschbasis entstehen. Die Katastrophen, die sich in einem solchen Fall anbahnen, stellen Orwellsche Phantasien in den Schatten.

Der Kommunismus wollte im Idealzustand das Geld abschaffen, wenn auch etwas anders gemeint. Er ist gescheitert. Auch das Bargeld abschaffen, klingt erst einmal ganz nett, ist aber eine undurchdachte und vor allem nicht zu Ende gedachte gefährliche Spielerei.

Enteignungssteuer und Negativzins

Aber kann denn die Abschaffung des Bargeldes in Verbindung mit einer substanzvernichtenden Enteignungssteuer, die , wie gesagt, irreführend Negativzins genannt wird, wie gelegentlich behauptet, die Konjunktur stützen, wie es Robert Halver vor einiger Zeit behauptete?

Wenn, dann nur einmal. Schließlich kann das Bargeld nur einmal abgeschafft werden. Tatsächlich können die Sparer ihr Gigantvermögen von ihren Banken abziehen, um Konsumgüter zu kaufen o. Ä. und ein ungesundes Aufschäumen bestimmter Industrien bewirken. Allerdings haben die Banken das Geld der Sparer nicht liquide und ungenutzt in ihre Tresoren liegen. Genau genommen gibt es das Geld der Sparer nur auf dem Papier, realiter aber gar nicht.

Die Banken würden zusammenbrechen, wenn alle Sparer gleichzeitig am Schalter stehen und sagen, her mit der Knete oder ich schieße. Doch auch der Colt würde nicht helfen, denn die Bank hätte das Geld schlechterdings nicht. Ein Zusammenbruch systemrelevanter Banken als Kurzfrist-Konjunktur-Blase, und auf den Zusammenbruch der Banken liefe es hinaus – das ist sicher nicht wirklich ernst gemeint. Aber diese Gedanken zeigen, mit welcher Nonchalance heutzutage über die Weltwirtschaft und die Finanzmärkte geredet wird.

Eine Enteignungssteuer auf Bargeld, die in die Substanz greift, aber andere Substanzen wie Aktien und Immobilien, Staatsanleihen usw. verschont, ist auch unter diesem Gesichtspunkt der Ungleichbehandlung rechtlich gar nicht darstellbar. Zum Glück wird es eine Enteignungssteuer auf Sparguthaben, solange es den Schutzwall des Bargeldes gibt, wohl nicht geben. Einen solchen Gefallen werden die Regierungen Mario Draghi und seinen gewagten Billionenspielen dann wohl doch nicht tun wollen.

Die Kinder sind die Leidtragenden

P.S. Und die Kinder dieser Gesellschaft sind die Leidtragenden, sie sind die Schwächsten. Sparen können sie nicht mehr lernen und sie können auch nicht mehr sparen. Sie können kein eigenes Geheimnis haben, was sie mit ihrem Taschengeld machen und wo es sich befindet. Ihre kleinen kindlichen Sparbücher werden, unabhängig von der Abschaffung des Bargeldes, demnächst mit sogenannten Negativzinsen belastet. Die Kinder lernen also, du sollst nicht sparen, du sollst ausgeben. Allerdings kann man von einer Taschengeldzahlung, von Scheichs und co. abgesehen, das ersehnte Fahrrad nicht kaufen, sondern nur ein bisschen Tinnef. Sparen geht nicht, weil das Geld immer weniger wert wird und das Fahrrad immer teurer. Ein schöner Staat, der seine Kinder lehrt, dass ihnen ihr Geld vermittels eines Negativzinses, obwohl aus versteuertem Geld der Eltern entstanden, weggenommen wird.

Nun soll hier auch mal Schluss sein mit der Blödsinnsvokabel „Negativzins“. Tatsächlich handelt es sich um eine hundsordinäre Enteignungssteuer. Die Enteignung von Kindern wegen irgendwelcher Spielereien der EZB, die nach dem Prinzip Hoffnung solange Geld druckte, bis sie es jetzt abschaffen will, ist eine echte Schande.