Tichys Einblick
Bettina Röhl direkt über das krachende Versagen der Libyen-Politik

ISIS erobert Libyen: Lieber Westerwelle als Obama

Libyen – aus dem sich auflösenden Land fliehen verzweifelte Menschen in Schlauchbooten durch das winterliche Mittelmeer; die Mörder von ISIS köpfen Menschen, deren Fehler der christliche Glaube ist. Libyen zerfällt; ISIS zieht ein  – und damit zeigt sich: Der Krieg gegen Gaddafis Libyen im Jahr 2011 war ein irreversibler Fehler von Obama, Sarkozy und der Nato. Alle politisch relevanten Kräfte in der Bundesrepublik befanden sich im Kriegsrausch. Seither herrscht Chaos.  

Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben! Die Sowjetunion, einst ebenbürtiger Gegner des Westens und der USA im Kalten Krieg, hatte die Zeichen nicht richtig verstanden. Sie kam zu spät und ging unter. Die USA unter ihrem famosen Präsidenten Jimmy Carter (und auch die übrigen Länder des Westens) haben 1979 die Zeichen der Zeit zu spät erkannt und eine islamistische Initialzündung im Iran entstehen lassen, geschehen lassen und aktiv befördert. Der von den Medien des Westens messianisch angebetete Präsidentschaftskandidat Barack Obama wurde von einem nicht mehr demokratisch rational zu nennenden, sondern geradezu extraterrestrisch gewordenen Zeitgeist 2008 ins Weiße Haus getragen.




Wer nicht für Obama war, war für das Böse und gegen das Gute in der Welt. Ich habe damals in vielen Blogbeiträgen bei Welt online und anderen Orts klar Position gegen einen Präsidenten Obama bezogen, was mir sogar eine Erwähnung in den USA als seltsames Unikum aus Old Germany einbrachte.

Es ist schade, dass die Mainstreamer ihre eigenen Irrtümer später so ganz anders behandeln, als die früheren zutreffenden Meinungen anderer, die sie oft jahrelang für komplett sachirrig erklärt hatten. Und dann ist da ja immer auch noch die moraline Herabwertung, mit der der Mainstream auf alles reagiert, was ihn stört. Die Mainstream-Irrtümer verschwinden regelrecht; wenn sie offenkundig sind, sind sie nicht mehr aufzufinden. Umgekehrt: Wer recht hatte, wird erst notorisch belächelt, attackiert und ignoriert –  und dann, wenn sich die verpönte Einschätzung der Realität als zutreffend herausstellt, erneut besonders ignoriert, weil der gigantische Bockmist des Mainstreams nicht nachträglich stinken soll.

Bekanntlich hätte Obama in Deutschland 2008 80-90 % Wählerstimmen erhalten. 

In den Medien und in der Politik hätte er wahrscheinlich 95% erhalten.

Wer nicht für Obama war, war Outlaw 

Obamas Außenpolitik, wenn man denn überhaupt von der Existenz einer konsistenten Außenpolitik sprechen will, ist eine einzige gigantische Katastrophe. Stets von den beeindruckenden, rhetorisch glänzenden Reden Obamas begleitet. Und der Westen kommt zu spät, weil er es nicht merkt, weil er nicht merkt, dass er dabei ist sich zu entäußern.

Obamas Politik im Maghreb und im Nahen Osten ist eine einzige Verkennung der hauchdünnen westlich orientierten Protest-oder Befreiungsbewegungen, von denen sich vor allem die Westlinke, also in Deutschland vor allem die Grünen und die SPD wahre Demokratisierungswunder erhofften, weshalb das westlinke Lager Anfang 2011 wenige Wochen wie im Wahn der jasminenen Revolutionen fieberte. Vom Duft des Jasmin ist schon lange keine Rede mehr, es hat ihn auch nie gegeben. Der Westen hatte die autokratischen, diktatorischen Regime von Ben Ali in Tunesien und Mubarak in Ägypten, über Gaddafi in Libyen und Assad in Syrien, jahrzehntelang als Garanten für Ruhe und Ordnung unterstützt und unausgesprochen natürlich auch als Garanten gegen latenten Islamismus gern geduldet. Ein Irantrauma wollte der Westen kein zweites Mal erleben.

George Bush, nein, nicht der double u, den die Westlinke vom kapitalistischen Hollywoodstar bis zum grünen Körnerpazifisten alle auch heute noch auf Knopfdruck hassen, sondern US-Präsident George Bush Senior hatte nach seinem erfolgreichen Irakkrieg 1990 gegen den Diktator Saddam Hussein Letzteren gezielt im Amt gelassen, nämlich als Bollwerk gegen den Islamismus, der in einem Vakuum nach einer Phase des Chaos obsiegen würde. Bush Senior war es lediglich darum gegangen –  ganz offen und klar erklärt –  Saddam Hussein einen Zugriff auf die Ölquellen Kuwaits und gegebenenfalls anderer kleinerer Ölstaaten zu verhindern.

Letztendlich war es der Druck der Westlinken, (die sich sinnigerweise selber nicht mehr so empfindet (und sich so nicht mehr nennen lassen möchte), die sukzessive den Entschluss reifen ließ, den Obama dann in die Tat umsetzte, so eine Art Stellvertreter-68er-Bewegung im Flower-Power-Jasminkleid in den sehr rückständigen Ländern in der Region zu idealisieren und zu boosten. Die gerade noch gehätschelten Diktatoren der westlichen Realpolitik, die längst bei aller Inakzeptabilität akzeptable Lebensverhältnisse in ihren Ländern für den weit überwiegenden Teil der Einwohner hergestellt hatten, – akzeptabel im Verhältnis zu dem, was die Realität hergab – wurden von den westlichen Medien zu den schlimmsten Massenmördern (und noch böser) verteufelt.  Der Analphabetismus ist weit verbreitet und die  Nichtteilnahme größter Bevölkerungskreise an dem erst aufkeimenden Wirtschaftsleben in den Hauptstädten und kleineren Regionen ist ausgedehnt. Die Menschen lebten  arm, aber sie lebten in aus ihrer Sicht relativ geordneten Verhältnissen. Die Diktatoren schafften eine gewisse Befriedung ohne den Hauch von Demokratie.




Mikro-Avantgarden, die teils stark muslimisch, teils westlich orientiert waren, wurden dann plötzlich von der westlichen Öffentlichkeit wie große, gerade noch eben unterdrückte Befreiungsbewegungen gesehen und auch so behandelt: Die galt es nur zu entfesseln und schwuppdiwupp würde Nordafrika und der Nahe und der Mittlere Osten zu blühenden demokratischen Landschaften, bewohnt von Gesellschaften höchster Toleranz und Lebensfreude. So primitiv war schon die 68er-Denke einst gewesen, als man noch den Westen kaputt machen wollte, um diesen durch ein popkommunistisches Paradies mit Sex and Drugs and Rock’nRoll , aber ohne jedes politische und wirtschaftliche Konzept zu ersetzen. Der außenpolitisch unerfahrene, hilflose und schlecht beratene Obama wollte den Geist seines sakralen Glaubenssatzes „Yes, we can“ endlich entfesselt sehen und brachte seine Botschaft, kaum im Amt, in die bis dahin äußerst mühsam in Balance gehaltene Region vom südlichen Mittelmeer bis zum Iran und darüber hinaus. Der Staat Israel war für ihn ein gewisser Störenfried. Das ist Israel für die Westlinke seit den frühen siebziger Jahren immer gewesen. Aber ansonsten sollte die Region mit ein paar Obamaralen Reden wie etwa in Ägypten in grob fahrlässiger Weise zu einem selbst tragenden wunderschönen Demokratisierungsprozess angeregt werden. Mubarak in Ägypten, Ben Ali in Tunesien wurden vom Hof gejagt. Und Gaddafi wurde von einer großen Kriegskoalition, in der sich Frankreich und die USA hevortaten, selbstverständlich durch eine Uno-Resolution gedeckt aus dem Amt und in den Tod gebombt. An Assad in Syrien beißen sich Obama und der Westen die Zähne aus. Und überall gibt es heute Chaos, Instabilität, aber auch Massen-und Völkermord mit steinzeitlichem Handwerk. Die Aussichten sind düster und das liegt vorallem daran, dass der Westen immer noch nicht , inzwischen später als zu spät, begriffen hat, dass der von ihm aufs Gleis gesetzte Zug in die Gegenrichtung fährt.

Die Menschenrechte, die Menschenrechte, die Menschenrechte!

Das Erschütternde ist, dass in der Außenpolitik des Westens das miese unmenschliche Spiel der Linken mit der Menschlichkeit eiskalt von Tag zu Tag fortgesetzt wird. In das Vakuum, das der Westen in der Obama-Ära erzeugt hat, haben sich als einzig ordnende Kraft islamistische Formationen voran gekämpft. Und derSiegeszug der im Westen sogenannten Islamisten steht am Anfang und nicht am Ende. In Ägypten wurden inzwischen die so lala demokratisch gewählten Muslimbrüder von einem modernen westlich orientierten Militärputsch mit einer gewissen rechtsstaatlichen Ausrichtung abgelöst. Es wurde das Chaos minimiert und sicher auch eine positive Entwicklung der Mordbilanz bewirkt. Aber der vom Westen bekämpfte Islamismus ist dem Westen auf eine seltsame Art weit sympathischer als ein ägyptischer Militärchef, der als eine Art Mubarak light, also als pure Restauration angesehen wird. In Tunesien gibt es einen mühsamen demokratischen Staat mit theokratischen Einflüssen, der von den westwärts drängenden Islamisten auf eine harte Probe gestellt werden wird. Jetzt hat die Isis-Organisation auch Libyen erreicht und auch schon koptische Christen massenhaft enthauptet. Und klar gemacht, wer der Herr im Hause ist und dies in Sichtweite Europas und explizit gegen das Christentum gerichtet.

Die ägyptische Armee reagierte mit Luftschlägen gegen Isis-Stellungen in Libyen. 

Ja, Menschenrechte, Menschenrechte, Menschenrechte!!! Das schrie die Westlinke 2011 und verzerrte sich vor Edelmut und triefte vor Moraline, die aus allen Spalten der Mainstream-Medien herausgepresst wurde Die Menschenrechte in China und im Mubarak-Ägypten und Gaddhafi-Libyen usw. Aber Libyen bombadieren, Gaddafi verjagen, alles wegen der Menschenrechte. Das war schön. Aber dort, wo die Islamisten Völkermord betreiben, den die Westlinke andern Orts rassistisch nennen würde, schweigt diese Westlinke eisenhart und brutal. Und die Westmedien pressen sich kein einziges Mal das Wort „Menschenrechte“ heraus. Die Mordbilanz ist erschütternd, um dieses alternativlose abgedroschene Wort zu benutzen. Vergleicht man das Mordvolumen, um es so makaber auszudrücken, wie es ist, der beiden unterschiedlichen Kausalverläufe, die denkbar sind, wird es wirklich gruselig für den Westen. Wären die alten Diktatoren mit fortbestehender Hilfe des Westens in ihren Ämtern geblieben, hätte sich der bis dahin stetige wirtschaftliche Aufschwung für immer mehr Menschen in der Region fortgesetzt. Alle Menschen, die es sich leisten konnten, konnten reisen, auch in die westliche Welt reisen und mit der Meinungsfreiheit wäre es trotzdem nicht weit her gewesen. Aber die Zahl der ermordeten Menschen wäre bis heute relativ klein gewesen. Chaos und Fanatisierung haben, so wie der Westen diese Unqualitäten dort installiert hat, 100. 000e Menschen auf qualvolle Weise das Leben gekostet.

Hört man das Wort Menschenrechte aus den Mäulern Gabriel, Künast, Joschka Fischer, Cohn-Bendit und den nachgeordneten Chargen jetzt dazu? Hört man also all diejenigen, die mit den Menschenrechten im Gepäck Guido Westerwelle attackierten, als dieser im März 2011 den Libyenkrieg ablehnte?

Hört man von der amtierenden Bundesregierung, auch Groko genannt, oder vom amtierenden Bundespräsidenten, den täglichen Aufschrei: Menschenrechte, Menschenrechte, Menschenrechte??? Nein, man hört nichts. Mieses, fieses Schweigen. Nur Schweigen „hört“ man zum Beispiel zu den Konsequenzen des Nato-Einsatzes von 2011 im Februar 2015 in Libyen. Kein Wunder, dass auch zu  den islamistischen Anschlägen in Europa von den genannten Herrschaften nur Achselzucken kommt, nach der Devise, das muss der Westen aushalten. Die einzige, übrig gebliebene schutzbefohlene Gruppe, die die Nomen Klatura noch zu erkennen vermag, sind die im Westen lebenden Muslime, die vor dem Islamismus und vor den Einheimischen, die den Islamismus instrumentalisierten, geschützt werden müssten. Allerdings gilt: Wenn die Menschenrechte geteilt werden je nach Gusto und Opportunität und Interessenlage, dann taugen diese Menschenrechte, jedenfalls in den Händen selektierender Verfechter, nichts. Menschenrechte sind unteilbar. Wer sie teilt, lügt, heuchelt, und bewirkt das Gegenteil dessen, was er vorgibt im Sinn zu haben.




Westerwelle wurde für seine Haltung im Libyenkrieg von allen Seiten attackiert  

Guido Westerwelle ist von allen deutschen Leitmedien und aus allen deutschen Parteien, inklusive der FDP selber, in 2011 maßlos und, wie man sieht, komplett irrsinnig attackiert worden. In Deutschland war die gesamte Nomen Klatura, exklusive der Linkspartei und exklusive Westerwelle und exklusive weniger besonnener Stimmen und exklusive ein ganz kleines bisschen einer elegant herumeiernden Bundeskanzlerin, förmlich im Kriegsrausch gewesen:  Gaddafi hat Menschenrechte gebrochen und die meist islamistisch orientierten Rebellen mit Bomben beworfen und müsste nun, endlich mal wieder  schöner moralischer Krieg mit Marschflugkörpern und modernster Waffentechnik aus dem Amt gebombt werden. Flugverbotszone hieß die Kampfparole. Ales andere außer Krieg wäre unmoralisch, abwegig!  Und Westerwelles Ablehnung des Krieges und die von ihm forcierte deutsche Enthaltung im Weltsicherheitsrat wären verwerflich.

Mensch, Leute! Wisst ihr nicht mehr, was ihr geschrieben und gesendet habt und in welchem Brustton überheblicher Überzeugung ihr dabei aufgetreten seid? Westerwelles Karriere, auch innerhalb der FDP, ist ganz wesentlich durch dessen ablehnende Haltung dem Libyenkrieg gegenüber zu ihrem Ende gebracht worden und doch steht fest, mindestens heute, dass ihr euch alle geirrt habt und dass Westerwelle Recht hatte. Und dass jetzt ganz konkret und in weit intensiverer Weise die Menschenrechte verletzt werden als bis vor vier Jahren. Westerwelle ist unter dem öffentlichen Druck gegen seine Person zusammengebrochen und hat in letzter Minute noch abgeschworen, es hat ihm nichts mehr genützt. 

Die brutalen Fehleinschätzungen der Politikerklasse und der Mediengewaltigen haben die Welt zum schlechteren verändert und Abhilfe ist nicht in Sicht. Denn jede Abhilfe setzt voraus, dass diejenigen, die sich mit ihren damaligen Irrtümern in ihrer Karriere erst richtig eingerichtet haben, und auch heute noch sehr viele Irrtümer obendrauf produzieren, zu einer selbstkritischen Katharsis den Mut finden. Auch einfach mal abtreten und Reue zeigen, ein Beispiel geben, wäre angesagt; Wir haben Fehler gemacht, wir haben alles komplett falsch eingeschätzt und wir haben irreversible Verschlechterungen für die Menschenrechte bewirkt. Wir haben mit dem Begriff Menschenrechte gespielt, um uns in unserer moralischen Schönheit zu sonnen. Westerwelles Motivlage, oder besser, die ihm unterstellte Motivlage sind völlig irrelevant: Seine Haltung zum Libyenkrieg, der ja nur ein kleiner großer Teil der Gesamtpolitik in der Region war, der aber eine entscheidende Weichenstellungsfunktion hatte, verdient Respekt und Ehre, auch wenn Westerwelle selber noch im letzten Moment eingeknickt ist. Westerwelle Respekt zollen in Zeiten, in denen Personalisierung wichtig ist, ist bedeutsam, um den Massenirrtum der oberen 10 000, die sich explizit – und das Ganze ist erst vier Jahre her – auch gegen das Volk entschieden haben, das ebenfalls keine Beteiligung Deutschlands am  Krieg wollte.

Zum Wohle der Menschenrechte den demokratischen Volkswillen übergehen und mit der Ignorierung des demokratischen Volkswillens eine Politik durchzusetzen, mit der in fernen Ländern blühende Demokratien aufgebaut werden sollte, das war das irre Credo der 2011 kriegslüsternen Nomen Klatura in diesem unserem Land. Um es zu wiederholen, Westerwelle, der die politische Bühne verlassen hat, verdient Respekt.

Der für diese Woche angekündigte zweite Teil von Bettina Röhls Essay zur freien Liebe erscheint aus aktuellem Anlass kommenden Dienstag.