Tichys Einblick
Bettina Röhl direkt über Euro-wütige Bürokraten und verlogene Griechen-Mythen

Grexit – blühende Landschaften nicht nur für Griechenland!

Ein Referendum in Griechenland, ein zurückgetretener griechischer Finanzminister, Paniksitzungen der Regierungschefs, verstimmte Euro-Retter und feiernde Griechen vor geschlossenen Banken. Doch zurück zur Realität: Griechenlandrettung ist keine Herkulesaufgabe, Griechenlandrettung ist ein Floh.




Es war das Jahr 1989. Damals fiel vergleichsweise abrupt, ohne, dass es irgendwelche Vorkehrungen bis dahin gegeben hätte, der „eiserne Vorhang“. Über Nacht war die Mauer weg. Gut 60 Millionen Bundesbürger Alt vereinigten sich mit gut 16 Millionen Bundesbürgern Neu. Die moderne, exportorientierte Volkswirtschaft der alten Bundesrepublik stand vor der bis heute weit unterschätzten Aufgabe die marode 2. Welt-Volkswirtschaft der DDR mit pseudokommunistischen Verwirrungen in vielen Köpfen quasi innerhalb einer logischen Sekunde aufrecht zu erhalten und vom Grunde her neu als Teil des eigenen Kreislaufes zunächst aufrecht zu erhalten und dann auf gleiches Niveau zu entwickeln. Um die „Ossis“ nicht zu beleidigen, wurde zu allem Überfluss auch noch darauf verzichtet den kommunistischen Scherbenhaufen und die Hinterlassenschaften des Unrechtsstaates in vollem Umfang zu benennen. Die Herkulesaufgabe wurde im Gegenteil herunter geredet. Kanzler Helmut Kohl, der von baldigen blühenden Landschaften in der Ex-DDR sprach, wurde ausgerechnet von den Linken mitleidig dafür belächelt, dass sein Versprechen nicht binnen kürzester Zeit wahr wurde.

Die DDR? Unzumutbare Kosten für die SPD

Das Wirtschaftswunder der Bundesrepublik Alt ist ein stehender Terminus. Das Wirtschaftswunder der Bundesrepublik auf dem Gebiet der untergegangenen DDR ist bis heute weder erkannt noch gar angemessen anerkannt. 40 Jahre zuvor hatte die Bundesrepublik bei einer Bevölkerung von unter 50 Millionen Menschen in kürzester Zeit zu verkraften, dass ca. 12 Millionen Menschen aus den deutschen Ostgebieten oder Deutsche aus Osteuropa aufgrund von Flucht oder Vertreibung in den Westen kamen.

Haben die Börsen dieser Welt 1989 schockartig, hysterisch reagiert, als die Volkswirtschaft der Bundesrepublik plötzlich davor stand in die Knie zu gehen, weil sie sich an der Aufgabe namens DDR hätte überhoben haben können? Nein, die Börsen blieben cool. Immerhin, die SPD, die immer ein schräges Liebesverhältnis zur DDR-Diktatur unterhalten hatte, hat 1990 unter ihrem großen Kanzlerkandidaten und späteren Vorsitzenden Oskar Lafontaine klare Kante dagegen gezeigt. Sie glaubte, der Bundesrepublik Alt die DDR-Misswirtschaft nicht zumuten zu können. Damals geisterte die Zahl von umgerechnet 50 Milliarden Euro durch die Gegend, die von der SPD als unbezahlbare Hürde für die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten bezeichnet wurde.

Unbezahlbare Hürde für die Wiedervereinigung

In dieser Einschätzung sprang der SPD-Mann und damalige Chef der deutschen Bundesbank Karl Otto Pöhl dem damaligen SPD-Kanzlerkandidaten Oskar Lafontaine bei. Die Sozis, die notorisch, wie auch jetzt in der aktuellen Griechenlandrettung zu besichtigen, immer das Geld ausgeben wollen, was sie selber nicht verdient haben, um so die Wirtschaft anzukurbeln und um das Geld gleichzeitig den Armen zu geben, sahen es als nicht machbar an, die DDR-Wirtschaft auf die Schnelle wieder hinzubekommen. Die SPD sprach damals überwiegend von einer Zwei-Staaten-Lösung mit einer späteren Wiedervereinigung, wenn sich die Wirtschaftsleistungen beider deutscher Staaten auf gleichem Niveau eingepegelt hätten, also an irgendeinem St. Nimmerleinstag.

Die griechische Wirtschaftsleistung war indes nie auf europäischem Niveau, weder als Griechenland in den Euro-Vertrag aufgenommen wurde, noch seither. Nach traditioneller SPD-Lesart müsste Griechenland den Euro also so schnell wie möglich verlassen, um einen wirtschaftlich wie finanziell ungesunden Zustand so schnell wie möglich zu beenden.

Im Fall Griechenlands geht es nicht um geschätzte 50 Milliarden Euro Einmalkosten für die Sanierung des Landes. Im Fall Griechenlands geht es um ein Fass ohne Boden. Und im Fall Griechenlands geht es immer wieder um Regierungen, egal ob konservativ, Mitte, rechts oder links, die, jede für sich und immer wieder neu, von einem dumpfen Willen der Aufrechterhaltung des Status quo, und des Sich-Aushalten-lassen-wollens beseelt sind.

Sind die Weltbörsen zusammengekracht, weil das nicht eurotaugliche Griechenland in den Eurovertrag aufgenommen wurde? Nein, sie sind nicht zusammen gekracht. Hätten die Börsen einen Grund zusammenzukrachen, wenn Griechenland aus dem Euro austreten oder herausgeworfen oder den Euro sonst, möglichst geordnet, verlassen würde? Nein, die Börsen hätten keinen Grund und keinen Anlass überhaupt zu reagieren. Die griechische 10 Millionen-Menschen-Volkswirtschaft ist gegenüber den Volkswirtschaften von 500 Millionen plus X Euro-Bürgern eine nicht ins Gewicht fallende Größe. (Neben den Bürgern der 19 Euro-Länder sind auch die Menschen mitzuzählen, die in Ländern leben, die sich auf die eine oder andere Art währungstechnisch an den Euro gebunden haben, insofern ist die Euro-Zone objektiv wesentlich größer, als gemeinhin angenommen.)

Erst recht ist die griechische Volkswirtschaft im Weltmaßstab von 7,5 Milliarden Erdenbürgern eine Sache für das ökonomische Mikroskop. Jede Dramatisierung und jede persönliche Empfindlichkeit von Politikern, die sich von Tsipras düpiert fühlen oder die sich die Unsinnigkeit ihrer fünfjährigen Dauerrettungspolitik nicht eingestehen wollen, ist fehl am Platze. Ein Höchstmaß an Gelassenheit der politischen Klasse ist für die Psychologie, die man Wirtschaft nennt, angesagt. Die Relationen wieder erkennen. Über was redet man eigentlich, wenn man über Griechenlands Wirtschaft spricht.

Die untergegangene DDR ist nicht Griechenland, aber es lässt sich aus dem Beispiel DDR wirtschaftlich und finanztechnisch Manches herauslesen, was für die Griechenlandrettung und deren Fehlerbeurteilung nützlich ist.




Heute nun wieder der xte Panikgipfel der Euro-Regierungschefs

Jeder Gipfel dieser Art verschlingt wahrscheinlich dutzende Millionen Euro. Alle kennen das Thema, alle wissen, wer welches Lied singt. Da hätten ein paar knappe Telefonate, wenn’s denn sein muss mit Bild, ausgereicht.




Im Übrigen ist das Thema Griechenland noch kleiner als klein, denn das Geld, das für Griechenland extra aus dem Nichts geschaffen wird, dank der fiktiven Geldschöpfung der EZB und anderer vergleichbarer Maßnahmen, wird zwar in Griechenland überwiegend wenig sinnvoll und wenig effizient ausgegeben oder verschwendet, aber das Geld ist für die Euro-Ökonomie oder für die Weltökonomie ja nicht weg. Es kehrt über die Kapitalflucht der reichen Griechen oft wieder direkt in die starken Euroländer zurück. Dieser häufig angeprangerte Missstand ist aber nicht das Hauptmoment. Das Geld, das in Griechenland, sinnvoll oder nicht sinnvoll, als Geschenk ankommt und, sinnvoll oder nicht sinnvoll, ausgegeben wird, fließt so oder so unvermeidlicherweise durch die globalen Geldadern. Im Fall Griechenlands geht es nur — was heißt hier nur? -um die Frage, ob es recht und fair ist, dass andere mit ihrer Arbeit die griechische Misswirtschaft auf Dauer unterstützen? Und es geht um die Frage, welcher Erfolg aus dem Geld herausgeholt wird, welcher Nutzen generiert wird. Und da muss man feststellen, dass die griechischen Regierungen weder willens noch in der Lage sind, mit dem geschenkten Geld etwas Vernünftiges anzufangen.
Das griechische Referendum hat überdeutlich gemacht, dass die Menschen in Griechenland, und nichts anderes gilt für die Mehrheit der Menschen in den anderen Euroländern, die rettende Dauerbevormundung der Troika, der Hollandes und der Merkels ablehnen.

Ein historischer Blick über den Rand des klitzekleinen Tellers Griechenland, der im Dauerfocus der Medien und der Öffentlichkeit steht und von wesentlich wichtigeren Problemen wie Integration, Migration, Flüchtlingsproblematik, Bildung, Renten ablenkt, zeigt das hysterische und geradezu hirnrissig verengte Moment, das von oben in die Gesellschaft hineingetragen wird.

Als der atomar und konventionell bis an die Zähne bewaffnete Osten zusammenbrach und auf dem Gebiet der Bundesrepublik die Waffensysteme der Nato protzig standen und auf dem Gebiet der Ex-DDR russische Atomwaffen Richtung Westen zeigten, blieb die politische Nomenklatura, von Tagesaufgeregtheiten und sonstigen Petitessen abgesehen, wahrscheinlich aus Gründen ökonomischer Ignoranz vergleichsweise gelassen. Aber jetzt wo der wirtschaftliche Floh Griechenland, der nicht den geringsten Einfluss auf den Wert oder Unwert des Euro hat und im Weltmaßstab gar keine Rolle spielt und der auch politisch und geopolitisch völlig irrelevant ist, erfinden die Euro-Fanatiker schubartig immer neue, geradezu kosmische Begründungen, weshalb die Griechenlandrettung nur so und nicht anders funktionierte und alles andere den Weltuntergang bedeutete. Und diese Retter sind jetzt auch noch persönlich beleidigt, wenn eine Laune des Schicksals irgendeinen Tsipras mit seiner Rechts-Links-Koalition in Griechenland an die Macht spült.

Grexit ist die beste Lösung

Der Grexit ist seit fünf Jahren alternativlos die beste Lösung.
Wenn die Euroretter unfähig zum Grexit sind, dann ist die zweitbeste Lösung die griechische Regierung finanziell aufs Trockene zu setzen und selber in Griechenland vor Ort tätig zu werden. Nur der von den Eurorettern selbst gemachte größere Anteil an dem, was man Griechenlandkrise nennt, nämlich das bedrohliche Herbeireden von noch größeren Krisen für Europa und die Welt, wenn die schier unendliche Griechenlandkrise nicht mit immer neuem Geld der funktionierenden Euro-Länder zugeschüttet wird, muss sofort beendet werden. (Den Vorschlag für die richtige Griechenlandrettung lesen Sie hier.)

Die Euroretter, die Eurokraten, Mario Draghi, Jeroen Dijsselbloem, Jean-Claude Juncker, Martin Schulz, Hollande, Merkel und so weiter haben Griechenland bis heute nicht verstanden und sind deshalb zum selbstgewählten Misserfolg verdonnert. Lässig redet man über die vielfältigen Korruptionserscheinungen, schlechte Verwaltungen, schlechte Justiz, ein schlechtes Parteiensystem, schlechte Parteienfinanzierung, Misswirtschaft, Oligarchentum, zu hohes Anspruchsniveau, zu geringe Leistungsfähigkeit, mittelfristig fehlende Markttauglichkeit, Abwanderung der besten jungen Fachkräfte, Überalterung der griechischen Gesellschaft usw. und sofort und sofort und sofort. Und dass dieses Konglomerat von Reformen und Reformen und Reformen zum Guten gewendet werden, dass Griechenland erzogen werden müsste.

Die Wurzeln des Übels

Nur über eines, nämlich die Ursachen für das, was ständig beklagt wird, redet man nicht. Die Wurzeln der griechischen Misere werden in den Hauptstädten der Euroländer, aber auch in der EZB und beim IWF mit Ignoranz überschüttet.
Die griechische Gesellschaft tickt anders und das hat eine lange Tradition. Italien hat  nie seine alten kommunistischen Substrukturen überwunden, nie ganz, und Italien beherbergt eine subökonomische Mafiastruktur, die die Ökonomie des Landes etwas speziell macht. Und Italien ist in einen nordeuropäisch orientierten Norden und den heiß geliebten und tief verachteten Mezzo Giorno geteilt. Mit all diesen Spezialitäten wird Italien und wird die Euro-Zone irgendwie fertig und dies vor allem dank der Technik des so Tuns, als wenn da nichts wäre. Was man dank seiner Scheuklappen nicht sieht, weiß man nicht und meistens geht das ja auch gut. Und die Mafia verhält sich ja auch bekanntlich modern und nach Möglichkeit systemkonform.
Die Euro-Zone muss mit vielen Individualitäten ihrer Vertragsstaaten fertig werden. Aber die verkannte Individualität der griechischen Gesellschaft sprengt den Rahmen des Euro-Vertrages. Die griechische Gesellschaft ist mehrheitlich damit zufrieden, und das im positivsten Sinn, dass es da die Oligarchen gibt, dass Korruption ein sinnvoller Spaßfaktor ist, dass die politischen Parteien Versorgungsanstalten ihrer Mitglieder sind usw. usw. Die Griechen machen sich auch keine Sorgen über das aktuelle Chaos, weil das geordnete Chaos das lieb gewordene System der griechischen Gesellschaft ist.

Revolutionen, Mythen, Helden

Die glorreiche Revolution von 1974, die glorreiche über 1000 Jahre vergessene altgriechische Geschichte, die beinahe endgültig verschütt gegangenen Legenden von Platon, Sokrates, Aristoteles, und den alten Mathematikern, die das Dezimalsystem noch nicht kannten und der Makedonier Alexander der Wahnsinnige, regelmäßig der Große genannt. Und die Helden und die Götter der Ilias, und der bärenstarke Hercules, der als Schützling der Göttin Athene sogar in den Olymp aufgenommen wurde. Das sind die wiederentdeckten Identifikationsfiguren, die tief im Hinterkopf der Gesellschaft mitschwingen. Im alten Griechenland, das bekanntlich wenig mit dem modernen Griechenland zu tun hat, sei die Demokratie erfunden worden – immerhin ein griechisches Wort.

Athen und die Akropolis und die Olympischen Spiele, ohjee, da kann man schon mal unter der heißen griechischen Sonne die Realität vergessen. Und wenn die Realität so aussieht wie Merkel oder Hollande und wenn der Westen auf Crashkurs schlingert wie ein außer Kontrolle geratener Musikdampfer, dann ist das lieb gewordene uralte griechische Idyll aus Dramatik, Wichtigkeiten, Existenzialitäten und dem besungenen „besonderen Licht“, das über den griechischen Inseln scheint, doch ein ganz schöner und nahezu perfekter Traum.

Die Demokratie haben die alten Griechen nun in der Tat nicht erfunden. Sie haben ihre ganz spezielle Form der Aristokratie, nicht dumm, Demokratie genannt. Vor 2500 Jahren waren 10% der Athener eine palavernde griechische Feudalschicht und 90% waren schuftende Heloten und Sklaven aus aller Herren Ländern. Die Griechen brauchten keine Geschirrspülmaschine, keinen Staubsauger, kein lästiges Personal. Sie hielten sich Sklaven, während sie herumpolitisierten und philosophierten. Die Ungleichheit der Rechtslage der Menschen war kein Problem. Das tägliche Auskommen auch nicht. Man hatte Zeit und Dionysos war das Sinnbild des Genusses, wie man das scheinbar gottgegebene Paradies voll auskostet. Und die schöne „Europa“, Namensgeberin des Kontinents, (der es zu seiner vornehmsten Aufgabe gemacht hat sich selber zu traktieren), war die heißbegehrte Geliebte des Göttervaters Zeus.

Warum also den griechischen Way of Life europäisch technokratisieren? Auf diese Frage gibt es für viele Griechen keine plausible Antwort. Und objektiv wissen immer weniger Menschen in Europa, warum die Brüsseler Bürokratie eine erstrebenswerte Einrichtung sein könnte. Die Eurowütigen Regierungen haben das schöne Europa in eine Sinnkrise gestürzt. Aber Geld ist nicht alles und der Mensch lebt nicht vom Geld allein.