Tichys Einblick
Menschenrecht

Ein amerikanischer Justizirrtum? Der Fall Jens Söring

Am 24. Juni hat der Dokumentarfilm über den Fall Jens Söring: „Das Versprechen“ von Marcus Vetter und Karin Steinberger auf dem Münchner Filmfest Weltpremiere. Bettina Röhl hat mit dem Mann, der seit 30 Jahren um seine Freiheit kämpft, korrespondiert und beleuchtet ein mehr als fragwürdiges Justizverständnis.

Screenshot: ZDF, Zoom

Vor zwei Jahren nahm ich das erste Mal mit Jens Söring, der seit 30 Jahren im Gefängnis in Virginia für den Mord an den Eltern seiner Freundin sitzt, Briefkontakt auf und „begegnete“ einem wachen, kommunikativen Geist und einem Menschen, der ohne Verbitterung – und das ist das Wunder und die Leistung zugleich – immer wieder nach vielen Niederlagen für seine Freiheit kämpft. Die Zweifel an Sörings Täterschaft wiegen schwer. Am 24. Juni hat der Dokumentarfilm „Das Versprechen“ von Marcus Vetter und Karin Steinberger auf dem Münchner Filmfest Weltpremiere.

Der heute 50-jährige Jens Söring, Spross eines deutschen Diplomaten, wuchs sehr weltgewandt und von vorneherein zweisprachig deutsch-englisch auf. Es war offenkundig eine behütete Kindheit. Seine Hochschulreife erwarb Jens Söring in Amerika, und so kam es, dass er im August 1984, gerade 18 Jahre alt, mit einem Hochbegabtenstipendium an die University of Virginia kam.

Dort traf er am ersten Tag seines gerade noch nicht aufgenommenen Studiums bei einer Begrüßungsveranstaltung der Hochbegabten die zwei Jahre ältere Kommilitonin Liz Haysom, die sein Schicksal wurde. Liz Haysom wurde seine erste und bis jetzt wahrscheinlich einzige sexuelle Beziehung. Zwei Jahre später war sein Erwachsenenleben, das gerade begonnen hatte, zu Ende. Jens Söring sitzt seither, seit dem 30.April 1986, also genau seit 30 Jahren und seit dem Urteil am 21. Juni 1990 wegen Doppelmordes an den Eltern von Liz Haysom zu zwei Mal lebenslänglich verurteilt im Gefängnis.

Dass Jens Söring noch lebt, verdankt er allem Anschein nach der Tatsache, dass in Europa die Todesstrafe abgeschafft ist. Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof, den Jens Söring Ende der achtziger Jahre angerufen hatte, hatte entsprechend eine Auslieferung Sörings von England, wo er (und Elisabeth Haysom) zunächst nur wegen Scheckbetrügereien verhaftet worden waren, an die USA nur unter der Bedingung zugelassen, dass es in den USA, wo Söring der Prozess gemacht wurde, keine Todesstrafe für ihn gibt.

Wurde das amerikanische Rechtssystem vor einem fatalen tödlichen Justizirrtum bewahrt? Handelte es sich bei der ausgesprochenen lebenslangen Haft wegen Doppelmordes um einen fatalen Justizirrtum? In Deutschland wird die lebenslange Haft aufgrund einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes als Verstoß gegen die Menschenwürde angesehen und nicht vollstreckt. Im Regelfall kommen Mörder nach 10 oder 15 Jahren Haft auf freien Fuß.

Man mag sich über die unterschiedlichen Rechtssysteme streiten. Die Verurteilung von Jens Söring, die auf einer außerordentlich dürftigen, im Prinzip schon absurd dürftig zu nennenden Indizienlage, einem widerrufenen Geständnis von Jens Söring und einer Beschuldigung von Liz Haysom, die im Verfahren auch von psychologischer Seite als lügenanfällig charakterisiert wurde und die selbst als Anstifterin zum Mord an ihren Eltern zu insgesamt 90 Jahren Haft verurteilt wurde, beruht, wäre ohne einen am Tatort gefundenen Sockenabdruck im Blut der Ermordeten, nicht zustande gekommen.

Jawohl, eine Socke – allerdings eine, die nicht gefunden wurde

Nun kann ja jemand eine Socke tragen, sich damit sorgfältig auf einen ausnahmsweise mal feuchten lehmigen Boden in der Sahara stellen und darauf warten, dass die knallende Sonne diesen Sockenabdruck versteinert und für die Ewigkeit festhält. Nicht so im Mordfall Haysom. Da gab es eine Wischspur im getrockneten Blut, die von einer Socke, allerdings einer, deren Größe mit Sicherheit nicht ganz exakt zu bestimmen war, auf feuchtem Blut fast zwangsläufig rutschend verwischt, herrührte. Die Schuhgröße der Socke wurde ungefähr mit 37-39 hochgerechnet, die Schuhgröße von Söring war zwischen 41 und 42.

Der Referenzfußabdruck von Söring passte nicht ganz (und wenn er gepasst hätte, wäre das ja auch kein Beweis gewesen, dass Söring diesen konkreten Socken je getragen hätte) wurde aber passend gemacht, nach dem Motto, Söring könnte bei der Abgabe seines Referenzabdruckes zwei Mal aufgesetzt haben und also einen zu großen Referenzabdruck abgeliefert haben.

Der Ort des Geschehens war nach der Tat eine Mischung aus wüstem Schlachthof und spießigem Wohnzimmer, die Leichen waren mit leichten flachen Schnittwunden übersät. Und ein finaler tiefer Schnitt am Hals bis zur Wirbelsäule, gehörte zu der augenscheinlichsten Auffälligkeit. Es gab kurzfristig die nicht ganz fernliegende Mutmaßung, dass es sich um zwei verschiedene Täter gehandelt haben könnte. Die ganze Wohnung, Badezimmer, Küche, Wohnzimmer waren in Mitleidenschaft gezogen.

Alle möglichen Spuren gab es, Fingerabdrücke en masse, nur von einem „Täter“ Söring, der sich ordentlich ausgetobt haben müsste, um die Menschen und die Umwelt so zuzurichten, gab es keinen einzigen Fingerabdruck, dafür gab es ja die Socke. Nein, die Socke gab es auch nicht, wie oben dargelegt, sondern nur den Abdruck. Immerhin, der Täter hatte sich womöglich an die Regel des Hauses gehalten, das Wohnzimmer nicht mit schmutzigen Straßenschuhen zu betreten?

Nicht nur die Beweislage macht keinen guten Eindruck für das Gericht, auch prozessual und bezüglich der Beweiserhebung könnte man auf den Gedanken kommen zu sagen, Rechtsstaat geht anders. In England, wo die Ermittler, die eigentlich einen Scheckbetrug aufklären wollten, durch mitgeführte Dokumente auf den Doppelmord in Virginia aufmerksam wurden, gab Söring schließlich sein später widerrufenes „Geständnis“ ab, das allerdings nicht mit der Tatsache in Einklang zu bringen ist, dass es von ihm am Tatort keine Fingerabdrücke oder andere Spuren gab.

Der junge Mann hatte sein Geständnis ohne anwaltlichen Beistand abgegeben. Sein erklärtes Motiv: er hätte als Diplomatensohn selber einen Diplomatenpass, das würde ihn schützen und zweitens müsste er das Leben seiner Freundin Liz vor dem elektrischen Stuhl, der ihr unweigerlich drohen würde, wenn ihre Täterschaft festgestellt würde, retten.

„Liebe Bettina“ schrieb Jens Söring mir und schlug vor, dass wir uns duzen …

Ich hatte diesen Fall, der immer mal wieder durch die deutschen Medien und auch durch die Weltmedien geht, nicht bewusst zur Kenntnis genommen, bis ich Anfang 2014 durch irgendeinen Zufall auf diese Unterstützerseite gekommen bin und mich dann in den Fall eingelesen habe, bis ich schließlich zu einer Leseprobe des 2012 erschienenen Buch von Jens Söring kam.

Beinahe hätte ich angesichts des Titels des Buches „Nicht schuldig“ die Lektüre gleich wieder abgebrochen. Knastbücher mit solch einem Titel gibt es genug. Das Buch war kein großer Verkaufserfolg, man hatte nichts davon gehört und wer will sich schon von einem Mörder erzählen lassen, dass er unschuldig ist.

Die ersten Zeilen der Leseprobe waren allerdings spannend, sehr gut geschrieben mit einem künstlerischen Gefühl und einer reinziehenden Ehrlichkeit gepaart mit einem angenehmen Sarkasmus. Einmal angefangen mit der Lektüre konnte und wollte ich nicht mehr aufhören zu lesen. Noch am selben Tag holte ich mir das ganze Buch auf den Kindle:

Es ist eine Collegegeschichte, es ist eine Liebesgeschichte eines jungen Mannes, der an eine zwei Jahre ältere Person geraten ist, deren Erfahrungswelt so ganz anders war: Wohlhabend, kaputt, drogenaffin, ein Jungs-und Mädchenmordender Vamp mit diversen Schulabbrüchen, einer regelrechten Flucht von zuhause und schrecklichen Geschichten von selbst erlebten Vergewaltigungen und Mißbrauch durch die eigene Mutter, zwischen Hochbegabung und dem Eingeschlossensein in absoluter innerer Einsamkeit. Musizierend, schauspielernd, schriftstellernd und beseelt von dem Drang, die schrecklichsten Erlebnisse jedem vorzustellen, der sich anbot, und einer im Prozess testierten Persönlichkeitsstörung und eben einem festgestellten ausgeprägten Hang, der Realität nicht immer den Vorzug zu geben. Der 18-jährige Jens Söring, nach eigener Beschreibung zu diesem Zeitpunkt noch „Jungfrau“, war dagegen ein weltläufiger Dorfdepp mit einem vielleicht ausgeprägten Siegfrieddrang. Er bot sich an, drängte sich auf und verfiel dieser Person und ist ihr trotz aller souveränen Reflektionen ein Stück weit womöglich bis heute verfallen.

Die Lektüre wurde immer fesselnder, insofern es auch der Selbstfindungsroman eines jungen Menschen ist, der auch den Zeitgeist 1984/85/86, seine Zeit mit Liz Haysom und die Orte, die er kennenlernt, wie ein Chronist beschreibt. In der Tatnacht sieht er wie sehr viele seiner Altersgenossen  in diesem Jahr 1985 „Stranger than Paradise“ von Jim Jarmusch im Kino, was allerdings im Prozess streitig war.

Und nach der Liebesgeschichte, die mit dem Doppelmord an den Eltern der Freundin endet, der gemeinsamen Flucht als Bonny und Clyde durch die Welt, Thailand, Moskau, Belgien Schweiz, England und den distanzierten Beschreibungen der Strafprozesse, liefert das Buch schließlich die beste Knastliteratur, die ich persönlich je gelesen habe. Man kennt aus vielen Filmen ein wenig von dem, was in so einem amerikanischen Staatsgefängnis los ist, aber Söring zeichnet seinen inzwischen 30-jährigen Überlebenskampf in der von Gewalt und Rassismus, von Demütigung, Quälerei, Angst und sexuellen Übergriffen beherrschten Alltag, der sich durch ständiges Kommen und Gehen von Mithäftlingen immer wieder neu stellt, auf eine Weise, die einen wirklich tiefen Einblick in das Leben dort gibt.

Man begreift bei der Lektüre: Söring ist noch lebendig und dafür hat er mit eisernem Willen selber gesorgt. Jeden Tag nonstop in Folge, immer auf der Hut, seit einem Drittel Jahrhundert.

Ich beschließe also, Kontakt zu Jens Söring aufzunehmen, und wir haben eine kleine Korrespondenz, in der wir uns auch ein bisschen kennenlernen. Als der erste handgeschriebene Brief bei mir ankommt, wird das Leben in diesem Gefängnis in Virginia, von dem ich nur gelesen habe, plötzlich für mich erfühlbar. Es gibt ihn, er nimmt die Korrespondenz in die Hand, er schlägt vor, dass wir uns duzen und schreibt „Liebe Bettina“ und er schreibt auf eine sehr angenehme Art. Er argumentiert und ist präsent. Er macht seine Scherze und freut sich über jeden, der sich für seinen Fall interessiert. Und er bleibt klar am Thema.

Da wusste ich natürlich schon, wieviele Unterstützer Jens Söring hat und, dass es nicht nur mir, sondern im Laufe der Jahrzehnten vielen Menschen so gegangen ist, dass ein Gefühl, es könnte ein furchtbarer Justizirrtum passiert sein, wächst – ein Irrtum, an dem die meisten Menschen zerbrochen wären. Söring ist dagegen zu keinem Menschen geworden, der zieht, sondern er will geben und nehmen und er lebt in dieser Zeit, er denkt ganz aktuell auch politisch, gesellschaftlich und was den Zeitgeist anbelangt, mit.

Söring hat auch prominente Unterstützung. Der im Februar zurückgetretene Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung Christoph Strässer (SPD) hat ihn besucht und verwendet sich für seine Überstellung nach Deutschland, was einer sofortigen Freilassung gleichkommt. Und nächste Woche am 24. Juni 2016 wird der Film „Das Versprechen“ von Marcus Vetter und Karin Steinberger über Jens Söring auf dem Münchner Filmfest seine Weltpremiere haben: Trailer für den Film „Das Versprechen“ über Jens Söring.

Der Schauspieler Daniel Brühl leiht Jens Söring seine Stimme. Im Herbst soll der Film, der von deutschen, englischen, holländischen und dänischen Sendern unterstützt wurde, in die Kinos kommen.

Die große Hoffnung des Jens Söring, der weiß, dass man aus einem amerikanischen Gefängnis als Lebenslänglicher nicht herauskommt, ist es, durch eine neue Öffentlichkeit eine Änderung der Stimmungslage in Virginia zu erzeugen und schließlich doch noch eine Begnadigung oder Überstellung nach Deutschland zu erreichen.

Söring ist all die Jahre aus einer kleinen hochgesicherten Gefängniszelle heraus immer am Ball geblieben. Sicher mit großen Frustpausen, über die er wenig spricht. Begnadigungsgesuche stellte er immer wieder. Einmal hatte ein zuständiger Regierungsvertreter der Demokraten in Virginia Söring schon fast freigelassen, sein republikanischer Amtsnachfolger hat die Sache allerdings vor ihrem endgültigen Vollzug gecancelt. Auch ein juristisch interessantes Wiederaufnahmegesuch mit neuen Beweismitteln hat Söring 2001 versucht. Es meldete sich ein Zeuge, der einen dritten, einen anderen Mittäter von Liz Haysom gesehen haben will. Und die inzwischen in die Kriminalistik eingeführte DNA-Analyse brachte in Ansehung eines umfangreichen Asservatenfundus keinerlei Hinweis auf eine Täterschaft Sörings.

Justitia ist auf das Rechtsinstitut der Rechtskraft angewiesen, keine Frage. Jede Rechtsordnung braucht das sehr hohe Rechtsgut der Rechtssicherheit, aber zum Rechtsstaat gehört nun einmal auch das Wiederaufnahmeverfahren als wirkliches Essential, wenn neue Tatsachen eine neue Bewertung erlauben, die die rechtskräftige Entscheidung ja wohl geradezu zwingend erscheinen lassen. Und da ist Justitia blindwütig, sie irrt nicht gern. Und es könnte sein, dass die Justiz in Virginia oder die dort befassten Hoheitsträger besonders wenig von einem Irrtumseingeständnis halten.

In dubio pro reo

Das was an dem Fall ein bisschen nervt, das ist die Rolle derjenigen Person, die mindestens dazu angestiftet hat und die eventuell als Mittäterin gemeinsam mit einem Dritten in Betracht kommt, ihre eigenen Eltern bestialisch umgebracht zu haben.

Während es damals in den örtlichen Medien die „Bestie“ Jens Söring hieß, gelegentlich soll es sogar die deutsche Bestie geheißen haben, spielte die Anstifterin, Tochter aus einem in der Communitiy angesehenen Haus nach meiner Einschätzung eine ziemlich schräge Rolle. Den gesamten Fall durchzieht ihre unsubstantierte Schilderung, von ihrer eigenen Mutter sexuell mißbraucht worden zu sein, die sie zugleich lancierte, wie sie sie auch bestritt und widerrief. Sie spielte mit Traumata aus Vergewaltigungen, aus Heroinkonsum und aus einem heftigen Missbrauchsverhältnis zu ihrer Mutter und einem kalten Verhältnis zu einem Vater, der den Mißbrauch der Mutter habe geschehen lassen.

Man fragt sich, wie eine solche poröse und wegen entscheidender Lücken niemals plausibilisierbare, wohlfeile Missbrauchsgeschichte, die je nach Bedarf unbewiesene Assoziationen anbot und sonst nichts, in dem gesamten Komplex eine solche Bedeutung erlangen konnte.

Soeben hat die Tochter ihre Mutter ins Jenseits geschickt und schon gelang es ihr in der Wahrnehmung aller Beteiligten die Mutter so zu verbösern, dass diese die eigentliche Missetäterin war, die allerdings nun tot war.

Die achtziger Jahre waren in der Tat bis weit in die neunziger Jahre hinein und manchmal bis heute das Zeitalter, in dem auf eine neue krasse psychologisierende Art die Eltern ganz pauschal und per se und an und für sich in Privatgesprächen und im Psychogewerbe zu wahren Monstern herauf- und herabgeredet wurden, die gemäß Freud oder Alice Miller oder wer gerade Mode war, an allem, was die erwachsenen Kinder später machten oder durchlitten oder nicht hinkriegten oder anrichteten, Schuld waren. Ein Schuldwahn und ein Generalverdacht gegen Eltern machte sich in den achtziger und neunziger Jahren wahnhaft breit und erfasste ganze Generationen und wurde in manchen Kreisen auch zu einem regelrechten Gesellschaftsspiel. Eben, in den sechziger und siebziger Jahren, war noch der Kapitalismus an allem Schuld gewesen oder die autoritären Strukturen und jetzt waren es ganz persönlich die Eltern. Insofern ist der Fall der Liz Haysom auch ein besonders aus dem Ruder gelaufener Zeitgeistfall.

Damals wurden jedenfalls viele Eltern, und ganz besonders die aus bürgerlichen wohlhabenden konservativen Kreisen, Opfer ihrer rufmordenden Kinder, die alle möglichen Geschichten herbei phantasierten oder nichtige Dinge maßlos aufbliesen, um sich wichtig zu tun und ihr eigenes Versagen zu kaschieren. Wer weiß denn, wie die Nacktfotos von L.Haysom, die seit dreißig Jahren in Amtskellern verschwunden sind, wirklich zustande gekommen sind. Wer weiß, wie das Verhältnis von Mutter und Tochter vorher wirklich war? War die Tochter diejenige, die ihre Eltern mit ihrem Verhalten zur Verzweiflung gebracht hat oder war es umgekehrt, haben die Eltern die Tochter zur Verzweiflung gebracht. Wir kennen nur die einseitige Geschichte der Mörderin ihrer Eltern.

Im Prozess forderte der Richter Haysom auf, die Gelegenheit zu nutzen und ihre Mutter zu rehabilitieren, darauf verlegte sich Haysom aufs bedeutungsschwangere Schweigen. Die Geschichte, dass eine Tochter krass ausflippt und den Eltern die Schuld gibt, war jedenfalls nicht originell.

Die Mischung aus bemerkenswerter Aggressivität und Selbstpräsentation als schuldlosem Opfer, dem auch noch (trotz ihrer eigenen Anstiftung!) die Eltern ermordet wurden und dies von ihrem Freund Jens, den sie zwar schriftlich nachweisbar angestiftet hat und den sie als einzig Schuldigen an den Pranger stellte und offen, aber auch sehr verfieselt (um nicht raffiniert zu sagen), vorführt, ist heikel.

Statt dass sich die meisten abgestoßen fühlten, gelingt es der im Prozess als Borderlinerin bezeichneten Liz Haysom immer wieder, dass sich viele Beteiligte in regelrechten Fürsorgegefühlen für sie verheddern, woran Jens Söring bis heute sicher seinen Anteil hat.

Es gibt ein paar (heute versiegelte und nicht zugängliche) Nacktfotos von ihr, die die Mutter gemacht haben soll, was allerdings noch kein Beweis für einen sexuellen oder gar einen brutalen sexuellen Mißbrauch durch die Mutter ist und natürlich noch viel weniger ein entschuldigendes Moment für die Tat der Tochter sein kann.

Die Tat ist, was die Beweislage anbelangt, unzureichend aufgeklärt. Für die Täterschaft von Jens Söring mag vieles sprechen, was sich bei genauer Kenntnis der Prozessakten ergeben könnte, per Saldo allerdings ergeben sich wahrscheinlich überwiegende Zweifel: In dubio pro reo!

Bis zur Anstiftung, die im deutschen Recht bestraft wird, wie die Täterschaft, wie denn auch sonst, wirkt das Geständnis der Liz Haysom der Sache nach zutreffend. Ob sie bei der Tat dabei war, mit dem berühmten dritten Mann, welches eine nachvollziehbare Motivlage in ihrer Person war, kann und soll hier natürlich nicht entschieden werden, auch für sie gilt jede Unschuldsvermutung. Trotzdem ist es ihr womöglich gelungen, wie schon in der ersten Collegenacht in der Gesellschaft von unbekannten Kommilitonen, die alle ihre Aufnahme in die Universität feierten, ihre Umwelt kirre zu machen.

Auch an Merkel und Obama ist offenkundig der Fall schon herangetragen worden. Ob Obama acht Jahre nach seinem Versprechen Guantanamo auf eine saubere Art sofort aufzulösen, das Versprechen noch vollständig erfüllen wird, bleibt abzuwarten. Im Fall Jens Söring könnte er sein Gewicht in die Waagschale legen, dass Söring den deutschen Behörden übergeben wird.