Tichys Einblick
Wie böse ist VW wirklich?

Die Skandalisierung des Abgasskandals von VW

Im VW-Gate gibt es nicht nur einen, der gefehlt hat. Es gibt eine Mitverantwortung der Regierungen, der Prüfindustrie, aller Zulieferer und der Autofahrer selbst. Jetzt heißt es den Abgasskandal nicht zu einer VW-Krise auszuweiten.

Jajaja, VW hat „Mist gebaut“ wie es der Amerika Chef von VW, Michael Horn, bereits Ende September formulierte. Inzwischen ist immer mehr Mist zutage gefördert worden, für den VW gerade zu stehen hat. Und wie das so ist, muss der VW-Konzern längst nicht mehr nur für den Mist gerade stehen, den er selber angerichtet hat, sondern Medien und Politik zelebrieren eine moralische Dauerverurteilung, die zum öffentlichen Sport geworden ist, die dem Autobauer einen zusätzlichen immensen geldwerten Imageschaden im In- und Ausland verpassen.

Immerhin: Entgegen den anders lautenden Beteuerungen von Konzernchef Matthias Müller und dem Gesamtbetriebsrats, dass der Milliardenschwere VW-Skandal – genaue Zahlen gibt es nicht, aber Schätzungen gehen bis zu 30 Milliarden und mehr – keine Arbeitsplätze kosten werde, wird es realistischer Weise zu Schrumpfungsprozessen und Arbeitsplatzverlusten kommen. Es ist nun mal ein manifester Abgasschummel mit schweren Folgen, den es allerdings nicht gilt zusätzlich durch eine allgemein in Mode geratene Skandalisierung zu vergrößern.

Die Zeigefingergesellschaft nervt. Und sie nervt auch im Fall VW

Es nervt auch, dass regelmäßig diejenigen, die von der Sache am wenigsten verstehen, immer am schrillsten nach Konsequenzen schreien. Klar ist der VW-Skandal ein gefundenes Fressen für Medien und Politik, aber Augenmaß ist immer angesagt. Und klar, eine Importnation, was VW-Fahrzeuge anbelangt, wie die USA, hat auch ein eigenes Interesse die heimischen, seit den fünfziger Jahren durch Massenimporte herausgeforderte Autoindustrie vor unliebsamer Konkurrenz zu schützen, was nicht heißt, dass die mit dem VW-Fall befassten US-Behörden die Sache nicht korrekt abwickelten.

Es gilt die manipulativ erschlichenen Typenzulassungen im großen Zusammenhang zu sehen und dies keineswegs in der Absicht das Versagen zu relativieren. Es ist eine objektive Tatsache, dass das Fehlverhalten von VW-Ingenieuren, Bossen und Aufsehern, für das der Konzern haftet, im Kontext ein großes Mitverantwortungsfeld von typenzulassungsgewährenden Regierungen, von ganzen Gesellschaften, von Zulieferern und auch aller Autonutzer zutage fördert.

Es verhält sich beim VW-Skandal ähnlich wie bei vielen Steuerskandalen. Jedes Unternehmen ist zu aktiver Steuerehrlichkeit verpflichtet, muss alles selber beibringen, was zur Beurteilung seiner Steuerpflicht nötig ist und soll dann an einen Fiskus zahlen, der das Grundprinzip der Steuergerechtigkeit, eigentlich Grundbasis für die Berechtigung Steuern überhaupt einnehmen zu dürfen, selber verletzt, indem er zum Beispiel Steueroasen zulässt.

Wer beispielsweise auf die wunderschöne Insel Ihrer Majestät, Jersey vor der französischen Küste und mitten in der EU gelegen, fährt, bestaunt die britische Gelassenheit, mit der Unternehmen aus aller Welt die Möglichkeit eingeräumt wird dort Briefkastenfirmen zu unterhalten, und zwar an einem Ort, an dem sie weder einen wirklichen Sitz noch eine Produktionsstätte noch einen Markt für ihre Produkte besitzen. Der Briefkasten lässt sich locker und easy nutzen reicht als steuerlicher „Wohnort“ vieler, auch namhafter Firmen und dies nicht zum Zwecke der Steuerhinterziehung, sondern zum Zwecke „legaler“ Steuervermeidung. Man zahlt eben lieber niedrige Steuern auf Elisabeths Inseln als die höheren Steuern in den Heimatländern der Firmen.

Immer wieder schreit alle Welt bis hin zu Regierungen und Oppositionen: Legt die Steueroasen trocken! Oder, weniger blumig: Schafft sie ab! Aber die Steueroasen werden nicht abgeschafft, obwohl es einfach wäre, denn insbesondere an den Wettbewerbsbedingungen der großen Konzerne würde sich nichts ändern, weil alle von der gleichen steuerlichen Situation, so oder so, betroffen sind.

Legt die Steueroasen trocken!

Steueroasen laden zu Tricksereien ein und sie beschäftigen Menschen in den Firmen in ihren Phantasien Modelle und ganze Strukturen zu entwerfen, wie der Konzern X steuerlich noch ein bisschen besser abschneiden kann. Gerade motzt die amerikanische Politik, weil der amerikanische Pharmariese Pfizer sich steuerlich noch besser aufstellen will, als er mit dem Verkauf seines Potenzmittels Viagra eh schon stand:

Pfizer ist im Begriff den Botox-Hersteller Allergan in einer Gigantfusion zu übernehmen. Allergan hat seinen Firmensitz im unternehmenssteuerfreundlichen Irland, produziert seine Produkte sonstwo und verkauft seine Produkte ganz vornehmlich auch in den USA. Außer dass Pfizer am Schweizer Novartiskonzern in der Weltrangliste vorbei auf Platz 1 vorrücken möchte, will der Konzern seinen steuerlichen „Wohnort“ ebenfalls nach Europa, nämlich nach Irland verlegen. Die eigentliche Geschäftsführung soll in New York bleiben. Das erlaubt ein Schlupfloch in den amerikanischen Steuergesetzen, aber das ist offenbar auch mit EU-Recht vereinbar, wonach jemand in Irland versteuern darf, der eigentlich gar nicht in Irland sitzt und auch nicht in Irland produziert. Und ist das dann nicht europäische Beihilfe zu einer anrüchigen Steuervermeidung? Immerhin so kann der Euro-Schwächling Irland mit Sondereffekten, von denen es in Irland auch noch weitere gibt, seine Euro-Potenz deutlich aufbessern und dies ohne einen Finger krumm zu machen.

Auch dem wahrscheinlich durabelsten aller Euro-Politiker, Jean Claude Juncker, der die höchste Moral vertritt, hat es nie geschadet, dass er als Regierungschef des klitzekleinen Luxemburg der Oberaufseher für steuerliche Vorteile vor allem von Banken war, die sich in seinem Herzogtum so „ansiedelten“. Und manch ein Bankkunde in Europa, meistens Firmen, wusste die luxemburgischen Vorteile zu schätzen. Recht und Moral sind eben oft zwei allzu verschiedene Dinge.

Ursprünglich war ein Auto so etwas Ähnliches wie ein Schloss auf Rädern

Die Autohersteller, für die in Ansehung des Gesamtproduktes eines Autos die Abgasnummer eigentlich eher ein Randproblemfeld ist, bewegen sich, was die Emissionen anbelangt in einem Umfeld, in dem ein eher verworrenes ineffizientes Recht und ein geduldetes Unrecht und ein immer mal wieder angeheiztes öffentliches Interesse bei grundsätzlichem Desinteresse, seit Jahrzehnten eine chaotische Gemengelage erzeugt haben.

Ursprünglich war ein Auto so etwas Ähnliches wie ein Schloss auf Rädern. Man interessierte sich für die technischen Leistungen und den Komfort des Statussymbols und natürlich für den Preis. Erst später kam auf der Preisebene, ganz nebensächlich auch noch der Preis für den Sprit ins Spiel. Verbrauchswerte als Werksangabe oder gar als verbindlicher Kaufvertragsbestandteil gab es natürlich nicht und es gibt sie eben auch bis heute nicht wirklich.

Erst nach der Ölkrise 1972/1973 kam das Thema Verbrauch richtig in das Marktgeschehen hinein. Erst durch eine einzige Literangabe und später durch drei Angaben, Stadt, Land, Durchschnitt, die angeblich den realen Verbrauch wiederspiegelten, ließ sich der Autofahrer willfährig an seiner Nase herumführen. Jeder weiß, dass die Verbrauchsangaben gerade mal eben den Wert einer realen Richtgröße erreichen. Der reale Verbrauch liegt 20 bis 25% über den offiziellen Werten der Autohersteller, so ungefähr eine allgemeine Einschätzung unter den Autofahrern. Klar, der Verbrauch hängt vom individuellen Bedarf, Verkehr, den klimatischen Verhältnissen, und von der eigenen Fahrweise ab. So kann der Verbrauch für die 100 km von A nach B schon sehr unterschiedlich ausfallen und dieser Unterschied ist nicht dem Hersteller anzulasten. Es ist der Verbrauch, dessen Wert so schwer fassbar ist, die schiere Menge des Verbrauches, die wesentlich über die Umweltbelastung des Fahrzeuges entscheidet.

Technisch idealisierte und vergleichsweise willkürlich definierte Fahrzyklen

Technisch idealierste und vergleichsweise willkürlich definierte Fahrzyklen werden auf irgendwelchen Prüfständen, die bei irgendwelchen zuständigen Behörden oder in Deutschland bei den technischen Überwachungsvereinen aufgestellt sind, von den Automaten hinsichtlich Verbrauch und zunehmend einer Vielzahl von Unterwerten, wie zum Beispiel den Stickoxiden, analysiert. Nur die seit langem von vielen geforderte Messung im realen Straßenverkehr findet nicht statt. Vielleicht wird sie jetzt nach Jahrzehnten irgendwann einmal eingeführt.

Die einschlägige Gesetzeslage und die rechtssetzende Wirklichkeit lassen unter Duldung der zum Handeln eigentlich verpflichteten Regierung, aber eben auch der Zulieferer, die die Einspritzanlagen und das Motormanagement großteils beisteuern, aber eben auch mit Duldung der Autofahrer selber, kein vernünftiges, realistisches, faires Emissionsbild der Fahrzeuge zu. Eine unrealistische, weitgehend unsinnige, gleichwohl kostspielige Testkultur, in der sich der VW-Abgasskandal abgespielt hat, lässt keine aussagekräftigen Vergleichsdaten für die einzelnen Fahrzeuge oder Fahrzeugserien zu.

Natürlich soll niemand ein noch so unsinniges Prüfverfahren noch weiter verunsinnigen, in dem er unsinnigen Regeln auch noch zusätzlich unterläuft. Andererseits ist eine etablierte Prüfindustrie mit ihren unrealistischen Analysen nicht dazu angetan als juristische Grundlage für juristische oder moralische Verurteilungen herzuhalten.

Der Betriebsrat und die Regierung Weil schweigen betreten

Ob angesichts des wirren und irrealen Prüfwesens VW der einzige Autokonzern ist, der geschummelt hat, darf wohl bezweifelt werden. Was wäre juristisch und auch moralisch, wenn die gesamte Autoindustrie gefehlt hätte? Eine interessante Frage.
Viele Autofahrer wollen, wenn sie sich ein Auto kaufen, das vielleicht eine Nummer größer ausgefallen ist, als sie es sich eigentlich leisten sollten, allzu gern beschummelt werden und einen niedrigen Kraftstoff-Verbrauchswert schwarz auf weiß im Prospekt lesen, mit dem sie sich selbst beruhigen können. Sie beruhigen sich auch mit der Vermutung, dass ein niedriger Verbrauch dank moderner Verbrennungstechniken, zu möglichst geringen Giftstoffemissionen führt. Diesen Selbstbetrug begünstigt die geltende Typenzulassungsunkultur, die von staatlicher Seite über die Jahrzehnte etabliert wurde.

Apropo Staat. Das Land Niedersachsen, das gleichsam gesetzlicher Miteigentümer von VW ist und weit reichende Rechte hat und eine qualifizierte Kontrolle ausübt, muss sich, wie alle anderen Kapitalvertreter, sagen lassen, dass es den Abgasskandal, der ja eine Systemkomponente hatte, nicht mit bekommen hat. Auch der Betriebsrat, der bei VW eine massive Sonderrolle spielt, und der in den Betrieben vor Ort, auch in den Ingenieurbüros hart am operativen Geschäft vertreten ist, konnte in dieser Sache kein Ruhmesblatt erwerben und schweigt auch betreten, ebenso wie die Regierung Weil.

VW hat eine gewisse Systemrelevanz

Sicher wird Merkel beim amerikanischen Präsidenten im Hintergrund um eine milde Behandlung des Falles nachsuchen. Die mag auch im Interesse der gesamten Automobilbranche liegen, in der sonst Konkurrenzkampf angesagt ist, einem Konkurrenzkampf, von dem im öffentlichen Raum, was die Abgasnummer anbelangt, nicht viel zu spüren ist.

Bislang hat VW kein überzeugendes Krisenmanagement hingelegt und VW tut sich immer noch schwer mit der Kommunikation, mit einer Erklärung, die die Gemüter beruhigt und verloren gegangenes Vertrauen zurück gewinnt. VW mit über 600 000 Mitarbeitern hat im Rahmen einer Volkswirtschaft, in deren Produktivbereich vielleicht nicht einmal 30 Millionen Menschen schaffen, eine gewisse Systemrelevanz. Deswegen geht der VW-Skandal alle etwas an und Regierung und Gesetzgeber müssen nachholen, was seit langem überfällig ist, nämlich realistische Abgasvorgaben festlegen, realistische Prüfmethoden einführen und ein transparentes Prüfverfahren etablieren.

Der Verbraucherschutz muss durch eine gesteigerte Informationspflicht inklusive gewisser Erläuterungen, warum welcher Abgaswert wichtig ist und was Umwelttechnik kostet gestärkt werden. VW sollte wegen des Fehlverhaltens einzelner, die einen vergleichsweise abstrakten Schaden angerichtet haben, nicht in eine übermäßige Haftung gebracht werden. Die Kosten des Skandals gehen nicht nur auf den Gewinn, der vor allen Dingen die Kapitalseite interessiert, sondern sie drücken auch auf die Arbeitsplätze und auf die Zukunftsinvestitionen in neue umweltfreundliche Technologien und neue Marktanforderungen.

Sich die Hände reibende Anwälte, die überall, vor allem auch in den USA in den Startlöchern stehen, sind die ungeeignetsten Krisenmanager. Von ihnen darf sich der VW-Konzern das Krisenmanagement nicht aus der Hand nehmen lassen.