Tichys Einblick
Bettina Röhl Direkt

Bettina Röhl direkt – Das Geld kommt aus der Steckdose

© P. Schirnhofer

Die Wirtschaft läuft von allein? Eine große allgemeine Ignoranz stützt die Konjunktur. Wo ist das Problem?

Die alt bekannten Gesetzmäßigkeiten und Erklärungsmodelle, die angewandt wurden, um das allgemeine wirtschaftliche Geschehen zu qualifizieren, zu quantifizieren und vor allem auch vorhersagbar zu machen, gelten plötzlich nicht mehr. Staatsschulden, Bankenkrisen, Eurokrise, Wettbewerbsmängel der Euro-Südländer, konzeptlose Schulden-und Haftungsunionen, und viele finanz- und wirtschaftstechnische Risiken mehr – das alles macht nichts, die Menschen kümmern sich nicht drum. Und die Regierungen auch nicht. Die inflationäre Aufblähung der Wirtschaft mit fiktiven Finanzprodukten? No problem! 

Die deutsche Renten-Sozial-und Krankenversicherungssysteme stehen vor absehbaren, kaum lösbaren Problemen. Statt vorzubauen, lässt der Staat die Kiste laufen und die Menschen gehen auch hier schlicht und ergreifend nicht hin. Auch Deflationsszenarien, die üblicherweise verunsichernd und konjunkturbelastend wirken, interessieren niemanden. Gleichzeitige Inflationsszenarien ohnehin nicht. Und die deutsche Energiewende, die bisher nur Geld verschlungen hat und weiter Geld verschlingen wird, bei gleichzeitigem rapiden Wachstum des antarktischen Eises, dessen Abschmelzen eine wesentliche Begründung für die Energiewende ist, kratzt niemanden.

Obamas „drei Geißeln der Menschheit„, nämlich Ebola, Ukrainekrise samt der wirtschaftlichen Folgen der Sanktionen gegen Russland und Isis im mittleren Osten, laufen unter der Kategorie, take it easy, Baby. Selbst unverantwortliche Spielereien einiger Westmedien und Politiker mit dem vierten atomaren Weltkrieg, stören niemanden. Das alles macht nichts, man geht einfach nicht hin. Apropos Krieg, die Bürgerkriege und die kriegerischen Auseinandersetzungen, die in diesem Moment auf dieser Welt laufen und viele Menschen das Leben kosten und die Leid erzeugen, die wirtschaftliche Schäden erzeugen und die Flüchtlingsströme erzeugen, die ihrerseits die betroffenen Länder belasten und auch die Zufluchtsländer – alles ganz uninteressant. Man schläft perfekt.

Auch die destabile Lage in den Maghrebstaaten, in Ägypten, in Saudiarabien sind kein Thema. Die angespannte Lage im Nahen Osten, zwischen Israel und seinen Nachbarn, die die Welt sechzig Jahre in Atem hielt, ist in der Wahrnehmung der Menschen zum unwichtigen Randgeschehen geworden. Die Lage im Irak, in Syrien und in der Region, wo es nicht nur den sogenannten Isis-Terror gibt, sondern darunterliegend eine grundsätzlich ungeklärte Situation, was zum Beispiel auch für den von den Kurden angestrebten eigenen Staat gilt? So what! Auch die in den Medien vorgeführte, als archaisches Menschenschlachten qualifizierte Brutalität von Isis, ist ebenso ein not interested wie die Erkenntnis, dass hinter Isis mächtige, finanziell potente, sich der Modernität bedienende Strukturen stehen. Bomben auf Isis sind eigentlich nur eine Show. Isis ist im Westen viel weniger auf den Straßen, wie manche behaupten, angekommen, als vielmehr in den Köpfen der Nomen Klaturen.
Das Verschwinden des Laizismus, also des westlichen Modells auf der Welt, die Aushöhlungen der Verfassungen im Westen? Alles kein wirkliches Ding! Die allgemein erkannten Fehler der Migrations- und Integrationspolitik mit einem Anwachsen der Bevölkerungsteile, die nicht auf dem globalen Wettbewerbsniveau mitspielen können, werden ignoriert. Poröse Bildungssysteme, die einer Art permanenten Revolutionierung durch Bildungsideologen unterliegen und auf Breite auf niedrigstem Niveau, statt auf Weltmarkttauglichkeit, also auf Qualität zu setzen, die die Wirtschaft mit den dringend gesuchten hochqualifizierten Kräften der Zukunft versorgen müssten, werden reaktionslos toleriert. Schließlich kann man ja Hochqualifizierte zum Beispiel aus Indien „importieren“, die dann allerdings in ihren Herkunftsländern fehlen. Aber wen beschwert das hierzulande?

Verschwenderischer EU-Bürokratismus – Verschwendung heißt immer Geldwertvernichtung – that’s life!

Gender Mainstreaming, das unter dem Stichwort Geschlechtergerechtigkeit zum Schaden der Wirtschaft Frauen und Männer gegeneinander hetzt, spaltet die Gesellschaft entlang den Kulturen; die migrantische Gesellschaft wird von Gender nicht nur nicht erreicht, sondern sie ignoriert Gender schlicht als westliche Dekadenz. Auch das ficht Niemanden an.

Geld kommt von der Bank wie der Strom aus der Steckdose

Die Liste der wirtschaftlichen und politischen Imponderabilien und Katastrophen lässt sich beinahe beliebig verlängern, und das Ganze noch ohne ins Detail zu gehen. Nach klassischen Maßstäben wäre die Wirtschaft längst implodiert, wären die Finanzmärkte noch unter das Niveau des berühmten schwarzen Freitag gefallen. Das passiert nicht, weil die Politik der Geldmengenvermehrung auf niedrigstem Zinsniveau durch fiskalische, so gesehen noch gesteuerte Maßnahmen einerseits, aber auch die Geldmengenvermehrung durch nicht mehr zu überblickende ungesteuerte Finanzierung ganzer Staaten mittels der schon erwähnten fiktiven Finanzmarktprodukte, die Wirtschaft höchst real am Leben hält.

Dabei ist es keine Unbekannte, dass eben diese Geldflut, die die EZB hemmungslos in Überdehnung ihres Auftrages zum Zwecke der Finanzierung von Staaten und systemrelevanten Banken miterzeugt, einen Risikofaktor eigener Art mit wahrer Systemrelevanz darstellt. In Zeiten real nicht gedeckter öffentlicher Haushalte und eines gar nicht mehr auf reale Deckung überhaupt abzielenden Finanzmarktes, sind unübersehbare Geldmeere ein wahrhaft unüberschaubares Risiko. Schließlich steckt hinter jedem Dollar oder jedem Euro immer noch eine Forderung eines Gläubigers an den Schuldner. Das Geld kommt in der öffentlichen Wahrnehmung von der Bank wie der Strom aus der Steckdose, aber wie das Geld in die Bank und der Strom in die Steckdose reinkommen, ist für die Empfindungslage der Menschen kaum noch bedeutsam.

Mag sein, dass die Spirale, die beinahe wie eine Kettenreaktion abläuft, mit immer neuem, vermehrten Geld aus der Geldpresse alte Schulden zu bezahlen, sich weiter dreht. Mag sein, dass nicht. Solange die Finanzmärkte zum Schaden ihrer Anleger das sogenannte Vertrauen haben, dass beispielsweise die Schuldnerstaaten, die aus eigener Kraft bereits seit längerem nicht mehr zahlungsfähig sind, immer noch finanziell werthaltige Bürgen finden, scheint alles in Butter. Das ist das Kalkül zum Beispiel eines Mario Draghi. Das ist allerdings auch seine einzige Masche. Und es stört Niemanden, dass er mit dieser Masche die für notwendig erkannten Radikalreformen, zum Beispiel in den kränkelnden Euro-Ländern, torpediert. Geld fördert Erfindungsgeist, das ist die eine Hälfte der Wahrheit. Die andere Hälfte der Wahrheit heißt: Not macht erfinderisch.

Es gibt keine guten oder schlechten Zeiten mehr

Die Wirtschaft läuft von allein. Oder doch nicht ganz? Zu den alten Gesetzmäßigkeiten gehörte die Weisheit, dass die Wirtschaft zum großen Teil oder vielleicht ganz Psychologie sei. Das waren fürwahr noch herrliche rationale Zeiten. Schließlich ist mit dem Spruch von der Psychologie gemeint gewesen, dass es reale Ereignisse gab, auf die die Masse der Menschen gruppendynamisiert über- oder unterreagierte und aus dieser eigentlichen Fehlreaktion einen Glauben an gute oder schlechte Zeiten entwickelte, die dann auch gut oder schlecht waren. Dieser Reflex auf die Realität scheint derzeit völlig verschwunden zu sein, und das ist eine neue Qualität. Eine allgemeine Ignoranz, eine wahnhafte Coolness, spaltet Realität und Wahrnehmung. Aus einem nicht erkennen wollen, ist ein nicht erkennen können geworden. Die Menschen sind informierter denn je, sind aber schizophrener Weise nicht in der Lage die indizierten Schlüsse zu ziehen.

Natürlich gibt es noch die totgesagten Lagerkämpfe zwischen Links und Rechts, zwischen Kapitalismus und Sozialismus in modernen Gewändern, aber auch diese Antagonismen, werden in Ignoranz scheinbar aufgelöst. Legitime eigene Interessen, die für alle anderen im Sinne des Rechts- und Wirtschaftsfriedens kalkulierbar wären, werden wider die Vernunft nicht mehr formuliert, geschweige denn verfolgt. Stattdessen deliriert die Gesellschaft bei vollem Bewusstsein und anfällig für jede Mode und für unendlich viele Scheinsachzwänge oder Scheinlegitimitäten durch die komplexe Realität, die noch nie in der Menschheitsgeschichte so gefahrgeneigt gewesen ist wie derzeit.

Die gesellschaftlich extrem wichtige Kategorie Moral ist zur Definitionssache verkommen, und Petitessen und im großen oder gar Weltmaßstab gesehen krümelhafte Kleinigkeiten werden zu Wichtigkeiten aufgebauscht. Das gesellschaftliche Koordinatenkreuz ist verloren gegangen.

Und dadurch ist auch das wirtschaftliche Koordinatenkreuz weg. Die Menschen im Westen und speziell in der Bundesrepublik hat ein sahnemäßig sattes Glückseligkeitsempfinden fest im Griff, und man hat den Eindruck, dass es sich dabei um eine Reaktion aus dem tiefsten Unterbewusstein auf die als erdrückend empfundene Last der schlafenden Katastrophen handelt.

Der politisch-ökonomische Mainstream hat Ähnlichkeit mit einem großen Suff

Der Ifo-Klimaindex ist bekanntlich ganz aktuell das sechste Mal in Folge gefallen.
Aber dies empfinden jetzt selbst die notorischen Skeptiker unter den Fachleuten als Zufälligkeit im allgemeinen Auf und Ab der Wirtschaft. Solange die große Ignoranz die Wirtschaft trägt, kann das rein faktisch gesehen richtig sein, aber wenn strotzende Borniertheit die Ursache der Stärke ist, braucht es umgekehrt auch keines Geschäftsklimaindexes mehr, dessen Erhebung schließlich viel Geld kostet.

Der politisch-ökonomische Mainstream hat Ähnlichkeit mit einem großen allgemeinen Suff, der für Katerängste keinen Raum hat. Und das ist der Joker der Schäubles, der Merkels, der Draghis, die mit dem Heiligenschein herumlaufen: Seht her, alles läuft bestens. Konsumiert schön! Das stützt die Konjunktur. Die Wirtschaft läuft von selbst!

Die Banken bestehen den extra dafür konzipierten Stresstest. Die Gesellschaft und die Welt werden immer friedlicher. Die Starken helfen den Schwachen. Der explodierende Luxus im Land und die sich ausdehnende Armut, also die berühmte, sich öffnende Einkommensschere, ist etwas für Miesepeter, die sich randständig aufregen dürfen. Und der besoffene Mainstream hat einen Hass auf jeden Boten der Realität und entfesselt seine Meinungsdiktatur bis zur Erstickung der Gedankenfreiheit der Verfassung. Reale und intellektuelle No Gos beherrschen das System und dazwischen wabern aufgedunsene Probleme, mit denen sich die Menschen beschäftigen, die es realiter gar nicht oder im Weltmaßstab nur nebenseitig gibt. Es ist die Ausschaltung der Psychologie, die Ausschaltung jeder Moral, es ist eine gefährliche Ignoranz, die die Wirtschaft laufen lässt.