Tichys Einblick
Religionskritik

AfD: Gehört der Islam zu Deutschland?

Der Reflex kommt prompt. Alle Parteien, viele Verbände und Medien stürzen sich, bewaffnet mit Art. 4 GG, der Religionsfreiheit, auf die AfD: Die Partei sei verfassungswidrig, rechtspopulistisch, brandstiftend, demokratiefeindlich und mit der NSDAP zu vergleichen. Denn die AfD will Vollverschleierung, Minarette und den Ruf des Muezzin verbieten. Doch erstmal muss geklärt werden, was Religionsfreiheit meint und will.

Zur Einstimmung in dieses Thema soll hier der Wortlaut von Artikel 4 ausnahmsweise einmal abgedruckt werden. Alle verweisen auf Artikel 4. Das scheint nicht auszureichen.

Art. 4 GG: Glaubens- Gewissens-und Bekenntnisfreiheit, Kriegsdienstverweigerung

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

Die Psychologen haben zum Schutz ihrer Wissenschaft den Begriff der Küchenpsychologie erfunden, gemeint sind die unstudierten Quacksalber, von denen es in Deutschland gefühlt mehr als Einwohner gibt, die mit schlauem Bauch genau über die Seelenlage eines anderen Menschen Bescheid wissen. Den Begriff des Küchenverfassungsrechtlers gibt es zwar nicht, aber vielleicht sollte auch dieser Begriff erfunden werden. Die Grundrechte in der deutschen Verfassung sind keine Joker, die man einfach nur so vor sich hinblödelt, um schon recht zu haben. Nach dem Motto: Artikel 14, Eigentumsschutz, alles klar, alles gehört mir! Oder Artikel 5, Meinungsfreiheit, alles hört auf mein Kommando! Oder Art. 4 Glaubens-Gewissens-und Religionsfreiheit nach der Devise, alles glaubt an meinen Gott!

Ein bisschen kühler und ganz exakt an der Verfassungsrechtslage orientiert, sollten öffentliche Diskurse, die die Grundrechte berühren, geführt werden. Wenn Kreti und Pleti einfach in den Medien, in der Politik, in Verbänden, Parteien usw. quasi als Reflex auf irgendetwas lauthals Art. XY krähen, dann sollten der Rechtsstaat und seine Organe darauf achten, dass nicht irgendwelche intellektuellen Shitstorms umgestaltende Kraft über die Verfassung erhalten.

Gehört der Islam zu Deutschland?

Diese Frage wurde in den letzten Jahren mehrfach unterschiedlich differenziert und meist nur mit einem oder zwei Sätzen von deutschen Politikern beantwortet. Der amtierende Bundespräsident Joachim Gauck hat sich kurz nach seinem Amtsantritt in klarer Abgrenzung zu seinem Vorgänger Christian Wulff dahingehend geäußert, dass der Islam nicht zu Deutschland gehöre, weil er keine geistig-kulturell prägende Wirkung in Deutschland hat, dass aber die hier lebenden Muslime zu Deutschland gehören. Wulff habe die Bürger auffordern wollen, sich der Wirklichkeit zu öffnen, sagte Gauck in einem Interview mit der Zeit: „.(…) die Wirklichkeit sagt, dass in diesem Lande viele Muslime leben. … Ich hätte einfach gesagt, die Muslime, die hier leben, gehören zu Deutschland.“

Die Feststellung, dass eine Religion nicht zu Deutschland gehört, ist also offensichtlich kein Verstoß gegen Art. 4 GG, in dem ja auch Religion abstrakt geschützt wird und in dem nicht steht, dass eine geschützte Religion „zu Deutschland“ gehören müsste.

Volker Kauder, Chef der Unionsfraktion im deutschen Bundestag sagte im April 2012 in der Passauer Neuen Presse: „Der Islam ist nicht Teil unserer Tradition und Identität in Deutschland und gehört somit nicht zu Deutschland.“

Und auch Stanislaw Tillich stellte im Januar 2015 fest, „Muslime sind in Deutschland willkommen und können ihre Religion ausüben. Das bedeutet aber nicht, dass der Islam zu Sachsen gehört.“

Sowohl Gauck als auch Merkel wiesen, Ersterer im Oktober 2010, Letzere ebenfalls im Jahr 2010 daraufhin, dass die Migration respektive Multikulti problematisch bzw. gescheitert sei.

Und WELT-Chefredakteur Stefan Aust konstatierte Ende des Jahres 2015 in einem Brief an seine Leser:

Eine Million Flüchtlinge in Deutschland eine Koalition, bei der jeder in der Öffentlichkeit etwas anderes sagt als unter vier Augen. Und eine Bevölkerung, die nicht mehr so recht weiß, wen sie eigentlich wofür gewählt hat.“

Und BILD kommentiert heute: „Warum wir die AfD in der Islam-Debatte nicht niederbrüllen sollten!“

Und in der Tat gibt es viele Politiker aller Parteien, die zum Thema Einwanderung, de facto also zum Thema der zum ganz überwiegenden Teil muslimischen Einwanderer, etwas Anderes, Skeptisches von sich geben, als sie in der Öffentlichkeit mainstreamig vortragen. Summa summarum, der Islam wird von der Nomen Klatura, offen oder verdeckt, als nicht zu Deutschland gehörig angesehen, was nichts mit der Schutzwirkung von Artikel 4 zu tun hat.

Break Even wird nicht allzu lange auf sich warten lassen. Dann wird es in Deutschland eine muslimische Mehrheit von einem bestimmten Geburtsjahr an geben. Die älteren Jahrgänge der Deutschen mit deutschen Wurzeln sterben altersbedingt aus der Gesellschaft heraus. Insofern haben die Gauck und Kauder natürlich recht, wenn sie sich Gedanken machen, ob der Islam zu Deutschland gehört oder nicht. Wenn es eine muslimische Mehrheitsgesellschaft in Deutschland gibt – das Potenzial der Einwanderer aus muslimischen Ländern ist sehr hoch – wird der Islam Deutschland sein. Dann werden der Agnostiker, der Atheist und der Christ auch den Anspruch verlieren, für sich die abendländische Prägung aus Christentum, Judentum, Reformation, Aufklärung, Kommunismus und Kapitalismus zu reklamieren.

Missliche Konkurrenz AfD

Am letzten Wochenende nun hat die Republik ein kleines Beben erlebt: Die ungeliebte AfD, die alle anderen Parteien als missliche neue Konkurrenz erleben, weil sie Stimmen bei den Nichtwählern, aber auch bei den etablierten Parteien abgräbt, trat, was zu Erwarten war, mit ihrer Positionierung zum Islam nach vorn.

Das AfD-Programm soll zwar erst in 14 Tagen beschlossen werden, aber Parteivize Beatrix von Storch legte vor: Die AfD wolle keine Minarette mehr zuzulassen, die Vollverschleierung von Frauen verbieten und die Rufe des Muezzin zum Schweigen bringen, weil, wie Beatrix von Storch betonte: (…) es Ausdrücke (…) nicht des individuell gelebten Glaubens sind, sondern des politischen Islam mit seinem Anspruch einem politischen Herrschaftsanspruch in den politischen oder in den öffentlichen Raum hinein zu wirken.(…)

Der Islam gehöre nicht zu Deutschland“ (…) „Der Islam ist an sich eine politische Ideologie, die mit dem Grundgesetz nicht vereinbar ist“ sagte Beatrix von Storch am letzten Sonntag der FAS.

Ähnlich äußerte sich der AfD-Fraktionschef und stellvertretende Parteivorsitzende Alexander Gauland „Der Islam ist keine Religion wie das katholische oder protestantische Christentum, sondern intellektuell immer mit der Übernahme des Staates verbunden. Deswegen ist die Islamisierung Deutschlands eine Gefahr“. Und: „Wir sind ein christlich-laizistisches Land, der Islam ist ein Fremdkörper. Einen Euroislam gibt es in Wirklichkeit nicht“.

Der AfD-Bundesvorsitzende Jörg Meuthen forderte eine «Dominanz christlich geprägter Religion» in Deutschland. Diese wolle man auch zahlenmäßig auf Dauer aufrechterhalten, sagte er dpa. Der Islam gehöre nicht zur Bundesrepublik – allerdings gehörten zur Realität Deutschlands Muslime, die das Recht hätten, ihren Glauben hier zu leben. „Es muss aber klar sein, dass dabei die vollständige Einhaltung der Gesetze gewahrt wird. Wo Muslime sich etwa auf die Scharia beziehen, müssen unsere Gesetze Vorrang haben.“  Außerdem fordere die AfD, Koranschulen und Moscheen zu kontrollieren.

Die Reaktion kam prompt: Niemand, der sich berufen fühlt, seine Stimme öffentlich zu machen, konnte noch an sich halten. Da war sie wieder in aller Munde: Die hässliche AfD: Die Rechtspopulisten, die Brandstifter, die Verfassungsfeinde, die NSDAP-Ähnlichen usw.usw. so tönte es aus allen Parteien, allen Lagern und allen Medien. Und wie immer in solchen Situationen, keiner mag fehlen und jeder möchte noch eins oben draufsetzen. 

Man kann die wieder entfachte, eigenartig sich selbst formierende Wut auf die AfD nur noch mit einem gewissen religiösen Wahn vergleichen. Die Einlassung von Jörg Meuthen ist inhaltlich identisch mit dem Text des FAZ-Autors Reinhard Müller „Die Muslime gehören zu uns“.

Attitüde und Atmosphäre des FAZ-Textes erzeugen allerdings den Eindruck, als würde dort eine diametral andere Weisheit, ein politisch korrektes Islamverständnis gepredigt. Es ist schon seltsam, wie die Mainstreamverhaftung viele Köpfe selbst für die eigene Meinung blind macht.

Die AfD-These, dass der Islam nicht zu Deutschland gehört, das haben wir eingangs dieses Textes gelernt, ist Konsens, mindestens aber eine unverdächtige Einschätzung der Realität, auch wenn Merkel sich zwischenzeitlich Christian Wulffs Auffassung, der Islam gehöre zu Deutschland, angeschlossen hat. Sonst würden Gauck und Kauder und die vielen Anderen schließlich nicht vor kurzer Zeit gesagt haben: Der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Dass die Menschen muslimischen Glaubens, die hier leben, zu Deutschland gehören, ist offenbar auch Konsens in der AfD.

Jeder hat die Freiheit zu glauben oder nicht zu glauben

Und was hat es nun mit der berühmten, berüchtigten Religionsfreiheit auf sich, mit der, wie gesagt, Kreti und Pleti ihre Vorderlader vollstopfen, um meist bar jeder Kenntnis der Religionsfreiheit auf irgendwelche AfD-Leute zu schießen? Um es klar zu sagen, es bleibt bei dem Titel dieses Textes. Religionskritik. Es geht hier nicht um ein Ergründen der AfD-Politik und deren Diskussion.

Religionsfreiheit, Glaubensfreiheit, Bekenntnisfreiheit, Weltanschauungsfreiheit sind bekanntlich durchaus unterschiedliche Freiheiten. Eines ist diesen Freiheiten gemein: Jeder hat nämlich die Freiheit zu glauben oder nicht zu glauben; eine Religion zu haben oder keine Religion zu haben; eine Weltanschauung zu haben oder keine Weltanschauung zu haben. Jeder hat nach Art. 4 die garantierte Freiheit alles, was andere glauben, auch zu glauben; oder alles, was andere glauben, für komplett falsch zu halten.

Die Grundrechte stehen bekanntlich nicht isoliert nebeneinander, sondern in Beziehung untereinander. Sie haben immanente Schranken, stehen unter Umständen unter Gesetzesvorbehalt usw. – und die Meinungs-und die Wissenschaftsfreiheit gibt es auch noch. Und es gibt Islamwissenschaftler und „den Islam“, hören wir von Muslimen, gibt es nicht. Es gibt nur die unterschiedlichen Islamschulen oder wie man es sonst nennen möchte und das ist ja auch bekannt.

Es gibt auch Islamschulen, die sich gegenseitig friedlich oder unfriedlich bekämpfen. Solche Erscheinungen hat es im frühen Christentum auch gegeben, sie sind Gott sei Dank heutzutage in der täglichen Praxis unüblich geworden.

Religionsfreiheit heißt, dass man einer Glaubensgemeinschaft beitreten kann, frank und frei als autonome Entscheidung. Und dass man frank und frei ganz autonom eine Religionsgemeinschaft auch wieder verlassen kann oder verlassen kann, wenn man zum Beispiel kraft Geburt in sie hinein geraten ist. Religionsfreiheit gibt es für Männer und für Frauen; für Heterosexuelle und Homosexuelle – und alle LSBTTI-Menschen haben ihre Religionsfreiheit. Jeder Mensch hat für sich die gleiche Religionsfreiheit.

Religionswissenschaft, christliche Theologie, jüdische Theologie heißt, wie in jeder Wissenschaft, kritische Fragen stellen und nach Antworten suchen. Es gibt keine dummen Fragen, es gibt nur dumme Antworten und der wissenschaftliche Disput ist selbstverständlich frei von Sanktionen und jeder Bann, jede Fatwa gegen eine Person verstößt unter anderem auch gegen die Religionsfreiheit des Verfolgten.

Rubrum Pschtpscht, Mundhalten, nicht den Rechten in die Hände spielen

Selbstverständlich ist auch die Beschimpfung von Menschen als „Ungläubige“ ein Verstoß gegen deren Religionsfreiheit, auch der Begriff „Ungläubiger“ ist bereits ein Beschneiden der Religions- und Bekenntnisfreiheit des diesermaßen Gescholtenen.

Jemand, der als Christ einen Nichtchristen, sei es als Agnostiker, sei es als Jude, sei es als Moslem als „ungläubig“ schilt, ist ein Agnostophober, ein Judenphober oder ein Islamophober. Umgekehrt, ein Moslem, der einen Christen als ungläubig bezeichnet ist ein Christophober usw. usw.

Die Vokabel Islamophobie hat die Diskussion der Religionen, hat die Religionskritik, die Religionswissenschaften, die Haltung der Gesellschaft und leider auch der Justiz zu den Religionen verkleistert und verblödet.

Egal wie es quantitativ aussieht, ob es mehr Angriffe aus der muslimischen Welt hierzulande auf die christliche, jüdische oder die agnostische Welt gibt oder ob es mehr Angriffe von Agnostikern gegen die religiösen Menschen gibt usw., eines steht fest, es gibt solche Angriffe in alle Richtungen, aber es gibt keine qualitative und quantitative Bewertung, zum Beispiel auch keine Statistiken solcher gegenseitigen Angriffe, die irgendeinen Realitätsbezug haben.

Aber der öffentliche Raum ist voll mit meist sehr abstrakt gehaltenen Angriffen, die Muslime auszuhalten hätten und einer zumeist verschwiemelten und verschwurbelten Masse von Angriffen auf Nicht-Muslime durch Muslime, die unter dem Rubrum Pschtpscht, Mundhalten laufen, um nicht den Rechten in die Hände spielen.

Die Tatsache, dass ein Täter Deutscher mit deutschen Wurzeln ist, wird öffentlich breitgetreten. Das gehört zu dem System mit Schieflage. Ein Täter mit deutschem Pass und ausländischen Wurzeln fließt dann einfach nur als Deutscher in die Statistik ein. Umgekehrt ist das deutsche Opfer mit deutschen Wurzeln gleichsam kein Opfer. Zum Opfer wird bevorzugt, wer Deutscher mit ausländischen Wurzeln ist und erst recht, wer Ausländer ist. Und immer mehr spielt die Religionszugehörigkeit in der einen oder anderen Form eine Rolle. Das ist auch ganz selbstverständlich, weil die Zahl der Ausländer muslimische Glaubens ständig steigt.

Während muslimische Täter in der öffentlichen Darstellung der Einzelfall sind und die Muslime als Ausländer apriori die Schwächeren und die Benachteiligten sind, sind alle anderen Menschen tendenziell zu Tätern geworden. Das alles festzuhalten, ist wichtig, um die Realität der Religionsfreiheit in Deutschland überhaupt einmal wissenschaftlich durchdringen zu können. Einfach nur hornochsig zu muhen: Religionsfreiheit, Religionsfreiheit, schießt voll am Ziel vorbei. Deswegen ist die Aufregung, die die AfD jetzt gewollt oder ungewollt bewirkt hat, auch ein Zeichen für eine völlig ideologisierte linksmainstreamige Verwirrtheit der Gesellschaft, der es nicht um Fakten geht.

In Gottesstaaten gibt es keine Religionsfreiheit

Die meisten Muslime, mehr als 1 ½ Milliarden leben in Gesellschaften oder Staaten, in denen es keine laizistische Tradition gibt. Kemal Atatürk hat versucht, mit eiserner Faust den profanen Staat (Gleichberechtigung der Frau usw.) in der Türkei durchzusetzen. Erdogan dreht das Rad der Geschichte wieder zurück. Der von den Vorläufern des heutigen linken Mainstreams hysterisch gehasste Schah von Persien stand auf royal-autokratischen Laizismus und Frauenemanzipation. Auch dort wurde das Rad der Geschichte zurückgedreht. Ähnlichen Rückschritten hat der Westen den Boden in Nordafrika, Ägypten, im Irak und in Syrien Vorschub geleistet.

Und natürlich gibt es in Gottesstaaten für andere Religionen oder Agnostiker oder Kommunisten, Sozialisten oder sonstige keine Religionsfreiheit.

Es ist das erklärte Ziel der Bundesregierung, siehe Doppelpassregelung, Deutsche mit ausländischen Wurzeln den Kontakt in die Herkunftsländer der Familien zu erleichtern und diesen Kontakt aufrecht zu erhalten. Das wirkt desintegrativ über Generationen und es fördert kein Verständnis für die konstitutionelle Religionsfreiheit westlicher Prägung.

Die Christen sind die meist verfolgte Religionsgemeinschaft der Welt. Das wird bestenfalls mit einem müden, süffisanten Bedauern quittiert.  Auch die anerkanntermaßen, zum Teil überbordenden Probleme, die es im Zusammenleben der Parallelkulturen hierzulande gibt, werden in den Bereich „nicht existent“ verschoben. Es gibt muslimische Mission und es gibt auch unbestritten einen politischen Islam. Nicht jede religiöse Betätigung ist von der Religionsfreiheit gedeckt. Anders ausgedrückt: Politik, die sich nur zum Schein religiös nennt, kann bereits aus logischen Gründen nicht von der Religionsfreiheit gedeckt sein. Riten, Gebräuche oder Unarten wie etwa die Klitorisamputation können von der Religionsfreiheit nicht gedeckt sein.

Es gibt religiöse Regeln, die mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sind, weshalb zum Beispiel das alte Testament von Niemandem mehr täglich umgesetzt wird. Und so müssen sich alle Religionsgemeinschaften dem Verfassungsstaat, der die Religionsfreiheit garantiert, im Kollisionsfall den Normen unterordnen.

Wer Religionsfreiheit reklamiert, muss Religionsfreiheit leben. Das ist kein einseitiges Geschäft. Tätliche Angriffe (in jedem tätlichen Angriff liegen auch Hetze und Beleidigung) sind ein Verstoß gegen die Religions-und Weltanschauungsfreiheit, aber auch gegen Meinungsfreiheit, gegen das Gleichbehandlungsgebot und vieles mehr.

Der Islamismus oder besser die unzähligen Islamismen vereinfachen die Religionsdiskussionen nicht. Zur Religionsfreiheit gehört, dass der religiöse Mensch seine Religion ausübt und zeigt und sie gut findet, wie es auch zur Religionsfreiheit gehört, areligiös zu leben und diese Haltung zu zeigen und gut zu finden. Auch Religionskritik gehört zur Religionsfreiheit und auch, warum man welche Religion nicht gut findet, falls es so sein sollte.

Es muss sich auch tatsächlich um Religion handeln

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Kopftuchurteil einiges zu den Grenzen der Religion gesagt, vielleicht nicht genug. Es reicht nicht, dass jemand sagt, dies oder jenes ist meine Religion und jetzt habe ich meine Freiheit. Es muss sich auch tatsächlich um Religion handeln und da fängt ein weithin ungeklärter Bereich an. Die Verfassung sagt nämlich nicht, was Religion ist.

Wie ist es mit dem Hinduismus, dem Buddhismus? Was macht das Christentum zur Religion? Was macht den Islam zur Religion? Das sind Fragen, die gestellt werden dürfen. Und wenn die AfD den unter öffentlichen Tabuschutz stehenden Islam hinterfragen will, dann kommt es erstmal weniger auf die guten oder schlechten Motive der AfD an, sondern auf die exakte Fragestellung und die möglichen Antworten. Die Muslimvertreter würden einiges an Sympathiewerbung leisten, wenn sie nicht einfach nur sehr schwarz-weiß mit Hetze draufhauen würden (NSDAP-Vergleiche), sondern im Dialog und in der Sache dialektisch auf Fragen und Anregungen eingingen und sich selber auch fragend einbringen würden.

Dialog ist keine einseitige Angelegenheit. Und Religionsfreiheit ist, wie schon gesagt, eine interaktive, eine soziale Freiheit in dem immer auch die Religionsfreiheit, die Glaubensfreiheit usw. der anderen berücksichtigt wird. Also sollte der Schaum vor den Mäulern, der den öffentlichen Diskurs belastet und vergiftet, ein bisschen in Papiertaschentuch verschwinden. Warum nicht der AfD sachlich antworten, dass deren Fakten zum Islam nicht oder so nicht stimmen.

Der belgische Innenminister erhebt schwere Vorwürfe gegen die Muslime seines Landes. Er wolle das Mainstreamschweigen durchbrechen: Ich nenne eine Katze eine Katze. Viel zu viele Muslime hätten nach den Anschlägen von Brüssel vor Freude getanzt. Die Terroristen der Brüsseler Terroranschläge sagte Jambon, seien „nur ein Pickel“. „Darunter befindet sich ein Krebsgeschwür, dem viel schwerer beizukommen ist“. Dieser Terror ist die Pervertierung der Religionsfreiheit, er hat sich faktisch unter dem Schutz der Religionsfreiheit als einer Bedingung entwickelt.