Tichys Einblick
Reserve gib Ruh

Der Chor der Untoten und eine journalistische Solostimme

Besondere Zeiten ziehen auch Politikrentner an. Ihre wohlfeilen „Ratschläge“ sind aber mehr stillose Schläge als nutzender Rat.

© Odd Andersen/AFP/Getty Images

Eigentlich sollten wir ja ein wenig Nachsicht üben mit untoten Politikrentnern. Ist nicht schön, im Schatten der medialen Sonne auf dem verschlissenen Parkbänkchen alles besser zu wissen: wer will das wissen? Hier und da ein Büchlein mit Weisheiten aus der Rentnerstube: tja, damals, was waren wir für Mordsmollys (nur so viel dazu: die Vorhersagen zum Ausgang der Bundestagswahlen und ihrer Folgen einiger der politischen Handleser und Glaskugel-Glotzer sprachen jetzt eher nicht für exquisite analytische Begabung!). Ansonsten: über allen Parkbänken is Ruh!

Doch diese besonderen Zeiten reizen auch die Vormaligen zu großen rhetorischen Aufschwüngen. Einer nach dem anderen der „Hasbeens“ entsteigt der feuchten Gruft der öffentlichen Wahrnehmung, jede Woche quietscht irgendwo der Deckel eines Sarges der Bedeutungslosigkeit und erhebt sich der quälende Totengesang der politisch Untoten. Und eine Stillosigkeit nach der anderen entfleucht den von den einschlägigen Langweiler-Medien nur zu gern Befragten.

Den Anfang, fast hätte man größere Geldmengen darauf setzen können, machte die ewige beleidigte Leberwurst Friedrich Merz. „Wenn die CDU diese Demütigung auch noch hinnimmt, dann hat sie sich selbst aufgegeben“, fällt ihm zum Koalitionsvertrag ein. Ja, vom „selbst aufgeben“ versteht er was, der Politikflüchtling, der von Kohls Mädchen aus dem Amt des Fraktionsvorsitzenden gekegelt wurde. Warum, Herr Merz, haben Sie eigentlich damals den Kampf nicht an- und aufgenommen? Vielleicht weil Sie sich zu schade waren? Das ist nicht ehrenrührig, ehrenrührig ist es, sich zum Geldverdienen aus dem Staub zu machen und dann aus dem reichlich kommod ausgestatteten Austragshäusl billige mediale Rache zu üben – denn es warten noch viele Menschen auf Ihre Wiederkehr. Das ist Verpflichtung. Auf in den Kampf!

Aber der Chor der Rache schwoll an. Auch Roland Koch, Ex-Ministerpräsident und einst auch Mitglied des männerbündlerischen „Andenpakts“, den Frau Merkel mit links pulverisiert hatte (und woran die CDU bis heute durchaus leidet), diktierte seine Sprüche einem willfährigen Redakteur seiner ehemaligen Hauspostille FAZ. „Die Parteiführung, und eben auch die Vorsitzende Angela Merkel, schulden den Wählern eine Antwort auf die Frage, welches die nächste Generation ist, die Verantwortung übernimmt.“ So etwas, setzt der politische Schattenmann hinzu, könne man „entweder von oben gestalten, also die nächste Generation ins Kabinett holen“, oder es geschehe „aus einer innerparteilichen Opposition“ heraus. Ja, ja, die Lage der CDU ist denkwürdig miserabel! Darf man dann die Politik und damit seine Partei fluchtartig verlassen? Und warum muss ein Blatt wie die FAZ einer solchen Stillosigkeit auch noch eine Bühne bieten? Man ahnt es. Eine Redakteurin nannte Koch öffentlichst den „HessenHitler“. Plötzlich versteht man: Irgendwann ist es genug mit dem Aushalten-müssen. Verständnis dräut, warum der eine oder andere die Flucht ergreift – manchen jungen Journalistinnen fehlt nicht nur der Verstand, mehr noch historisches Wissen und Benehmen komplett. Chapeau, Herr Koch. Die Solostimme rechtfertigt manchen Ton, der mal daneben geht.

Zumal der Nachrichtenwert doch sehr begrenzt ist: multipler Hasbeen möchte auch mal wieder in die Zeitung! So auch sein Kumpel aus alten Tagen, Volker Rühe. Der frühere Verteidigungsminister und ehemalige CDU-Generalsekretär sagte dem „Stern“: „Merkel hat für die Zukunft der CDU – und darum sollte es ihr mehr gehen als um ihre eigene Gegenwart – desaströs verhandelt!“ Potzblitz, Herr Rühe! Wo wir doch bis dato der Meinung waren, Sie waren und sind der Idealkandidat für die Rubrik „Was macht eigentlich…?“. Kein Ton in den letzten Jahren von Ihnen zur Chefin Angela, abgetaucht, als es Mut gebraucht hätte, der Dauerkanzlerin mal richtig einen einzuschenken. Jetzt aber, quasi als Held nach Ladenschluss, setzen Sie frohgemut noch eine ganz tolle Analyse drauf: „„Die SPD hat mit Andrea Nahles und Olaf Scholz jetzt gleich zwei potenzielle Kanzlerkandidaten von Gewicht für die Zukunft. Wenn man so will: zwei Asse für die Zukunft. Wir haben nicht mal einen.“ Sie Ass der Vergangenheit: als wenn der Trümmerhaufen SPD bei 16 % keine anderen Sorgen hätte als „potenzielle Kanzlerkandidaten“. Die haben nicht mal eine(n) Vorsitzende(n). Es ist ja nicht nur dumm, es ist auch wirklich derb schlechtes Benehmen, jetzt, wo es jeder tut, wo es also nichts mehr kostet, sich mit einem solchen Quark sein brüchiges Ego durch mediale Scheinwerfer streicheln zu lassen.

Aber die Versuchung der Sonne der Aufmerksamkeit ist eben zu groß. Es trifft auch solche, denen man es dann doch nicht zugetraut hätte. Der hanseatische Nobelmann und ehemalige 1. Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg, Klaus von Dohnanyi, entsteigt seiner Politik-Gruft mit einem besonders bösen Foul. „Ich glaube, die Berufung von Martin Schulz war ein kardinaler Fehler. Ich finde, er ist kein Mann mit einem politischen Instinkt. Er hat große Fehler gemacht und an diesen Fehlern gegenwärtig nagen dann auch noch seine Nachfolger. Einen Mann wie Schulz mit 100 Prozent zu wählen, war natürlich einfach ein Fehler. Es war ein historischer Irrtum“, sagt der Kanzlerin-Intimus in einem Interview mit dem Deutschlandfunk am Donnerstag, wohlgemerkt ein paar Tage, nachdem der Ikarus aus Würselen endgültig abgestürzt war. Mein lieber Schieber: adelig-noble Zurückhaltung und ebensolches Stilbewusstsein geht anders! Hat der denn jeden Anstand fahren lassen? Selbst unter stilmäßig wenig zimperlichen Genossen sollte sich doch vielleicht herumgesprochen haben, dass man auf einem am Boden Liegenden nicht auch noch drauftritt.

Es mag eine altmodische Bitte sein, aber dennoch: lasst die stillosen Politikrentner auf ihren Bänkchen hocken und von alten Zeiten träumen. Wir sind mit den Aufräumarbeiten der neuen Zeiten ausreichend beschäftigt!