Tichys Einblick
Spaniens außergewöhnliches Theaterfestival

Wüstes Land der Eroberer – Mérida in der Extremadura

Das Theaterfestival von Mérida erinnert an Zeiten, als die Extremadura noch reich war. Heute herrscht hier hohe Arbeitslosigkeit und urbanes Chaos, aber auch Hoffnung, dass sich durch die Pandemie etwas verändert.

IMAGO / agefotostock

Jesús Cimarro, einer der erfolgreichsten Kultur-Produzenten Spaniens, redet nicht lange drum herum: „Alles abreißen und schauen, was sich darunter verbirgt“. Nach Meinung des Direktors des Klassischen Theater-Festivals von Mérida wird das Potenzial des historischen Ortes nicht richtig genutzt: „Es ist Weltkulturerbe seit 1993, aber touristisch ist sicherlich noch mehr aus der Stadt zu holen. Ich will gar nicht wissen, was wir hier noch alles finden könnten unter den eher hässlichen 60er Jahre-Bauten“. Mérida, das auch durch den bedeutenden spanischen Fluss Tajo historische Bedeutung erlangte, wurde im Jahre 25 v. Chr. von Kaiser Augustus als Kolonie für Veteranen der Römischen Legionen gegründet, obwohl es weit weg vom Meer liegt. Einige der von den Spaniern fast zufällig entdeckten Bauten aus dieser Zeit – Amphitheater, Tempel, Brücken und Aquädukte – sind heute Teil der Aufführungsorte des international bekannten Events.

Dieser findet seit 1933 mit Unterbrechungen jedes Jahr im Sommer mit weit über hunderttausend Zuschauern statt. Selbst in 2020 wurde eine verkürzte Version angeboten: „Und dieses Jahr ist eigentlich alles wieder so wie 2019. Wir organisieren mit einem Team von rund 150 Personen 99 Aufführungen von Juni bis August, bei fast gleichen Besucherzahlen“, berichtet Cimarro nicht ohne Stolz. Mérida, auch bekannt wegen einer bedeutenden Schlacht im Bürgerkrieg, wurde 713 von den Arabern erobert und fast komplett verwüstet, aber selbst unter islamischer Herrschaft blieb es lange Bischofssitz. Während der Diktatur und nach dem spanischen Bauboom hat der Ort auf den ersten Blick jedoch seinen historischen Glanz verloren. Die römischen Ausgrabungen passen nicht zu der modernen und teilweise geschmacklosen Architektur. Aber wer sich auf Mérida und seine Umgebung vorbereitet und sich von der chaotischen Stadtplanung nicht abschrecken lässt, wird belohnt.

Solide Theaterkunst vor römischen Kulissen

Zu den Schätzen der Stadt gehört das klassische Theater-Festival, das jeden Sommer den alten Glanz zurückbringt. Die Stadt leidet unter einer Arbeitslosigkeit von weit über 20 Prozent. „Emerita Augusta“ wie Mérida im Römischen Reich genannt wurde, war jedoch vor mehr als 2000 Jahren die Hauptstadt der Provinz Lusitania. Normalweise füllen sich hier schon im Juni die Straβen im Rahmen des Festivals „Emerita Lvdica“, um an die glorreichen Zeiten zu erinnern. Der historische Umzug wurde in diesem Jahr jedoch auf Anfang Oktober verlegt, um die Gesundheitsprotokolle der Pandemie mit noch mehr Geimpften besser einhalten zu können. Weltkulturerbe wurde Mérida vor allem wegen dem Dolmen von Lácara. Das Ganggrab stammt wahrscheinlich aus der späten Jungsteinzeit und ist eines der größten auf der Iberischen Halbinsel. Seit 67 Jahren werden in seiner Nähe im Sommer antike Texte in Theaterstücke verwandelt, griechische und römische Klassiker wiederbelebt und immer wieder neue Werke aus der Antike auf die Bühne gebracht.

„Nur der Bürgerkrieg konnte uns stoppen. Selbst in der Diktatur haben wir unsere römische und griechische Vergangenheit hier in den Amphitheatern gefeiert“, sagt Cimarro, der unterstreicht, dass Mérida das einzige antike Theaterfestival in Europa ist. Inklusive des aktuellen Vertrages bis 2022 ist er seit 10 Jahren der Chef mit seiner Firma Pentación Espectáculos.

Der Erfolg liegt in der Mischung, die durch Tragik-Komödien wie die ausverkaufte Premiere von Shakespeares „Antonius und Cleopatra“ auch Theater-Neulinge anspricht. Das Festival führt die Zuschauer auch ins römische Amphitheater ins benachbarte Medellín, das schon am Eingang an seinen Sohn Hernán Cortes erinnert, den umstrittenen Eroberer von Mexiko. Dieses Dorf wurde anders als Mérida weitgehend erhalten und nicht von wilden Eroberern, Touristen und Spekulanten zerstört. In der dortigen Burg residierte lange einer der härtesten Widersacherinnen des Hofs der Katholischen Könige.

Die Lebensfreude kommt zurück

Das seit langem von Sozialisten regierte Extremadura geht heute jedoch unter im alltäglichen politischen Kleinkrieg zwischen Barcelona, Madrid und Vitoria. Am Eingang von Mérida steht zwar ein Schild „Weltkulturerbe“, aber nicht weit weg residieren inzwischen wie überall die chinesischen Handelsriesen, damit überhaupt noch Geld in die Stadt fließt: „El Corte Pekin“, ein chinesischer Bazaar mit schwarzen und asiatischen Schaufensterpuppen konkurriert an prominenter Stelle mit dem spanischen Luxus-Kaufhaus „El Corte Inglés“.

„Die Pandemie hat uns Spaniern gezeigt, wie wichtig unsere sozialen und historischen Wurzeln sind und dass wir sie pflegen müssen und die Kultur dabei eine wichtige Rolle spielt“, sagt Cimarro. Wer derzeit jedoch durch den 60.000-Einwohner-Ort fährt, fühlt sich hin und hergerissen zwischen römischem Reichtum und spanischem Bauchaos. Neben beindruckenden Ausgrabungen stehen hässliche Häuser mit vergitterten Fenstern, von denen der Putz abblättert. Angestaubte Autos parken direkt neben historischen Mauern und abgesehen vom renovierten historischen Stadtkern hat Mérida auf den ersten Blick nicht viel zu bieten.

Dennoch, am späten Abend, wenn die Sommerhitze etwas abkühlt und die Theater-Aufführungen beginnen, verzaubern das besondere Abendlicht des Mittelmeeres und die römische Kulisse die heimischen und internationalen Zuschauer. Die Pandemie gerät in Vergessenheit, auch wenn die Spanier Angst vor dem Virus haben. Nirgendwo in Europa hat die Pandemie so gewütet wie hier, nirgendwo ging es so schnell wieder aufwärts. In Mérida tragen die Menschen immer noch mehrheitlich die Maske auf der Straβe, auch wenn es nicht mehr Pflicht ist. Aber die Bars und Restaurants sind wieder voll. Dabei hilft, dass kein Land in Europa so wenige Impfgegner hat wie Spanien. Auch deswegen wagte Cimarro es, das Festival in diesem Jahr mit einem Budget von rund vier Millionen Euro wieder in vollem Format auf die Beine zu stellen.

Die verborgene Magie einer vergessenen Stadt

Der weibliche Star von „Antonius und Cleopatra“, die 70jährige spanische Sängerin und Schauspielerin Ana Belén zeigte enormen Mut, in ihrem Alter die Hitze und Konditionen eines Freilicht-Theaters zu ertragen, und das mitten in einer Pandemie. In einem Radio-Interview erklärte sie, dass die Atmosphäre alle Mühen kompensiere: „Zwischen den alten Säulen und Mauern bei Dunkelheit unter den Sternen vor fast 2000 Menschen zu spielen ist etwas ganz Besonders. Wenn wir gegen 2.30 Uhr nachts fertig sind mit dem Stück, und ich zu Fuß zum Hotel zurückgehe, muss ich immer daran denken, wie jemand, dieses römische Amphitheater in Mérida fast zufällig entdeckte. Er fing an zu graben und dann kam dieser wunderbare Bau zum Vorschein.“