Tichys Einblick

Wie geht es weiter mit Venezuela?

Die einzig nennenswerte Einkommensquelle ist der Erdölexport. Der reichte schon vorher nicht, um genügend Lebensnotwendiges zu importieren. Jetzt ist er am Ende.

FEDERICO PARRA/AFP/Getty Images

„It’s the economy, stupid!“. Mit dieser banalen Erkenntnis gewann schon Bill Clinton die Präsidentschaftswahl. Genauso banal ist es im Fall von Venezuela. Es ist ein einfacher Dreisatz. Rund 99 Prozent der Exporte des Landes bestehen aus Erdöl. Nicht nur wegen fallender Ölpreise, sondern jahrelanger Misswirtschaft, mangelndem Unterhalt und ungeheuerlicher Korruption sind die Einnahmen schon lange im Sinkflug. Während sich die Boliburguesía, die bolivarische Bourgeoisie, wie die herrschende Schicht heisst, im Milliardenbereich bedient, reichen die Einnahmen aus dem Export schon lange nicht mehr dafür, genügend Lebensnotwendiges zu importieren. Da Venezuela kaum etwas selbst herstellt, gehört dazu fast alles. Lebensmittel, Medikamente, Ersatzteile, Materialien aller Art, Kabel, die Liste ist endlos.

Jetzt kommen noch zwei Probleme hinzu, die dem Regime von Maduro eher früher als später den Todesstoss versetzen werden. Zum einen haben die USA beschlossen, Zahlungen für Importe von venezolanischem Erdöl auf Sperrkonten umzuleiten, die von Maduro nicht, von seinem Widersacher Guaidó hingegen schon benützt werden können. Dazu muss man wissen, dass schon seit den Zeiten von Chávez ein Drittel der Exporte in die USA gehen. Dort betreibt Citgo, eine Tochter des staatlichen Ölkonzerns PDVSA, drei Raffinerien und ein Tankstellennetz. Davon ist allerdings schon ein grosser Teil an den russischen Konzern Rosneft verpfändet, aber das ist eine andere Geschichte.

Fallen also die USA als wichtigster Abnehmer von venezolanischem Öl weg, verschärft sich die Devisenkrise dramatisch. Aber das ist noch nicht alles. Gerade hat das normalerweise gut informierte Wall Street Journal (WSJ) gemeldet, dass der grosse staatliche Ölkonzern Lukoil, zusammen mit anderen fünf russischen Firmen, seine Verträge mit dem venezolanischen Staatskonzern PDVSA ausgesetzt habe. Das ist eine ganz schlechte Nachricht für Maduro, weil Lukoil der Hauptlieferant von Verdünnungsmitteln ist, die beim Transport des ausgesprochen schweren Erdöls von Venezuela notwendig sind und es überhaupt erst raffinierbar machen.

Damit sollte Venezuela, so vermutet das WSJ, innerhalb von wenigen Tagen das Benzin ausgehen. Aber auch damit nicht genug, das russische Finanzministerium hat öffentlich darauf hingewiesen, das es die schnelle Bezahlung von 100 Millionen Dollar im Zusammenhang mit nicht bedienten Darlehen verlangt. Statt das still unter Brüdern auszuhandeln, ist die Bekanntgabe ein klares Signal, dass Russland eher sauer ist. Da zudem mit den USA die einzige verbleibende Devisenquelle versiegt ist – die Ölexporte nach Russland und China dienen vollständig der Schuldentilgung oder der Begleichung von Zinsen –, dürfte das Regime von Maduro eher schnell in finanzielle Probleme geraten. Neben allem anderen selbstverschuldeten Unglück ist die Erdölförderung auf 1,3 Millionen Barrel am Tag gefallen, die niedrigste Zahl der letzten 30 Jahre.

Auch der Verkauf der Goldreserven, den Maduro offensichtlich begonnen hat, gestaltet sich schwierig. Beispielsweise die Bank von England verweigerte seinem Regime den Zugriff auf dort gelagerte Goldbestände im Wert von 1,3 Milliarden Dollar. Und wenn ein befreundeter (oder geldgieriger) Käufer, was bei diesen Dimensionen am ehesten Staaten wären, venezolanisches Gold in Devisen wechselte, würde er sich natürlich den Zorn der USA zuziehen, die ihre Wirtschaftssanktionen immer gerne global verstehen.

Und der letzte Sargnagel für Maduro besteht darin, dass seine wichtigsten Unterstützer, Russland und China, nicht ideologisch handeln, sondern pragmatisch. Auf welche Weise haben sie die höchsten Chancen, ihre Milliardeninvestitionen in Venezuela zu retten, zumindest einen Teil davon zurückzubekommen? Durch Unterstützung von Maduro oder durch einen Schwenk auf Guaidó? Über den gesichtswahrenden Umweg «wir mischen uns nicht in die inneren Angelegenheiten ein» werden auch sie Guaidó anerkennen, wenn es ihm gelingt, Maduro von der Macht zu vertreiben.

Da eine militärische Intervention von aussen, trotz markigen Sprüchen von Präsident Trump, eher unwahrscheinlich ist, spielt natürlich das venezolanische Militär eine entscheidende Rolle. Wird es das Amnestieangebot des zweiten Präsidenten annehmen oder zum Schluss kommen, dass es seine Pfründe besser mit dem ersten Präsidenten verteidigen kann? Gibt es Ansätze zur Meuterei der einfachen Soldaten gegen die rund 2000 Generäle, die an den Fleischtöpfen sitzen, während es der Mannschaft nicht viel besser geht als der Bevölkerung? Das ist die entscheidende Frage, die zurzeit niemand beantworten kann. Die wenigen Offiziere, die bereits zur Opposition übergelaufen sind, bedeuten keinen nennenswerten Verlust für das Regime.

Donald Trump, das muss man ihm lassen, hat ziemlich geschickt politisch und vor allem wirtschaftlich die Schrauben angezogen und setzt voll auf den jugendlichen Oppositionsführer Guaidó. Gleichzeitig, sonst wäre er nicht Trump, reisst er mit dem Hintern teilweise ein, was er mit den Händen aufbaut. Beispielsweise die Ernennung vom 71-jährigen Elliot Abrams zum Sonderbeauftragten für Venezuela ist sehr dumm. Der alte kalte Krieger wurde für seine Beteiligung an der Iran-Contra-Affäre rechtskräftig zu einer Gefängnisstrafe verurteilt und fiel auch schon durch verharmlosende Sprüche über Militärmassaker in El Salvador auf. Sicherheitsberater und Kriegsgurgel John Bolton bedroht Maduro mit einem Aufenthalt im einschlägig bekannten US-Straflager in Guantánamo.

Das alles weckt natürlich in Lateinamerika die Erinnerung an dunkle Zeiten, als die USA immer wieder missliebige Regierungen durch das Militär wegputschen liessen; in Guatemala, Chile und so weiter. Hätte Trump einen weniger vorbelasteten Sonderbeauftragten ernannt und Bolton eine Maulkorb umgehängt, würde es auch in Lateinamerika augenfälliger werden, dass es sich hier nicht um einen Militärputsch oder die Errichtung einer Diktatur handelt. Sondern um den Versuch, einen unfähigen Diktator von der Macht zu vertreiben, der sein Volk verhungern lässt oder in die Flucht treibt. Ob Guaidó tatsächlich eine demokratische Lichtgestalt ist, die mehr oder minder freie Wahlen abhalten wird, wird sich weisen.

Die Voraussetzung dafür ist natürlich, dass Maduro und das Militär ohne Gewalt weichen. Den Venezolanern ist’s zu wünschen, nach diesen vielen Jahren des Missbrauchs. Auch Linke sollten einsehen, bevor sie die aktuelle Krise als typischen imperialistischen Putschversuch der USA denunzieren, dass die Lage in Venezuela inzwischen so dramatisch ist, dass eigentlich alles besser wäre als eine Fortsetzung der Herrschaft von Maduro. Und wenn ein Regime in diesem Stadium angelangt ist, dann ist es rettungslos verloren. Es kann sich höchstens noch entscheiden, ob es mit oder ohne Blutbad abtritt.