Tichys Einblick
Vor dem Einmarsch in Gaza

Wer Mitleid hat mit Gaza, hat kein Mitleid mit Israel

Am neunten Kriegstag im Nahen Osten im Oktober 2023 wissen wir, dass Israel in Gaza einmarschieren wird. Wir wissen aber nicht, wann. Anders ist Hamas nicht zu besiegen. Das Signal an ihre Unterstützer muss deutlich ausfallen. Wer Mitleid hat mit Gaza, hat kein Mitleid mit Israel.

Tel Aviv, Israel, 15. Oktober 2023

IMAGO / ZUMA Wire
In Israel kursiert derzeit eine Erkenntnis, die wohl das Leitmotiv der Führung ist, politisch wie militärisch: Wer Mitleid hat mit Gaza, hat kein Mitleid mit Israel. Ausgelöst wurde diese Erkenntnis durch die Taten der Hamas-Terroristen am 7. Oktober. Die Bilder verbrannter, enthaupteter Kinder im Kibbuz Beeri sind nicht mehr aus den Köpfen und Herzen Israels zu tilgen. Israel musste 1300 Gräber schaufeln, pflegt 3000 Verletzte und zittert um mindestens 150 Geiseln, verschleppt nach Gaza. Darunter auch Kinder und Holocaust-Überlebende. Das Volk ist im Schockzustand, Politik und Militär müssen aber handeln. Das geschieht in diesen Tagen.

Israel befindet sich vergleichbar in der Lage Großbritanniens, als Winston Churchill am 4. Juni 1940 diese Worte sprach, die Teil der Geschichte der zivilisierten Welt wurden: „Wir werden bis zum Ende gehen. Wir werden in Frankreich kämpfen, wir werden auf den Meeren und Ozeanen kämpfen. Wir werden mit wachsender Zuversicht und wachsender Stärke in der Luft kämpfen. Wir werden unsere Insel verteidigen, was immer es kosten mag. Wir werden an den Stränden kämpfen, wir werden an den Landungsstellen kämpfen, wir werden auf den Feldern und auf den Straßen kämpfen, wir werden in den Hügeln kämpfen. Wir werden uns niemals ergeben.“

Damals hat es fünf Jahre gedauert, bis Nazi-Deutschland in die Knie gezwungen war. Es wurde nicht verhandelt, General Wilhelm Keitel unterzeichnete am 8. Mai 1945 die Kapitulation. Zuvor hatten die Alliierten Dresden bombardiert. Keiner hat damals zwischen Soldaten und Zivilisten unterschieden. Allein am 13. Februar 1945 starben dort durch britische und amerikanische Bomben rund 25.000 Menschen.

Hitler-Deutschland war im Sommer 1940 einem Endsieg näher denn je. Frankreichs Armee stand vor dem Zusammenbruch, die britische „Expeditionary Force“ hatte es durch die überhastete Evakuierung aus Dünkirchen gerade noch zurück über den Ärmelkanal geschafft. Sie mussten aber fast ihr gesamtes schweres Kriegsgerät zurücklassen. Die USA waren von einem Kriegseinsatz noch weit entfernt.

Israel kann schon wegen der Größe nicht mit Großbritannien verglichen werden, ist aber am neunten Kriegstag gut aufgestellt. Niemand zweifelt daran, dass die Israel Defence Forces (IDF) die stärkste Macht in der Nahost-Region ist. Aber im 21. Jahrhundert ist jeder Krieg im Wesentlichen eine Auseinandersetzung auf zwei Ebenen: auf dem Schlachtfeld und in den Medien. Genauer gesagt mittels der Bilder, die auf den TV-Bildschirmen rund um die Uhr im gemütlichen Wohnzimmer zu sehen sind. Teilweise handelt es sich um Videos mit grauen Flecken, weil man dem Zuschauer nicht alles zumuten kann und will. Sie entscheiden aber mit über den Kriegsverlauf. In den Köpfen laufen die Videos weitergespult von der Psycho-Kultur, der politischen Einstellung und den eigenen Träumen und Wunsch-Vorstellungen des Zuschauers. Damit wird Druck ausgeübt auf politische Entscheidungsträger.

Mit den Medien tut sich Israel schwer. Die Universitäten der westlichen Welt sind mehrheitlich links-verblendet, verliebt in ihre sozial-orientierten Heile-Welt-Rettungs-Studien für alles und jeden, die sie schon morgen in politische Praxis umgesetzt sehen wollen. Professoren und Doktoren sind weitgehend akzeptierte Experten, die gerne vor Kameras eingeladen werden. Die Allermeisten von ihnen leben in irgendeinem Elfenbeinturm ohne einen vernünftigen Bezug zur Realität. Der rauhe Wind des Alltags ist den meisten fremd.

Auf dem Schlachtfeld schaut die Bilanz Israels besser aus. Seit der Staatsgründung 1948 hat sich die IDF einen Nimbus der Unbesiegbarkeit erkämpft. Seit dem 7. Oktober 2023 ist dieser Ruf zerstört. Von den bisher bekannten 189 Soldaten, die am 7. und 8. Oktober ermordet wurden, starben viele in der Unterwäsche. Schmach und Schande, die es jetzt wieder gutzumachen gilt. Wohl die schwerste Aufgabe seit der Staatsgründung.

Israel ist dazu bereit, hat 360.000 Reservisten einberufen. Es droht ein Krieg an allen Fronten. Hamas hält außer den Geiseln vom 7. Oktober über zwei Millionen geplagte, palästinensische Araber als Schutzschild gefangen. Die Terroristen sperren den Fluchtweg in den Süden des weltweit am dichtesten besiedelten Küstenstreifens – Videos belegen das. Hamas-Terroristen verstecken sich hinter unschuldigen Frauen, Kindern, Alten und Behinderten.

Die Lage ist bedrohlich. Ja, man muss Angst haben. Alles menschlich. Davon darf man sich aber nicht einschüchtern lassen. Das war so auch 1948, 1956, 1967 und 1973. Hinter diesen Jahres-Zahlen verbergen sich die Unabhängigkeits-, Sinai-, Sechs-Tage- und Yom-Kippur-Kriege, Tausende von Toten, unermessliches Leid. Israel ist stets siegreich hervorgegangen. In der Stunde der Wahrheit zählen Intelligenz, eine gute Strategie, der gekonnte Umgang mit militärischer Hochtechnologie, Kampfesmut, Ausdauer und das stets notwendige Quäntchen Glück. Die Kriegs-Bilder und -Geschichten, die sie in den Köpfen auslösen, werden heute anders gedeutet als morgen. Letztendlich zählt nur das, was sich auf dem Schlachtfeld auswirkt.

Die USA sind bisher die einzigen, die Worten Taten folgen lassen. Der zweite Flugzeugträger ist unterwegs ins östliche Mittelmeer. Sie unterstützen den Judenstaat, wegen der gemeinsamen Werte wie Demokratie, Rechts- und Sozialstaat. Andernfalls fällt der Nahe Osten, in dem die Energie der Industrieländer vergraben ist, in finstere Zeiten. Die USA helfen tatkräftig, weil Auschwitz, Treblinka und Maidanek sich wiederholen könnten. In Form einer neuen Fratze, die am 7. Oktober im Süden Israels überdeutlich zu sehen war.

Deutschland und die EU schicken fromme Worte und gute Absichten. Zu Taten sind sie nicht in der Lage. Deutschland ist ohnehin eher ein Armee-Museum und das Gerede von der deutschen Staatsräson – von Bundeskanzler Scholz kraftvoll vorgetragen – reduziert sich auf medizinische Hilfe, wenn überhaupt. Vielleicht gibt es noch ein paar Drohnen und ein bisschen Munition für die israelische Marine.

Der Kampf auf den Straßen in Berlin, London, Paris ist bereits so gut wie verloren. Millionen muslimischer Flüchtlinge in Europas Ballungsgebieten, viele davon aktiv extremistisch, verbünden sich mit Alt- und Neu-Nazis, notorischen Judenhassern zu einem üblen und nicht ungefährlichen Gebräu. Aber dazu kommen wir später.

Es steht Wichtigeres an: Am neunten Kriegstag im Nahen Osten im Oktober 2023 wissen wir, dass Israel in Gaza einmarschieren wird. Wir wissen aber nicht, wann. Anders ist Hamas nicht zu besiegen. Das Signal an ihre Unterstützer muss deutlich ausfallen. Wer Mitleid hat mit Gaza, hat kein Mitleid mit Israel.