Tichys Einblick
Weißrussland

Wenn Lukaschenko Putin um Hilfe bittet, muss es ernst sein

Am Samstag wirkte Minsk mehr wie ein Straßenfest als eine Protestdemonstration in Revolutionszeiten, doch solche Feiern sind gefährlich voreilig.

imago Images

Wenn Lukaschenko Putin um Hilfe bittet, muss es ernst sein. Denn bisher hat sich der Diktator in Minsk immer trickreich dem Drängen Putins nach einer engeren Verbindung Russlands mit Weißrussland, am besten in einem gemeinsamen Staat, entzogen, Lukaschenko hatte Putin immer wieder vorgeworfen, Weißrussland schlucken zu wollen. (Wer denkt da nicht sofort auch an die Ukraine? Aber vielleicht denken Leute bei Putin und Lukaschenko und anderswo auch an die Geschichte von Polen-Litauen.)

Lukaschenko lässt verbreiten, dass Putin ihm in einem Telefonat militärische Hilfe zugesagt habe. Das klingt nicht nach einem Mann, der eben eine Wahl haushoch gewonnen haben will und über einen straff geführten Machtapparat verfügen soll – entgleitet er ihm? Wie auch immer, mehr als einen Zufluchtsort als Exil wird Lukaschenko von Putin am Ende nicht erwarten können. Dass von grundlegenden Veränderungen in Weißrussland mittelfristig Putin mehr haben wird als alle anderen, halte ich für wahrscheinlich. Wer nicht profitieren kann mangels eigenen Vermögens, ist die EU. Liegen die Dinge nach der Präsidentschaftswahl in den USA klarer, kommen sie ins Spiel – möglicherweise als Präzeptor einer Staatenallianz zwischen Russland und der EU.

Moskau schaut auf die Entwicklung im Nachbarland nicht zuletzt deshalb schon immer, weil russische Erdölexporte durch Weißrussland nach Westen rinnen und Russland Weißrussland als Puffer gegenüber der Nato und dem Westen sieht.

Lukaschenko hat die Verlegung von Fallschirmjägern an die Westgrenze angeordnet: „Was in diesen Gebieten passiert, werden wir uns nicht ruhig anschauen,“ sagte er im Staatsfernsehen ohne nähere Erklärung. Verteidigungs- und Innenministerium wie den Geheimdienst wies er an an, keine „ungesetzlichen Aktionen“ zuzulassen. Er meint damit wohl den Plan seiner Gegner einer Menschenkette von Litauen durch Weißrussland bis in die Ukraine.

Bei einem Treffen erklärten die Staatspräsidenten von Litauen und Estland, dass sie das Ergebnis der Präsidentenwahl in Weißrussland nicht anerkennen. Gitanas Nauseda und Kersti Kaljulaid sagten am Freitag in Vilnius, die Abstimmung in der sei nicht frei und demokratisch gewesen. Nauseda sagte, es müssten freie und demokratische Wahlen abgehalten werden.

Die Zentrale Wahlkommission hatte 80.1% für Lukaschenko verkündet, für die Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja 10.12%. Tichanowskaja selbst sagt, bei korrekter Zählung wäre sie auf 60% bis 70% gekommen. Die Demonstrationen gingen jedenfalls am Freitag und Samstag weiter. Einige Hundert kamen samstags aus dem Gebäude des Staatsfernsehens, schlossen sich den Demonstranten an und sagten AFP gegenüber sie planten für Montag einen Streik.

Am Samstag, schreibt der Guardian, wirkte Minsk mehr wie ein Straßenfest als eine Protestdemonstration in Revolutionszeiten, doch für manche seien solche Feiern gefährlich voreilig, warnte Belamova auf der mobilen App Telegram mit einer halben Million Nutzern:

»Friends, do not succumb to euphoria too early! Even though we have set in motion processes that will be irreversible for Lukashenko the tyrant, he is still in power. So it’s early to celebrate. Very early.”«

Freunde, ergebt euch nicht zu früh der Euphorie. Auch wenn wir Prozesse in Gang gesetzt haben, die für den Tyrannen Lukaschenko unumkehrbar sein werden, ist er nach wie vor an der Macht. Es ist zu früh zum Feiern, viel zu früh.

Weise Autoren. Aber wie sie sagen: Einfach so weiter wie vorher, das wird nicht mehr gehen. Das gefällt mir auch als Motto für ganz Europa und den ganzen Westen.

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