Tichys Einblick
Solidarität?

Weihnachten im Knast

Ein deutscher Journalist sitzt seit fünf Wochen in Venezuela in einem Geheimdienstgefängnis und ist schwer erkrankt. Gibt es einen „Aufschrei“? Die deutschen Medien berichten merkwürdig zurückhaltend.

Bildquelle: wikimedia commons, mariab35, Bildlizenz: CC BY-SA 4.0

Im ablaufenden Jahr wurden 63 Journalisten und zusätzlich fast 20 Medienmitarbeiter, private Blogger und Bürgerjournalisten getötet. Fast 200 Journalisten sitzen in Haft, meldete kürzlich die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ (RoG). Eine erschreckende Bilanz.

Einer der zweihundert Inhaftierten ist der deutsche Reporter Billy Six. Der Reporter wurde am 17. November 2018 von Mitarbeitern des venezolanischen Geheimdienstes SEBIN und Soldaten in einem Strandhotel verhaftet. Der Vorwurf: „Spionage“, „Rebellion“ und „Verletzung von Sicherheitszonen“. Als Beleg dienen Fotos, die Six von einer Wahlkundgebung des sozialistischen Präsidenten Nicolás Maduro gemacht hat. Außerdem habe er Gespräche mit der aus Kolumbien stammenden Drogenmiliz Farc geführt.

Der junge Berliner Reporter war seit Sommer in Venezuela und recherchierte über die sich zunehmend verschlechternde Lage und die Massenflucht von Venezolanern aus ihrem Land, über Drogenschmuggel und Korruption.

Mit Dengue-Fieber im Geheimdienstgefängnis: Hungerstreik begonnen

Nach seiner Verhaftung wurde Six ins berüchtigte Gefängnis El Helicoide in Caracas gebracht, das auch Hauptsitz des Geheimdiensts Sebin ist. Es gelang ihm, einen Kassiber herausschmuggeln zu lassen. Seine Lage ist nach den bisher erhaltenen Informationen schrecklich: Er ist an Dengue-Fieber erkrankt, bekommt jedoch keine Medikamente dagegen. Am 13. Dezember trat Billy Six in Hungerstreik. Über seinen aktuellen Zustand ist nichts bekannt. Die deutsche Botschaft konnte am 17. Dezember kurz Kontakt zu ihm herstellen. Doch politisch bewegt sich nichts. Das Maduro-Regime mauert.

Emmanuel Colombie, Direktor der Lateinamerika-Sektion von „Reporter ohne Grenzen“ sagte am Freitag der „Deutschen Welle“, dass es im Fall Six keine Neuigkeiten gebe, „und das ist per se eine schlechte Nachricht. Ich nehme an, dass Verhandlungen im Gange sind, damit er frei kommt, aber RoG hat weder von der deutschen Botschaft in Caracas noch vom Auswärtigen Amt in Berlin Einzelheiten erfahren.“

Deutsche Medien zurückhaltend – weil Six ein „rechter Journalist“ ist?

Der Fall hat international einiges Aufsehen erregt: Die „Reporter ohne Grenzen“ forderten die umgehende Freilassung von Six. Vor wenigen Tagen richtete der Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) Luis Almagro einen Appell an Maduros Regierung, drei inhaftierte Journalisten freizulassen: Neben Six sind dies Baulio Jatar und Jesús Medina, die teils schon mehr als zwei Jahre in Gefängnissen sitzen. Internationale Medien wie die New York Times und die BBC haben über Six‘ Schicksal berichtet, in den vergangenen Tagen die spanische Zeitung El Pais und die französische Le Point.

Merkwürdig leise ist aber die deutsche Medienlandschaft. Erinnern wir uns an den Fall des „Welt“- und früheren „taz“-Journalisten Deniz Yücel, der ein Jahr lang in Einzelhaft in Erdogans Reich einsaß, bevor er nach einer massiven Medienkampagne und großem Druck aus Berlin im Februar 2018 freigelassen wurde. Über Yücel wurde in großen Artikel auf den Titelseiten und in Nachrichtensendungen berichtet.

Dagegen herrscht im Fall Billy Six bis auf ein halbes Dutzend Artikel Schweigen. Tim Röhn schreibt in dazu in der Welt am Sonntag vom 23.12.2018 und zitiert Carlos Correa, Menschenrechtler in Venezuela mit „Es gibt keine Beweise gegen Billy Six“.

Vielleicht hängt die mediale Zurückhaltung und mangelnde Empörung auch damit zusammen, dass Six als Reporter für die rechte Zeitung „Junge Freiheit“ und ein Magazin des Vereins „Die Deutschen Konservativen e.V.“ geschrieben hat. Als SPIEGEL online über den Fall berichtete, hielt es die Autorin für nötig, den halben Artikel mit warnenden Vokabeln zu garnieren, dass der Inhaftierte für „nationalpopulistische“ oder „rechtspopulistische“ Publikationen tätig gewesen sei.

Der Pressesprecher der „Jungen Freiheit“ Bastian Behrens vermutete gegenüber der Deutschen Welle eine vorsätzliche Benachteiligung: „Die öffentliche Meinung in Deutschland hat sich lange engagiert für die Befreiung des Journalisten Deniz Yücel aus türkischer Haft eingesetzt. Für Billy war das bisher nicht der Fall. Ich glaube, das ist der Tatsache geschuldet, dass Billy für ein Medium wie unseres schreibt.“ Die „Junge Freiheit“ hat eine Webseite „Free Billy“ für ihn eingerichtet.

Die Familie ist höchst besorgt

Six, der als Reporter in mehreren Krisen- und Kriegsgebieten wie Syrien, Ukraine und Libyen unterwegs war, kam vor sechs Jahren schon einmal in Syrien wegen illegaler Einreise zwölf Wochen in Haft. Damals gelang seine Befreiung, weil das russische Außenamt als Vermittler auftrat.

Am 24. Dezember ist nicht nur Weihnachten, sondern auch noch Billy Six‘ 32. Geburtstag. Seine Eltern sind in höchster Sorge um ihn, sie werfen auf einer Facebook-Seite zu seinem Fall der deutschen Regierung vor, sich nicht ausreichend für die Freilassung zu engagieren. Bislang – nach fünf Wochen Haft – erlaubten ihnen die venezolanischen Behörden noch nicht einmal, mit ihrem Sohn zu sprechen. Wie schlecht sein Gesundheitszustand infolge des Dengue-Fiebers und des Hungerstreiks ist, wissen sie nicht.

Das Geheimdienstgefängnis El Helicoide in der Hauptstadt Caracas, ein mehr als zehnstöckiger Komplex, ist berüchtigt. In diesem Oktober kam der dort inhaftierte Oppositionelle Fernando Alban bei einem seltsamen Sturz aus dem Fenster ums Leben. In den vergangenen zwei Monaten sind laut Angaben von Menschenrechtlern zwei weitere Häftlinge aus ungeklärten Gründen zu Tode gekommen. Schon mehrfach brachen Gefangenenrevolten aus, angesichts furchtbarer Zustände.