Tichys Einblick
Für nationale Einwanderungspolitik

Viktor Orbán: Migration ist Schicksalsfrage des 21. Jahrhunderts

"Hat ein Land das Recht, Nein zu sagen?" Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán sieht in der Migrationsfrage einen Grundkonflikt zwischen den west- und mitteleuropäischen Ländern und hofft auf Hilfe durch Italien gegen den Multikulturalismus Westeuropas und Deutschlands Einwanderungspolitik.

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Mit diesem Motto veranstaltete die Mathias Corvinus Universität in Budapest vom 22. bis 24. März eine Konferenz über Migration. An der sowohl wissenschaftlich als auch politisch hochrangig besetzten Konferenz nahmen unter anderen die islamkritische Freiheitsaktivistin Ayaan Hirsi Ali, der britische Migrationskritiker Douglas Murray, der ehemalige französische Präsident Nicolas Sarkozy und der ehemalige tschechische Ministerpräsident und Staatspräsident Václav Klaus teil.

Zum Abschluss der Konferenz sprach der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán. Er legte sein vorbereitetes Redemanuskript zur Seite und umriss noch einmal den Standpunkt Ungarns in der Frage der Migration. Er gab eine dramatische Einschätzung der Gefährdung Ungarns in der EU, distanzierte sich vom multikulturalistischen Zukunftsbild Westeuropas, und schließlich machte er einen Vorschlag, wie nach den Europawahlen die Mitgliedsländer die Kompetenzen in den Bereichen Grenzschutz und Migration von der Kommission in ihre nationale Verantwortung zurückerlangen könnten.

Wir fassen hier die Rede mit längeren Originalzitaten zusammen.

Als erstes stellte Orbán die Frage, wie es dazu kommt, dass Ungarn, obwohl es ein kleines, geradezu bedeutungsloses Land ist, dermaßen ins Zentrum der Auseinandersetzung um die Migration geraten sei. In der Tat sei dieser Zustand unnatürlich, doch sei er von Ungarn nicht selbst gewählt worden.

„Er ist ein Ergebnis geographischer und historischer Umstände, der Tatsache, dass Ungarn Grenzland nach Osten und Süden ist. Diese Tatsache hat in der Geschichte immer dann eine Rolle gespielt, wenn vom Osten oder vom Süden her Gefahren unserer gemeinsamen Heimat Europa drohten. (…) Wenn die Migranten nicht über das Meer kommen, müssen sie notgedrungen über die ungarische Grenze nach Europa. (…) Wir wollen nicht noch einmal durchmachen, was wir 2015 erlebt haben, dass von einem Tag auf den anderen in Ermangelung einer Grenze 400.000 Menschen – in erster Linie Männer im wehrfähigen Alter – zwar ohne Waffen aber in geradezu militärischer Ordnung – über unsere Grenze marschieren. Wir wollen nicht wieder tatenlos zusehen müssen, wie eine Masse von 400.000 Menschen, die doch eine bedeutende physische Kraft bedeuten, unser Land durchqueren. So kam es, dass wir einen Zaun errichtet haben, den Grenzschutz eingeführt und uns gegen den europäischen Mainstream gewandt haben.“

Dies sei jedoch nur möglich gewesen, weil Fidesz 2010 und 2014 eine Zweidrittelmehrheit im Parlament errungen hatte, was ebenfalls kein natürlicher und dauerhafter Zustand sei.

Anschließend kritisierte er die im Westen vorherrschende Auffassung, Migration sei Schicksal, wogegen man nichts tun könne. Er wandte sich gegen den Mythos, dass nur nicht hinterfragbare Institutionen die Welt führen könnten, und schildert die eigene extrem gefährdete Position sowohl in der EU als auch zu Hause in Ungarn.

„In den vergangenen 30, 40 Jahren hat sich in Europa ein Konzept durchgesetzt, dem nach Gesellschaften, vor allem unsere gemeinsame europäische Welt, durch Institutionen geführt werden müssen, nicht durch Personen. Nur die Institutionen seien fähig, wenn auch etwas langsam, Antworten auf alle Krisen zu geben. In dieser europäischen politischen Konzeption sind Institutionen gut – je größer, umso besser –, starke Politiker dagegen sind schlecht. Deshalb wird jeder politische Führer, der eine Lösung vorschlägt, gleich negativ beurteilt, und in dem Moment wird er von der ganzen europäischen soft power angegriffen. (…) Natürlich hat das auch historische Gründe. (…) Die soft power, die im Westen die ganze Politik umgibt, die Thinktanks, die NGO, die Universitäten, die sogenannten öffentlichen Intellektuellen, die Medien, bestehen nach meiner Einschätzung zu 85 Prozent aus Linksliberalen und können koordiniert handeln. Sollte ein westeuropäischer Politiker dasselbe sagen wie ein ungarischer, und er es auch noch so sagen wie ein Ungar, dann wird er am nächsten Morgen von diesen 85 Prozent zerfleischt. Wir sind nicht mutiger als die Westeuropäer, nur ist die Proportion innerhalb der soft power, die die hard power in Ungarn umnimmt, 50 zu 50 Prozent, und der historische Prozess zeigt eine minimale Bewegung in die christlich-konservative Richtung.

Deshalb kann ich die Sätze die ich sage, die Sichtweise, die ich habe, zu Hause und im Ausland überleben. Ich kann sie hier in Mitteleuropa überleben. Aber im Westen kann ich sie nicht überleben.

(…) Solange wir die Zweidrittelmehrheit im Parlament haben – was kein natürlicher Zustand ist – werden wir weiterkämpfen. Deshalb ist es für Ungarn eine entscheidende Frage, dass endlich ein großes Land an unsere Seite tritt – deshalb hoffen wir auf Italien. (…) Aber irgendetwas muss passieren, denn eine Weile können wir noch durchhalten, doch es kann so nicht unendlich weitergehen, denn unsere Energien sind endlich. Wir brauchen deshalb ein großes Land aus Westeuropa, das dasselbe sagt wie wir. Andernfalls werden wir Mitteleuropäer eine Niederlage erleiden.“

Im nächsten Teil seiner Rede skizziert Orbán die Gründe, warum bisher zwischen den westeuropäischen und mitteleuropäischen Ländern in der EU keine gemeinsame Sichtweise der Migrationsthematik entstehen konnte.

„In Sachen Migration gibt es eine scharfe Scheidelinie zwischen West- und Mitteleuropa. (…) In den westeuropäischen Ländern ist in den vergangenen Jahrzehnten eine bedeutende Minderheit entstanden, die über ein sehr starkes Selbstbewusstsein verfügt und sich viel schneller fortpflanzt als die ursprüngliche, die christliche Kultur repräsentierende Bevölkerung. Die Proportionen verschieben sich ständig zu Ungunsten der ursprünglichen Einwohner und zugunsten der meist muslimischen Gemeinschaften. Deshalb ist in Westeuropa heute neben dem Grenzschutz die wichtigste die Migration betreffende Frage, wie man das Zusammenleben mit den Migranten – die nun einmal da sind – managen soll. Man denkt nur noch darüber nach, man sucht die Ideologie und die Prinzipien, wie man das Zusammenleben von Kulturen, die sich offensichtlich nicht mit einander vermengen wollen, managen könnte.

(…) Im Gegensatz dazu gibt es in Mitteleuropa diese Massen von Migranten nicht. Wir verwenden absolut gar keine Energien darauf, wie man Migranten integrieren könnte, weil wir nichts zum integrieren haben. Und alle unsere Anstrengungen richten sich darauf, dass es auch in Zukunft so bleibt.

(…) Wir haben keine von den Ureinwohnern zivilisatorisch abweichende Massen und wir wollen diesen Zustand bewahren. Die im Westen reden davon, wie man zusammenleben und sich integrieren soll, wir dagegen davon, wie man die Notwendigkeit dessen vermeiden kann. Das sind die beiden Seiten der europäischen Politik, die an einander vorbeigehen. Denn man braucht offensichtlich ganz andere Prinzipien, wenn man diese Massen nicht will, und wieder andere, wenn man sie integrieren und mit ihnen zusammenleben will.“

Im Weiteren geht Orbán der Frage nach, welches Gesellschaftsbild zu den beiden von einander abweichenden Konzepten gehört, und stellt die Frage, ob die EU das Recht hat, Ungarn und anderen Ländern das westliche gesellschaftlich Zukunftskonzept aufzuzwingen. Er weist insbesondere hin, dass es hier um verschiedene Wertungen von gesellschaftlichen Zukunftsbildern geht. Nur wer den Multikulturalismus als gesellschaftliche Utopie vertritt, wird die Massenmigration zulassen und befördern.

„Ich gebe aufrichtig zu, dass wir uns in dieser Auseinandersetzung moralisch überlegen fühlen. (…) Wir haben den Eindruck, dass der Westen uns seine Lage und das daraus folgende Konzept aufzwingen will. Auch wir haben ein Konzept, doch wir wollen es niemandem aufzwingen, und das begründet unsere moralische Überlegenheit. Wir wollen dem Westen keine Ratschläge erteilen, wie er den ursprünglichen Zustand wiederherstellen soll, als es noch keine Massen von Migranten in den Ländern gab, weil das seine Prinzipien, seine Konzepte, seine Integrationspolitik und seine Zukunft ist. Aber wir können es nicht akzeptieren, dass der Westen aufgrund seiner Erfahrungen uns sagen will, wie wir zu denken haben, und wie wir uns mit jenen vermengen sollen, mit denen sich zu vermengen bisher noch nicht notwendig war.

(…)Wenn es einen souveränen Staat mit einer eigenen Bevölkerung, einer eigenen Verfassung und Gesetzlichkeit und mit einer eigenen Kultur gibt, ist es dann unser Recht, an dieser Kultur festzuhalten? Oder müssen wir die westliche Lehre akzeptieren, dass die westliche Kultur des Multikulturalismus etwas Höherwertiges als unsere homogene Struktur ist, und sind wir deshalb verpflichtet, mittels Migration uns in eine multikulturelle Gesellschaft zu verwandeln? Hat ein Land das Recht, Nein zu sagen? Man kann sich sicherlich darüber streiten, ob der Multikulturalismus eines Tages zu einer höherwertigen Welt führen wird, als die, die es mal gab. Aber das ist nicht die Frage. Die Frage ist, ob wir an diesem Experiment teilnehmen müssen. Oder ob wir das Recht haben, zu sagen, nein, danke, wir wollen uns nicht ändern, sondern so bleiben, wie wir sind. (…) Die Antwort ist selbstverständlich Ja. Aber wenn man Mitglied der EU ist, in der ja auch die politische Integration stattfindet, ist die Antwort nicht mehr so eindeutig. Und das ist es, worunter Ungarn in diesen Debatten leidet.“

Orbán kritisierte danach das kurzfristige Denken in der Politik. Die heutigen Entscheidungsträger würden nur von Wahl zu Wahl denken, und nicht die Folgen sehen wollen, die die Migration in einigen Jahrzehnten in ihren Gesellschaften bewirken wird. Die muslimische Einwohnerschaft Westeuropas – allein durch die jetzt schon dort lebenden – werde auf mindestens 70 Millionen anwachsen, während die ursprüngliche Bevölkerung, sollten die Geburtenraten bleiben, wie sie sind, um 99 Millionen abnehmen wird. Und dabei ist der Migrationsdruck aus Afrika noch gar nicht berücksichtigt. Zum Abschluss seiner Rede machte Orbán einen Vorschlag, wie die Mitgliedstaaten in der Frage der Migration die Entscheidungshoheit von der EU-Kommission zurückerlangen könnten.

„Sollte die Migration von der europäischen Politik nicht mit jener Ernsthaftigkeit behandelt werden, wie wir es hier während dieser Konferenz getan haben, sollte sie nicht auf die Tagesordnung gesetzt und sollten keine sofortigen Entscheidungen getroffen werden, dann werden Prozesse beginnen, die man später nicht mehr wird aufhalten können. (…) Die ost-westliche Einheit in Sachen Migration muss jetzt hergestellt und ein modus vivendi gefunden werden, weil es später nicht mehr möglich sein wird.

(…) Mit Erfolgen zu leben ist einfach. Niederlagen zuzugeben ist in der Politik am wichtigsten. Wir müssen eine riesige Niederlage zugeben: die vier Jahre, die seit 2015 vergangen sind. Wir müssen zugeben, dass die Führung der Europäischen Union, so wie ihre jetzigen Strukturen sind, unfähig ist, die Fragen der Migration und des Grenzschutzes zu lösen. Wenn sie dazu in den vergangenen vier Jahren nicht imstande war, so gibt es keinen Grund daran zu glauben, dass sie es morgen schaffen wird.

(…) Man muss die Kompetenz für Migration und Grenzschutz der Kommission wegnehmen und diese Kompetenz den Mitgliedstaaten zurückgeben. Die Mitgliedstaaten sollten über ihre Innenminister diese Kompetenz an eine neue Körperschaft übertragen, damit die Innenminister dort gemeinsame Antworten auf die Herausforderungen des Grenzschutzes und der Migration geben können. Wenn wir wenigstens so viel nach den Europawahlen erreichen könnten, hätte es sich schon gelohnt, diese Wahlen zu veranstalten.