Tichys Einblick
Anmerkungen zur Biden-Twitter-Affäre

Verschwörung oder Machtkampf?

Die Zensur-Aktion von Twitter zeigt auf das Bündnis aus „neuen sozialen Bewegungen‹ (Feminismus, Antirassismus, LGBTQ) mit Vertretern hoch technisierter, ›symbolischer‹ und dienstleistungsbasierter Wirtschaftssektoren (Wall Street, Silicon Valley, Medien- und Kulturindustrie“).

imago images / Pacific Press Agency

Um zu verstehen, was hinter der verstörenden Nachricht steckt, dass Twitter nicht nur einen Artikel der New York Post sperrte und selbst die Weiterleitung des Links verhinderte, hilft es einerseits, die Frage der Sympathien und die Emotionen außen vor zu lassen, und anderseits, zur Kenntnis zu nehmen, dass diese Zensur, die an totalitäre Praktiken erinnert, enthüllt, wie wenig die „Demokraten“, also die Partei gewordenen Links- und Neoliberalen des Biden-Lagers, von einem in pluralistischer Weise ausgetragenen Meinungsstreit halten. Weshalb dieser Mangel an Gelassenheit, warum dieser Verzicht auf Fairness? Wie sehr muss man sich vor den Argumenten der Gegenseite fürchten, wenn man zum plumpen Mittel der Zensur greift?

Doch hier steht der Teil für das Ganze. Die New York Post traf aus purem Journalismus, nämlich darüber zu berichten, was ist und eben nicht durch Weglassen, durch Verschweigen, durch Framing Meinung machen zu wollen, wie es hierzulande inzwischen nach den Vorgaben des aktivistischen Journalismus Norm geworden zu sein scheint, unbeabsichtigt den wunden Punkt. In diesem Zusammenhang sollte man sich daran erinnern, dass in den siebziger und vor allem in den achtziger Jahren es zu einer Auseinandersetzung zwischen Kommunitaristen und Kosmopoliten kam, zwischen denen, für die soziale Verantwortung, Verwurzelt-sein in der Region, in der Heimat und in sozialen Gefügen wie Familie eine wichtige Rolle spielen, und denen, die allein auf die Freiheitsrechte des Individuums bar jeglicher Verantwortung abstellen. In der Form letztlich negativer Freiheiten begründeten die Kosmopoliten die Identitätspolitik mit, die im Bestreben, jedem Individuum die schrankenlose Freiheit zuzugestehen, meint, sie müsse dadurch Freiheitsrechte beschränken, in dem sie denen, von denen sie behauptet, dass ihnen Freiheitsrechte vorenthalten werden, Sonderfreiheitsrechte einräumt – und zwar mit den Mitteln der positiven Diskriminierung. Wer Quote sagt, hat sich von der Freiheit verabschiedet.

Der Sieg der Globalisierung, der sich auch in der Präsidentschaft Clintons ausdrückte, schob kommunitaristisches Denken, wie es namhaft von Michael J. Sandel und Charles Taylor vertreten wurde, beiseite, übrigens mit den bekannten sozialen Folgen.

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Die America-first Politik Donald Trumps, die von den liberal-illiberalen Eliten als roll back empfunden wird, antwortet im Grunde auf den Sieg des Kosmopolitismus, der nur ein anderer Ausdruck für die Hegemonie der Finanzindustrie ist. Es sei hier nur an eine Feststellung der US-amerikanischen Marxistin Nancy Fraser erinnert, die ich wegen ihrer Prägnanz bereits desöfteren zitiert habe: „Die US-amerikanische Form des progressiven Neoliberalismus beruht auf dem Bündnis ›neuer sozialer Bewegungen‹ (Feminismus, Antirassismus, LGBTQ) mit Vertretern hoch technisierter, ›symbolischer‹ und dienstleistungsbasierter Wirtschaftssektoren (Wall Street, Silicon Valley, Medien- und Kulturindustrie etc.). In dieser Allianz verbinden sich echte progressive Kräfte mit einer ›wissensbasierten Wirtschaft‹ und insbesondere dem Finanzwesen.“

Will man also verstehen, worum es jenseits von Feuilleton und Belletristik eigentlich geht, sollte man Frasers Analyse folgen: „Die Politik Clintons, von seinen Nachfolgern einschließlich Barack Obama fortgeführt, bewirkte eine Verschlechterung der Lebensverhältnisse aller Arbeitnehmer, besonders aber der Beschäftigten in der industriellen Produktion.“ Die Kosmopoliten: „setzen Emanzipation mit dem gesellschaftlichen Aufstieg der ›Begabten‹ unter den Frauen, Minderheiten und Homosexuellen gleich und wollen die The-winner-takes-all-Hierarchie nicht mehr abschaffen.“ Ob es sich dabei tatsächlich immer um die Begabten handelt oder um Faktoren, die außerhalb sachbezogener Begabungen liegen, bleibt dahingestellt.

Fraser sah in Trumps Wahlsieg insofern einen Aufstand der Mehrheit der amerikanischen Wähler, eine „subjektive Gegenwehr gegen die objektive Strukturkrise“, weil sich diese Wähler „gegen ihre politischen Herren“, also gegen das oben beschrieben neue Establishment „auflehnten“. Damit hatte das Establishment, das nach Fraser aus dem „Bündnis der neuen sozialen Bewegungen‹ (Feminismus, Antirassismus, LGBTQ) mit Vertretern hoch technisierter, ›symbolischer‹ und dienstleistungsbasierter Wirtschaftssektoren (Wall Street, Silicon Valley, Medien- und Kulturindustrie)“ besteht, nicht gerechnet, zumal es sich in der Sicherheit wiegte, dass die öffentliche Meinung sich in der veröffentlichten Meinung erschöpfte.

Hillary Clintons Krönungsmesse sollte eigentlich beim G-20-Gipfel in Hamburg 2016 stattfinden, der zugleich als Ouvertüre für Merkels Wahlkampf, als mediale Heiligsprechung des Merkelismus in einem Wirsindmehr-Megavent geplant war. Dass ausgerechnet ein Unternehmen des hoch technisierten, dienstleistungsbasierten Wirtschaftssektors, nämlich Twitter, die Dominanz linksliberaler Medien vollkommen unbeabsichtigt zu unterlaufen half, musste als schwere Schlappe verstanden werden. Trumps Wahlsieg stellte sich für das sich liberal nennende, aber, wie man nicht nur an Twitters Zensur sehen kann, in Wahrheit illiberale Establishment ein Betriebsunfall dar. Er war einfach nicht vorgesehen.

Wie tief der Schmerz darüber geht, kann man bspw. an der WELT beobachten, die nun schon vier Jahre lang bis auf den heutigen Tag den damaligen Wahlkampf weiterführt und man ist schon zufrieden, dass man in der Redaktion der Tageszeitung aus dem Hause Springer wenigstens mitbekommt, dass inzwischen nicht mehr Hillary Clinton, sondern Joe Biden zur Wahl steht, was aber eigentlich egal ist, denn wer den Platzhalter Biden wählt, wählt eigentlich Kamala Harris.

Bedenkt man, worum es eigentlich bei dieser Wahl geht, wird das Motiv für Twitters Akt der Zensur deutlich, denn der Artikel in der New York Post legt unbeabsichtigt das große Thema, die große Richtungsentscheidung frei.

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Im Artikel der New York Post geht es vor allem um die wirtschaftlichen Interessen von Bidens Sohn Hunter in der Zusammenarbeit mit den Chinesen. TE hat bereits am 19. August 2020 über dieses Thema berichtet. Im Sommer meldete die WELT ein wenig triumphalistisch, dass die Wall Street sich von Donald Trump abwende und Wahlkampf für Joe Biden mache. Im Framing der dauerwahlkämpfenden WELT sollte damit der Eindruck erweckt werden, dass sich nun auch die fabelhafte Wall Street von Trump abwenden würde, was sie auch wirklich tat, nur hat die WELT vergessen, die Motive zu erwähnen, die nicht altruistisch sind, sondern einzig die Gewinnmaximierung – auf wessen Kosten auch immer – im Blick haben.

In ihrem erhellenden Buch „Die lautlose Eroberung. Wie China westliche Demokratien unterwandert und die Welt neu ordnet“ zeigen Clive Hamilton und Mareike Ohlberg, wie es den chinesischen Kommunisten gelang, in die Elite der Wall Street einzudringen. Pars pro toto scheint gerade der Gesinnungswandel des Gründers des Hedgefonds Bridgewater Associates, Ray Dalio, zu stehen. Noch 2015 warnte der Hedge-Fonds-Mogul und Finanzexperte Dalio, dass die Schuldenkrise in China einen kritischen Punkt erreicht habe. Doch als die „Times“ Dalios interne Warnung veröffentlichte, ruderte Dalio, der gerade sein China-Geschäft aufzubauen gedachte, zurück und meinte, er sei falsch verstanden worden. Im Jahr 2018 äußerte sich Dalio pessimistisch zu den Aussichten der Weltwirtschaft – mit Ausnahme der chinesischen Wirtschaft, die er über den grünen Klee lobte: „China ist ungeheuer erfolgreich.“

US-amerikanische Banken wie JP Morgan Chase haben, so berichten Clive Hamilton und Mareike Ohlberg, chinesische „Prinzlinge“ (Töchter und Söhne früherer und gegenwärtiger Parteifunktionäre in Spitzenpositionen) eingestellt, um Zugang zum chinesischen Markt zu erhalten. Aus diesem Zusammenhang heraus erklärt sich Bidens Appeasement gegenüber China, das nicht nur politischen, sondern wohl auch familiären Nutzen bringt. Laut Clive Hamilton und Mareike Ohlberg setzte sich Joe Biden bereits in der Obama-Administration für China ein. Sie schreiben in ihrem Buch, dass er im Dezember 2013 als Vize-Präsident Obamas eine offizielle Reise nach China unternahm. In der Air Force 2 begleitete ihn sein Sohn, Hunter Biden. „Und weniger als zwei Wochen nach der Reise schloss Hunters Firma … eine Vereinbarung über die Gründung eines Investmentfonds namens BHR Partners, dessen größter Anteilseigner die staatliche Bank of China ist – und das, obwohl Biden junior kaum Erfahrung mit Kapitalbeteiligungen hatte.“

Für die Wall Street scheint das chinesische Modell den Charme zu besitzen, dass die Macht der unwählbar Mächtigen in der Finanzwelt, in der Welt der Banken und Investment-Fonds, auf die politische Machtlosigkeit der Bürger trifft. Um die Globalisierung zu retten, um weiter an ihr zu verdienen, liebäugelt man anscheinend mit der Neuen Seidenstraße.

Eines zeigt die Zensur-Aktion von Twitter, dass das Bündnis aus „neuen sozialen Bewegungen‹ (Feminismus, Antirassismus, LGBTQ) mit Vertretern hoch technisierter, ›symbolischer‹ und dienstleistungsbasierter Wirtschaftssektoren (Wall Street, Silicon Valley, Medien- und Kulturindustrie“) alles daran setzt, dafür auch die Antifa aktiviert und Plünderungen in Kauf nimmt, die Spaltung befeuert, nur um einen erneuten Betriebsunfall, um eine neuerliche Auflehnung „dieser Wähler gegen ihre politischen Herren“ zu verhindern.

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