Tichys Einblick
Franco ist nicht vergessen

Vergangenheitsbewältigung a la española

Der Bürgerkrieg und die nachfolgende Diktatur sind auch 40 Jahre nach der Ratifizierung der Verfassung präsent in der spanischen Gesellschaft.Die Sozialdemokraten starten nun eine gesellschaftliche Debatte darüber.

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Für die 78jährige Teresa Revuelta, die ihren Vater im Bürgerkrieg verlor, wäre es nicht notwendig gewesen. Für die ausgewiesene Republikanerin Sonia Bautista ist es dagegen der Beginn einer neuen Ära für Spanien: „Wenn wir Diktatoren nicht verurteilen, dann können wir die Demokratie nicht schätzen“, sagt die 48jährige Künstlerin. Sie ist deswegen dafür, dass jetzt, wie von der sozialdemokratischen Regierung mit einer Mehrheit im Parlament beschlossen, der Sarg von Franco aus dem eigentlich als Gedächtnisstätte des Bürgerkrieges gedachten Madrider Monuments „Valle de los Caidos“ (Tal der Gefallenen) herausgeholt wird: „Da gehört ein Diktator nicht hin“, sagt Bautista. Durch den von Premier Pedro Sánchez beschlossenen Schritt wurde eine gesellschaftliche Debatte um den 1975 gestorbenen Diktator losgetreten, die so bisher nie offen geführt wurde.

Sánchez will damit die Arbeit von José Luis Rodríguez Zapatero zueende führen. Der Sozialdemokrat hatte 2007 die „memoria historica“ (Geschichtserinnerung) auf den Weg gebracht, die neben der Möglichkeit der Opfer, ihre Toten zu finden und zu betrauern, auch einige einschneidende Reformen für die Kirche vorsah. Aber dem damaligen Premier kam die Finanzkrise dazwischen. Sánchez will diese von Zapatero initiierte, jedoch von einem Teil der Bevölkerung nicht gewollte Vergangenheitsbewältigung zuende bringen. Dabei spielt auch die am 6. Dezember 1978 ratifizierte spanische Verfassung eine wichtige Rolle. Sie muss geändert werden, fordern viele Katalanen und auch die aktuelle Regierung. Die 17 autonomen Regionen und Städte sollen mehr Macht bekommen. Mindestens 50 Prozent der Katalanen und Basken wollen in ihrer Region zudem ein Referendum über Selbstbestimmung abhalten. „Aber auf Letzteres kann sich Sánchez nicht einlassen“, warnt Uni-Professor Donato Fernández: „Es besteht die berechtigte Angst vor dem Zerfall der spanischen Nation“.

Sánchez will einen Gleichstand zwischen Roten und Blauen

Während die konservativen Medien fast alle wettern, dass es angesichts einer nachlassenden Konjunktur nicht der richtige Zeitpunkt sei für die „memoria historica“, schreibt Manuel Vicent in der Tageszeitung „El País“, dass dieser Schritt einen langen Prozess nach sich ziehen werde, der aber letzendlich positiv sei. Denn Franco aus dem „Valle de los Caídos“ zu holen sei relativ einfach, schwieriger sei es „ihn aus dem Gehirn eines Groβteils der Spanier zu entfernen“. Er spricht von den Spaniern, die ihn hassen wegen seiner Greueltaten und von solchen, die ihn insgeheim immer noch bewundern. Vicent hofft, dass Franco nun durch die von Sánchez angezettelte Debatte von der „Geschichte verschluckt wird“ und so von der einen oder anderen Seite nicht mehr als Argument benutzt werden könne. In der spanischen Gesellschaft wird immer noch von den „rojos“ (Roten = Kommunisten und Republikaner) und den „Azules“ (Blauen = Franco-Anhänger) gesprochen. Die beiden diesen Fronten entsprechenden Volksparteien, PSOE (sozialdemokratisch) und PP (christlich-konservativ), führen diese Farben auch immer noch in ihren Logos.

Auch in der Kirche gibt es zwei Fronten

Nicht nur im politischen Leben, sondern auch in der Kirche gibt es in Spanien immer noch zwei Fronten: Die Jesuiten stehen traditionell eher links und der Opus Deí rechts. Beide kämpfen in ihren Elitschulen und Universitäten um die Talente des Landes und ihren Einfluβ. Ihre Businessschulen Iese (Opus Deí) und Esade (Jesuiten) gehören zu den besten der Welt. Um keine Wunden aufzureissen, hört man gerade auf konservativer Seite immer wieder, dass die Kirche gar keinen Einfluss mehr in Spanien habe. Die Zahlen beweisen jedoch etwas anderes: 2.600 katholische Schulen gibt es im Land und 16 Unis, wie Interessierte auf der Internet-Site der Erzbischöflichen Konferenz (CEE) erfahren. 1.500.000 der 45 Millionen Spanier bekommen demnach eine religiöse Ausbildung.

Gemäβ der Daten der Erzbischöflichen Konferenz (CEE) gibt es in Spanien rund 23.000 katholische Pfarreien, nur zum Vergleich: in Deutschland mit einer doppelt so hohen Bevölkerung sind es nur noch rund 11.000 gemäβ offizieller Angaben. Auf 45 Millionen Spanier kommen knapp 18.000 Priester, 812 Klöster und 7.000 Mönche. Mehr als 8 Millionen besuchen in Spanien regelmäßig die Messe. Das sind immerhin rund 20 Prozent der Bevölkerung. Während sein konservativer Vorgänger Mariano Rajoy ein treuer Kirchengänger und seine Partei PP Unterstützer des Klerus war, will Sánchez den Einfluss der Kirche beschneiden, auch um seine separatistischen und extrem-linken Helfer beim Misstrauensvotum Ende Mai gegen Rajoy zufrieden zu stellen. Nur dadurch kam er am 1. Juni an die Macht.

Kirche und Monarchie werden auf einmal angezweifelt

Aber auch Nicht-Gläubige wissen, welche enorme soziale Arbeit die Kirche, welche immer eng mit Franco verbunden war, in ihrem Land leistet. Spanien bietet anders als Deutschland wenige staatliche Leistungen für Familien und Immigranten an. Die Erzbischöfliche Bischofskonferenz (CEE) warnt Sánchez deswegen, sich nicht mit ihnen anzulegen. Die Sozialdemokraten wollen Religion aus dem Pflichtprogramm der Schule streichen und die Unterstützung für teil-private Schulen, viele davon sind religiöser Natur. CEE um Tamayo nennt das den „cash flow social“ der spanischen Kirche, die gemäβ der Angaben der CEE jährlich 335 Millionen Euro vom Staat bekommt. Auch weil hier einige ihre Felle wegschwimmen sehen, ist ein regelrechter Krieg im spanischen Parlament losgebrochen.

Die PP, immer noch eng verknüpft mit dem Opus Deí, hat stets die Interessen des Klerus verteidigt und in Sachen Franco immer Schweigen praktiziert. Die konservative Opposition versucht Sánchez, der jetzt die offene Debatte sucht, auch deswegen zu Fall zu bringen, so wie er es mit Rajoy gemacht hat. Der musste wegen der vielen Korruptionsvorwürfe in seiner Partei gehen.

Spanische Rechte rutscht der Boden unter den Füssen weg

Aber Revuelta, die ab und an in die Kirche geht und sich mit der Krone verbunden fühlt, zittern die Knie angesichts der immer aggresiveren Auseinandersetzungen im spanischen Parlament. Sie hat mit eigenen Augen gesehen, wozu ihre Landsleute fährig sind. Es erinnert sie an alte Zeiten, als beide Seiten mit Gewehren aufeinander losgingen: „Jetzt sind es Worte und Gesten, Lügen und Intrigen“. Vor allem die Monarchie und Kirche sind für sie feste Bestandteile ihrer Kultur. Dass es jetzt auch eine rechtsextreme Partei in Spanien gibt, Vox, gefällt ihr nicht: „Das erinnert alles an alte Zeiten“.

Nach den derzeitigen Umfrageergebnissen hat Sánchez zwar trotz aller Skandale um die von der konservativen Opposition aufgebrachten Plagiats-Verdächtigungen in seiner Doktorarbeit und den Rücktritt zweier Minister in nur 100 Tagen Amtszeit bei den kommenden Wahlen die Nase vor. Aber sein Spiel ist, selbst für viele seiner Parteikollegen, sehr gefährlich. Sollte er es jedoch schaffen, eine Mehrheit für seinen Haushalt zu finden, der unter anderem eine Anhebung des Mindestlohns um 22 Prozent vorsieht, dann dürfte sein Weiterregieren bis zum Ende der Amtszeit bis 2020 gesichert sein.