Tichys Einblick
Rede zur Lage der Nation

Das Wichtigste an Joe Bidens Rede war das, was fehlte

Es sprach ein erstaunlich wach und kräftig wirkender Joe Biden zu seiner Nation. Der 80-jährige Präsident stellte sich selbst ein Best-Zeugnis aus, in dem zentrale politische Fragen allerdings gar nicht vorkamen.

US-Präsident Joe Biden hält die Rede zur Lage der Nation, Washington,D.C., USA, 7. Februar 2023

IMAGO / Cover-Images

Mit Spannung wurde die SOTU, die State of The Union Rede Joe Bidens im Congress erwartet. Und der US-Präsident lieferte in Hollywood-Format. Im Publikum saß Bono von U2 direkt neben dem erstmals wieder öffentlich auftretenden Paul Pelosi (mit Hut), der mit Applaus begrüßt wurde. Die Eltern von Tyre Nichols, der in Memphis durch Polizeigewalt ums Leben kam, waren anwesend, dazu ein mutiger Lebensretter und Familien mit dramatischen Schicksalen – genau die Mischung, die für einen packenden Kinoabend benötigt wird.

Er trug das Manuskript fast fehlerfrei vor und verhaspelte sich kaum. Er nuschelte zwar, wie gewohnt, Sätze in sich hinein, die kaum zu verstehen waren, gratulierte Chuck Schumer fälschlicherweise dazu, Minderheitenführer im Senat zu sein, wirkte aber ansonsten nicht so verloren und verwirrt wie sonst. Soviel vorab.

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Während er in seiner Soul Of The Nation Rede im September ein viel kritisiertes martialisch-militärisches Ambiente kreierte, Trumps Wähler als Demokratiefeinde, Faschisten und Extremisten beschimpfte, kam Biden jetzt sachlicher und versöhnlicher daher. Statt der uniformierten Marines im Hintergrund, saßen Vizepräsidentin Kamala Harris und der „Speaker“ des Kongresses, Kevin McCarthy, hinter ihm. Harris gab die dauerlächelnde Vorklatscherin, stand alle zwei Minuten applaudierend auf und signalisierte dem Publikum, es ihr gleich zu tun. Neben ihr der gelangweilt wirkende neue Parlamentspräsident McCarthy, der meist nur müde den Kopf schüttelte und seine Augen auf Halbmast hielt.

Biden selbst war für seine Verhältnisse erstaunlich wach und offensiv. Über eine Stunde sprach er über die Maßnahmen, die seine Regierung bereits in die Wege geleitet hatte, und die zukünftigen Pläne. Wie in einem kleinen Gemischtwarenladen gab es von allem etwas – vor allem Lob für seine eigene Politik. Biden zeichnete sich als neuen Superman: In zwei Jahren hätte er mehr erreicht als alle anderen Präsidenten in vier Jahren. 10 Millionen neue Geschäftsgründungen, sinkende Spritpreise, weltweiter Friedensstifter, Kämpfer gegen die Pharmalobby („Insulin soll für Amerikaner nicht mehr als 35 $/Monat kosten dürfen“), den Klimawandel, das ungerechte Steuersystem („Kein Milliardär sollte einen geringeren Steuersatz zahlen als ein Lehrer oder Feuerwehrmann“), oder Drogen („Fedex soll Pakete jetzt auf Fentanyl checken“).

Trump hält eine eigene Ansprache zur Lage der Nation

Er gab sich als Verteidiger des Verbraucherschutzes („Airlines sollen den Endpreis bei Beginn der Buchung anzeigen“), Kämpfer für gestrauchelte Veteranen und Obdachlose („Niemand sollte obdachlos sein, erst recht nicht diejenigen, die gedient haben“) und Krebskranke („Wir wollen die Todesrate bei Krebs halbieren“). (Die Rede in voller Länge kann hier nachgelesen werden.)

Klang alles super, quasi der Trippel-Wumms des 80-jährigen Präsidenten. Wie er die Vorhaben finanzieren will, wie genau die Ziele erreicht werden sollen verriet er jedoch nicht. Interessant auch, dass Probleme nie durch Fehlentscheidungen seiner Regierung entstanden. Die seltsamste Entgleisung: „COVID had shut down our businesses, closed our schools.“ Seltsamerweise hat das Virus die Schulen und Geschäfte in Florida nicht geschlossen, dort sorgte Govenor DeSantis dafür, dass sie offen blieben. Für alle anderen ungelösten Probleme war vorrangig sein Vorgänger im Amt zuständig. Er beschuldigte sogar die Republikaner, Medicare und die Sozialsysteme gänzlich abschaffen zu wollen, was zu minutenlangen Buh-und Protestrufen der Republikaner führte.

Die bei Demokraten unbeliebten Themen wie steigende Preise, Wohnungsnot oder Sicherheit der Grenze zu Mexiko vermied er. Der Kongressabgeordnete Matt Gaetz kritisierte daher völlig zurecht, dass Biden mehr über die Grenzen der Ukraine als über die Krise an der eigenen Grenze sprach.

Trump setzte noch einen drauf und hielt eine eigene Ansprache zur Lage der Nation. Er sprach dabei über die illegale Einwanderung, die wachsende Kriminalität, den Drogenhandel über die offenen Grenzen und die historisch hohe Quote bei Kapitaldelikten wie Mord und Vergewaltigung unter der Regierung Bidens.

Insgesamt war das wichtigste Merkmal der Rede das, was fehlte. Tatsächlich sprach Biden viel über „Einheit“ und darüber, wie „Demokraten und Republikaner wieder zusammenkommen“. Ausnahmsweise benutzte er nicht einmal „MAGA“ (Trumps Parole „Make America Great again“) als abwertend. Im Gegenteil: Er verkündete, dass in manchen Sparten wie zum Beispiel der Baubranche nur noch Produkte „Made in America“ verwendet werden dürfen. Er appellierte damit mehrfach an die Republikaner, die er jetzt braucht. Ob ein vielfach wiederholtes „Let’s finish it“ reicht, ist fraglich.

Fazit: Die Rede klang oberflächlich gut – so gut wie das Arbeitszeugnis eines gerade entlassenen Angestellten.

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