Tichys Einblick
Twitter-Files:

Angebliche „Russische Bots“ entpuppen sich als gewöhnliche konservative Nutzer

Russische Bots seien für Trump in die Bresche gesprungen – das war die falsche Erzählung, die ein Washingtoner Thinktank verbreitete. Die Twitter-Leitung konnte sich aber nicht zu einem öffentlichen Dementi durchringen. Chronik eines Versagens.

IMAGO / NurPhoto

Gibt es so etwas wie Bots auf Twitter, gar in großer Zahl und in russischen Diensten stehend? Die aktuellen Twitter-Files, erneut von Matt Taibbi recherchiert und herausgegeben, legen anderes nahe. Demnach hat ein Demokratie-Projekt, das unter großem Aufwand versuchte, russische Bot-Profile zu enttarnen, sich schlichtweg geirrt.

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Zitiert wird aus den E-Mails von Yoel Roth, der einst Leiter der Trust-and-Safety-Abteilung, mit anderen Worten Twitter-Beauftragter für Vertrauen und Sicherheit, war. Laut Taibbi bezeichnete Roth das Unternehmen „Hamilton 68“ schon im Oktober 2017 als „bullshit“, „merkwürdig“, intransparent – kurzum, das Projekt hatte auch laut dem Twitter-Internen Schlagseite. Es war eines dieser Projekte, die sich als Programm für mehr Demokratie verstehen und doch nur einen kleinen Teil des politischen Spektrums als gültigen Ausdruck von Demokratie ansehen. So sieht dann auch ihr Handeln aus. Hamilton 68 habe schlicht einen bunten Strauß „nach rechts tendierender Profile“ angeklagt, russische Bots zu sein, ohne die nötigen Beweise vorzulegen, schrieb Roth erneut im Januar 2018.

In der Tat veröffentlichten die Leute von „Hamilton 68“ nie die von ihnen erstellte Liste mit angeblich 600 Twitter-Profilen unter russischem Einfluss. Begründung: Der Kreml werde die Profile dann schlichtweg löschen. Doch worin bestand der Nutzen des Fortbestehens der Profile? Vielleicht bestand er darin, sie weiterhin überwachen und so seine eigene Existenzberechtigung vorweisen zu können.

Als Roth selbst durch einen technischen Trick nachschaute, welche Profile die Hamilton-Leute auf dem Kieker hatten, fand er vor allem Pro-Trump-Profile – tatsächlich waren es 648 –, die als Beweis für den russischen Einfluss herhalten mussten, obwohl es keine guten Belege gab. Früh kamen die Twitter-Mitarbeiter selbst darauf, dass es sich um eine „massive Beeinflussungsoperation“ handelte, die aber nicht von Russland oder der Trump-Kampagne ausging, sondern von der Alliance for Securing Democracs (ASD), die das Hamilton-Projekt gestartet hatte.

„Liste bestand aus gewöhnlichen Amerikanern, Kanadiern und Briten“

Die Alliance for Securing Democracy (ASD) gilt als überparteilich bzw. als von beiden großen Parteien getragen. In ihrem Beirat sitzen ebenso neokonservative Autoren wie der Ex-Kampagnenchef von Hillary Clinton, John Podesta. Die Allianz ist zudem beim angesehen German Marshall Fund (GMF) beheimatet, jener Brautgabe der Bundesrepublik an die USA, den die Regierungen Brandt, Kohl und Schröder mit mehr als 250 Millionen DM Stiftungskapital versahen.

Am 15. Februar 2018 fügte Roth hinzu, dass die meisten der verdächtigten Profile weder „eindeutig russisch“ noch „eindeutig Bots“ seien, sondern konservative, republikanische oder rechtsgerichtete Nutzer. Doch die Russen-Bot-Story der Leute von „Hamilton 68“ schaffte es in viele Zeitungs- und Medienartikel von Politico über Business Insider bis hin zum Rolling Stone.

Unter den inkriminierten Twitter-Nutzern fand sich etwa der britische Comedian, der unter dem Profil ‚Old Holborn‘ firmiert. Auch Parodie-Profile zu Trump und Putin stehen auf der Liste angeblicher Russen-Bots. Dennis Michael Lynch ist ein konservativer Filmproduzent und ehemaliger Nachrichtenmoderator – aber sicher kein russischer Bot. Lynch war entsetzt: „Als stolzer steuerzahlender Bürger, Familienmensch und ehrlicher Sohn eines US-Marines habe ich etwas Besseres verdient. Und das haben wir alle!“ Die Liste wohlbekannter Persönlichkeiten endet damit nicht: Joe Lauria ist der Chefredakteur der unabhängigen Internet-Zeitschrift Consortium News und entgeistert, dass sich sein Name auf der Desinformationsliste von „Hamilton 68“ findet. Taibbi resümiert: „Für den Laien ausgedrückt: Hamilton 68 hatte kaum ein paar Russen aufgespürt. Abgesehen von ein paar RT-Berichten [Russia Today] bestand die Liste vor allem aus gewöhnlichen Amerikanern, Kanadiern und Briten.“

Twitter und Washington hackten sich kein Auge aus

Laut Taibbi entstanden hunderte, wenn nicht tausende Mainstream-Artikel und TV-Berichte aus der von „Hamilton 68“ gesäten Desinformation über russische Bots, die das Geschäft der Trump-Republikaner erledigten.

Und die Twitter-Mitarbeiter, die das Verfahren spätestens im Frühjahr 2018 aufgedeckt hatten, so muss man hinzufügen, taten sich schwer, diese Info deutlich nach außen zu kommunizieren. Ein Mitarbeiter von Yoel Roth schrieb am 15. Februar: „Warum können wir nicht einfach sagen, dass wir diese Profile überprüft haben, dass diese Leute wirklich diese Ansichten haben und das Zitieren von Hamilton 68 folglich falsch, unverantwortlich und einseitig ist?“ Doch eine spätere Sprecherin des Weißen Hauses, Emily Horne, warnte, man müsse aufpassen, wie sehr man die ASD öffentlich kritisiere. Und Carlos Monje, der bald ebenfalls als Berater für die Biden-Administration arbeiten sollte, gab sich „sehr frustriert, dass wir Hamilton 68 nicht deutlicher kritisiert haben, aber es scheint, dass wir in dieser Sache ein längeres Spiel spielen müssen“. Hier zeigt sich erneut das Geflecht, das die alte Twitter-Führung mit den Washingtoner Eliten bildete. Man hackte einander kein Auge aus, auch wenn eine Sache zum Himmel stank.

Immerhin fand eine, relativ kleine Nachricht den Weg schon früh in die Presse. Dass der Hashtag #ReleaseTheMemo nicht eine russische Bot-Mode war, sondern von authentischen Konservativen und Trump-Anhängern kam, stand so schon im Januar 2018 auf der eher linkslastigen Website The Daily Beast. In der besagten Denkschrift („memorandum“) sollte es angeblich darum gehen, dass Hillary Clinton ein Komplott plante. Es ging aber auch um die Überwachung der Trump-Kampagne durch Sicherheitsbehörden, die den Demokraten zuneigten.

Die geheime Liste: Viele wussten einfach nicht, wovon sie sprachen

An der Spitze des Projekts stand der frühere FBI-Abwehragent Clint Watts, der inzwischen für den Fernsehsender MSNBC arbeitet. Merkwürdig – es ist nach Charles McGonigal der zweite Ex-Mitarbeiter des FBI-Antispionage-Arms, der sich als wenig vertrauenswürdig erweist. Nur hat Watts seine Dienste nicht an den „Feind“ verkauft wie McGonigal. Dafür instrumentalisierte er die Angst vor russischem Einfluss, um in das US-Parteiensystem und damit letztlich in kommende Wahlkämpfe einzugreifen.

Jahrelang durchpflügten seitdem die Berichte über die Unterstützung bestimmter Standpunkte und Personen die US-Leitmedien, etwa wenn die Fox-Moderatorin Laura Ingraham unterstützt wurde, wie die Washington Post im April 2018 glaubte. Aber auch der Hillary-Konkurrent um die demokratische Kandidatur, der Sozialist Bernie Sanders, soll von russischen Bots profitiert haben, ebenso wie auf der anderen Seite Donald Trump. Das entspricht Wahrnehmungen, die auch in Deutschland – etwa bezogen auf AfD und Linkspartei – teils offen geäußert werden, als seien diese beiden Parteien die „fünfte Kolonne“ Moskaus.

Recherchen, Missverständnisse und das „höhere Interesse“

Doch zumindest in den USA wussten viele Zeitungsschreiber schlicht nicht, wovon sie sprachen, wenn sie von den „Russen-Bots“ auf Twitter schrieben. „Hamilton 68“ hatte seine Methodologie, durch die es auf seine Behauptungen kam, nie offengelegt.

Auch die Präsidentschaftskandidatur der Demokratin Tulsi Gabbard soll laut Taibbi unter die Räder des Russen-Bots-Vorwurfs von „Hamilton 68“ gekommen sein. Daneben wurde behauptet, dass Trump-Anhänger viele Fake-News auf Twitter verbreiten – doch auch das geschah unter Rückgriff auf das Demokratie-Projekt der Hamiltonianer. Die haben eine langwierige Erwiderung auf Matt Taibbi geschrieben, die aber nicht den Kern seiner Recherche zu treffen scheint – dass es schlicht keine „russischen Bots“ waren, die von der Demokratie-Allianz ASD als solche bezeichnet wurden. Viel ist hier die Rede von Methodologie und eindeutigen Beweisen. In ihrem „Factsheet“ geben die Hamilton-Macher zu, dass einige „Profile echter Amerikaner“ sich auf der Liste wiederfanden – und wollen von der Beschreibung als „Bots oder sogar Russen“ nichts mehr wissen. Das war aber das jahrelange Medienecho auf ihre Auswertungen.

Es ist schwer einzusehen, wie diese Rechtfertigung und die Beobachtungen von Yoel Roth zugleich wahr sein sollen. Wahrscheinlich geht es auch in diesem Fall um die Kluft zwischen originärer Recherche und ihrer Popularisierung in handlichen Begriffen. Aber angesichts des einhelligen Medien-Echos auf ihre Tätigkeit muss den Machern von „Hamilton 68“ hier mindestens eine Mitschuld gegeben werden: Die (angebliche) Verfälschung ihrer Daten in fast allen Medien lag offenbar in ihrem „höheren Interesse“.

Matt Taibbi kommt zu dem Schluss, dass eine Mischung aus digitalem „McCarthyism“ und Betrug großen Schaden am politischen System wie an der Kultur der Vereinigen Staaten bewirkt habe. Vor allem die Verdachtshaltung, die abweichende Meinungen als Teil von feindlichen Propaganda-Operationen markiert, muss unter diese schädlichen Wirkungen gezählt werden.

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