Tichys Einblick
In einem Wahlkampf ohne Kontroverse

Trump bricht Interview ab: »Fake und voreingenommen«

Mit dem nun inszenierten Eklat im Weißen Haus versucht Trump knapp zwei Wochen vor den Wahlen noch einmal die Meinungsvorherrschaft der großen Senderfamilien zu brechen. Er setzt erneut auf die direkte Kommunikation mit seinen Wählern. Kann er so seine Kampagne retten?

imago images / ZUMA Wire

Der polternde Geist des amerikanischen Wahlkampfes ist zurück. Donald Trump versucht einmal mehr, sich als öffentliche, politische Figur in die Schlagzeilen zu bringen, und greift dabei weniger auf Inhalte zurück denn auf die Form des politischen Diskurses. Ein mit CBS geplantes Interview brach der Präsident nach gut 40 Minuten ab. In der Sendung 60 Minutes hätte Trump in der letzten Viertelstunde eigentlich zusammen mit Vizepräsident Mike Pence auftreten sollen. Angeblich brachten ihn aber Unstimmigkeiten mit der Journalistin Lesley Stahl dazu, den Drehort im Weißen Haus plötzlich zu verlassen und nicht zurückzukehren. Pence absolvierte die letzten 15 Minuten des Interviews ohne Trump.

Tatsächlich fehlt dem Wahlkampf bisher ein bisschen von dieser kontroversen Stimmung, von der Trump 2016 so sehr profitieren konnte. Aber wie könnte er sie auch als Amtsinhaber erneut und mit der gleichen Intensität erzeugen? Die Wahlkampfreden des Präsidenten versuchen sich in Machtkritik, wo immer es geht, sind insofern auch Dokumente bürgerlichen Aufbegehrens. Aber Trump bleibt dabei weitgehend auf demokratische Gouverneure wie Gretchen Whitmer in Michigan beschränkt.

Daneben versucht seine Kampagne, in der Vergangenheit von Joe Biden – und seinem Sohn Hunter – zu graben, was auch nicht von allen konservativen Beobachtern als glücklich angesehen wird. Was fehlt, sind die großen Themen, über die Republikaner und Demokraten streiten könnten, wollten und – eigentlich – müssten. Doch im Zeichen dieses Covid-Sommers scheint alles zu einer trägen Masse geronnen, die Proteste haben das Problem verschlimmert und den Trump-Gegnern beim Barrikadenbau geholfen. Über den Gegenkandidaten müsste man eigentlich kein Wort verlieren, wenn er sich nicht so gut gehalten hätte.

Was könnte also an dieser Stelle besser wirken als die Erinnerung an den politmedialen Komplex der USA und seine Vorliebe für Joe Biden? Trump suchte sich eine Journalistin heraus und spießte sie öffentlich auf: Lesley Stahls Interview stellt nach ihm eine »schreckliche Einmischung« in die kommenden Wahlen dar, und so bekomme jeder einen ersten Eindruck davon, was »ein falsches und voreingenommenes Interview« ausmacht. Schon einmal hatte sich Trumps Gedankenaustausch mit Stahl im Jahr 2018 als schwierig herausgestellt.

Trump bricht aus der Informationsvorherrschaft der Networks aus

Behauptet wird nun, dass Trump dieses Mal die Fragen nicht mochte, die ihm Stahl zu seiner Corona-Politik und zum Publikum seiner Rallies stellte. Ein weiteres Thema des Interviews soll Trumps Verhältnis zur demokratischen Gouverneurin von Michigan, Gretchen Whitmer, gewesen sein. Auf einer Wahlkampfrede dort hatte Trump die Wähler dazu aufgefordert, sich für ein Ende des »unwissenschaftlichen« Lockdowns in ihrem Staat einzusetzen. Daraufhin erklangen ironische »Lock her up«-Rufe, ein Echo aus dem Wahlkampf 2016, als es ähnliche Parolen auf Hillary Clinton gab.Trump gab den Rufen in gewisser Weise Recht, sagte er doch mit nachlässiger Geste: »Sperrt Sie halt alle ein.« Es sah aber nicht so aus, als ob er die Rufer ermutigt hätte. Trump schien eher zu überlegen, ob ihm die Szene schaden könnte. An dieser Stelle ist Trump vielleicht eine Spur staatstragender geworden in vier Jahren Präsidentschaft.

Was Trump mit seinem Interview-Abbruch erreichen dürfte und vermutlich auch wollte: Die Aufmerksamkeit – sogar von hyperkritischen Networks wie CNN – wechselt augenblicklich wieder auf seine Kampagne und das Drama, das sich zwischen ihm und den Medien des Landes zu entspinnen scheint. Die Ausstrahlung der aufgenommenen 40 Minuten wird sich auch CBS in dieser Lage nicht entgehen lassen. Sie dürften Quote bringen, von Trump-Hassern ebenso wie von denen, die ihn lieben. Und natürlich vom Mittelfeld dazwischen, das sich ein eigenes Urteil bilden will.

Mit der Ankündigung, das Video vielleicht selbst noch vor der Ausstrahlung zu veröffentlichen, zeigt Trump zudem, dass er sich nicht vor diesem Urteil fürchtet. Seinen Anhängern bei einer Rally in Pennsylvania sagte er: »Ihr müsst euch ansehen, was wir mit 60 Minutes machen, ihr werdet eure helle Freude daran haben. Lesley Stahl wird nicht glücklich sein.« Der Präsident trat außerdem als Investigativjournalist in eigener Sache auf, wenn er schrieb, dass er das Video veröffentlichen könnte, um der »Genauigkeit der Berichterstattung« nachzuhelfen. Das deutet auf Trumps Misstrauen hin, was mit dem Material bei CBS geschehen und wie es zusammengeschnitten werden könnte.

Ganz anders seien die Interviews, die Herausforderer Joe Biden zuletzt gegeben hatte. Schon öfter hatte Trump die Journalisten für ihre Kinderfragen an den Herausforderer gerügt, während er regelmäßig gegrillt werde.

Covid-Politiken: Regeln für mich, doch nicht für dich?

Einen ersten Stich versuchte die Trump-Kampagne, mit dem kurzen Video der maskenlosen Lesley Stahl im Weißen Haus zu machen. Das taugt vielleicht sogar zum Aufreger (oder besser noch: Neutralisierer) in einem Land, in dem das Maskentragen zwischen Links und Rechts inzwischen fast genauso kontrovers diskutiert wird wie das Recht, Waffen zu tragen, oder die staatliche Krankenkasse für alle namens Obamacare. Eine Pressemitarbeiterin des Weißen Hauses sekundierte, zuvor habe Stahl sie für ihre fehlende Maske kritisiert. So wird die Todsünde der Doppelzüngigkeit an der CBS-Moderatorin konstatiert: »Regeln für dich, nicht für mich, Lesley?« Also ein ähnliches Argument wie schon im Falle Gretchen Whitmer, deren Mann sich angeblich durch seinen Prominentenstatus Vorteile verschaffen wollte.

Medien aus den USA oder auch nicht vermerken an dieser Stelle ehrfurchtsvoll, dass Stahl ebenso wie Trump mit Covid im Krankenhaus war, sich davon aber ebenfalls wieder erholt habe, und dass Pressemitarbeiterin Karoline Leavitt sich zumindest angesteckt habe. Die mediale Paranoia und Hysterie wird so stets knapp unter dem Siedepunkt gehalten.

Nebenprodukt von Trumps Eklat und am Ende vielleicht auch einer seiner Gründe: Man wird ihn nicht neben Mike Pence sehen. Damit stärkt Trump im Vorbeigehen nochmals seinen Lone-Rider- Ruf. Man kann Trumps Aktion als ein einheitliches Etwas auslegen. Fast alle Signale deuten auf diesen Punkt hin. Gesendet werden sollen die Interviews in einer Sonderausgabe am Sonntagabend, zusammen mit Interviews, die Lesley Stahl mit den demokratischen Herausforderern Joe Biden und Kamala Harris führte.

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