Tichys Einblick
Lars Klingbeil

Grundsatzrede des SPD-Chefs: Mehr Globaler Süden, weniger Israel-Solidarität

Der Parteichef musste bei seiner Afrika-Reise erkennen, dass eine allzu große Solidarität mit Israel die angestrebte Annäherung an den „Globalen Süden“ gefährden könnte. In seiner – medial kaum beachteten – Rede hierzu offenbart er, welchen Schluss er daraus zieht: mehr „Israel-Kritik“ und weniger Israel-Solidarität.

SPD-Chef Lars Klingbeil bei der Fraktionssitzung der SPD-Bundestagsfraktion im Reichstagsgebäude, Berlin, 19.03.2024

IMAGO / Future Image

Am Montag hat SPD-Chef Lars Klingbeil im Willy-Brandt-Haus in Berlin eine Grundsatzrede zur „Nord-Süd-Politik“ gehalten. Seine Worte sind medial kaum beachtet worden; dabei bergen sie im Bereich der Israel-Politik Sprengstoff. Die Rede zeigt deutlich auf, wohin die Reise geht: in Richtung immer weniger Israel-Solidarität – und dies nicht nur konkret mit Blick auf den anhaltenden Gaza-Krieg, sondern generell, also mittel- bis langfristig.

Anlass für Klingbeils Rede war eine Afrika-Reise, die der Parteichef jüngst unternommen hatte. Sie führte ihn nach Namibia, Südafrika und Ghana. Offenbar waren die Aufenthalte so eindrücklich, dass Klingbeil sich auf die Fahnen schrieb, dazu eine „programmatische Rede“ (so die SPD) zu halten.

Der Grundtenor: Es brauche eine „neue Nord-Süd-Politik“, die sich gegenüber dem sogenannten „Globalen Süden“ und dessen „Perspektiven“ weiter öffnet, man könnte auch sagen: diese übernimmt. Zur Begründung verwies Klingbeil darauf, dass die „westliche Hegemonie lange vorbei“ sei: „Um unsere Interessen wahren zu können, brauchen wir neue Partnerschaften“, sprich: viele Länder Südamerikas, Asiens und Afrikas.

Was aber hat das mit der Israel-Thematik zu tun? Zahlreiche Länder aus den genannten Regionen sind nicht gerade als Israel-Freunde bekannt. Südafrika etwa, einer der von Klingbeil besuchten Staaten, hat sich nicht erst seit dem Gaza-Krieg an die Spitze einer internationalen Kampagne gesetzt, die Israel als genozidalen Kolonial- und Apartheidstaat zu delegitimieren versucht. In der Konsequenz greift Preotoria die Existenzgrundlagen des jüdischen Staates an.

Zwar ist Israel ein winzig kleines Land und man möchte meinen, dass es in Afrika genügend Problem gibt, über die man sich den Kopf zerbrechen kann – allerdings besitzen Antisemitismus und Israel-Hass eine außerordentliche Triebkraft. Entsprechend ist der Gaza-Krieg auf dem afrikanischen Kontinent ein großes Thema. Und mit ihm das weit verbreitete Gefühl, dass Deutschland dabei auf der angeblich falschen Seite, nämlich der Israels, steht.

Das bekam auch Klingbeil während seiner Reise „in aller Deutlichkeit“ zu spüren: Die Eskalation in Nahost sei eine „noch kompliziertere Belastungsprobe“ für das deutsch-afrikanische Verhältnis als der Ukraine-Krieg, erklärte der Parteichef in seiner Grundsatzrede. Das Vorgehen Israels habe im „Globalen Süden“ für Empörung gesorgt, der Westen stehe im Ruch, Doppelstandards zugunsten Israels anzulegen.

Aus Sicht Klingbeils ist das ein Problem: Der Parteichef musste erkennen, dass eine allzu große Israel-Solidarität die angestrebte Annäherung an den „Globalen Süden“ gefährden könnte. Seine Schlussfolgerung daraus: mehr „Israel-Kritik“, mehr Entsolidarisierung mit dem jüdischen Staat, mehr Belehrungen an dessen Adresse wagen. Genau das tat er noch in derselben Rede.

Denn zwar betonte der Parteichef pflichtgemäß, Israel habe ein Recht auf Selbstverteidigung, nur um dann allerdings klar zu machen: „Das geht mit der Verantwortung einher, selbst das Völkerrecht zu achten und die Verhältnismäßigkeit des Einsatzes in Gaza sicherzustellen. Daran gibt es erhebliche Zweifel, die auch wir klar benennen müssen, wenn wir uns glaubhaft für eine Achtung des Völkerrechts einsetzen wollen.“

Die scharf antiisraelische Kampagne Südafrikas gegen Israel redete Klingbeil dann noch als „unterschiedliche Standpunkte und Blickwinkel“ klein, über die er sich vor Ort selbstverständlich auch ausgetauscht hatte – allerdings offenbar mit ganz viel Verständnis für „den südafrikanischen Befreiungskampf und die historisch gewachsene Solidarität mit den Palästinenserinnen und Palästinensern“, wie der SPD-Chef selbst es formulierte.

Quintessenz der Rede: mehr Bekenntnis zu „kolonialer Schuld“ wagen, stärker auf die Perspektive des „Globalen Süden“ hören. Dass das in Konkurrenz zu einer starken Solidarität mit dem jüdischen Staat tritt, hat Klingbeil offen benannt. Diesen Konflikt will er künftig stärker zulasten Israels auflösen. Weil es aus seiner Sicht die geopolitischen Verschiebungen verlangen. Wohl aber auch mit Blick auf die rapide Veränderung der Bevölkerungszusammensetzung in Deutschland, welche zunehmend „global-südlicher“ wird. Das hat Klingbeil natürlich nicht erwähnt.

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