Tichys Einblick
Neuer EU-Haftbefehl gegen Puigdemont

Spaniens Regierung kommt ins Schwitzen

Nach der Verkündung der Gefängnisstrafen für die seit zwei Jahren in Untersuchungshaft sitzenden Separatisten muss Pedro Sánchez nun beweisen, wieviel Staatsmann in ihm steckt.

Police run over a barricade of burning cardboard boxes during a protest against the jailing of Catalan separatists on October 15, 2019 in Barcelona

Alex Caparros/Getty Images

Die Verkündung der Haftstrafen für die seit zwei Jahren inhaftierten katalanischen Politiker hat am Montag zu schweren Ausschreitungen in Barcelona und Girona geführt. Es wurde unter anderem der Flughafen der Touristenmetropole blockiert, indem Protestierende mit gefälschten Tickets in das Gebäude gelangten, das schon im Vorfeld abgesichert worden war. Bei den Ausschreitungen wurden rund 30 Personen verletzt. Dutzende Flüge mussten abgesagt werden. Die Gewalt unter den Sympathisanten für eine katalanische Republik nimmt seit Monaten zu. Mit „Tsunami Democràtic“ präsentierte sich am Montag auch eine neue Gruppierung auf der Bildfläche, die vom spanischen Geheimdienst beobachtet wird, wie der Innenminister mitteilte. Seit Monaten tobt bereits das Comité de Defensa de la República (CDR) in Katalonien. Sie sperren Straβen ab, organisieren spontane Proteste, bemalen Häuser. Die regierenden Sozialdemokraten (PSOE) hatten am Montag zur Urteilsverkündugn mit Protesten und Gewaltausschreitungen gerechnet, die Masse der Bürger, die auf die Strasse gingen, hat sie dann doch überrascht, auch weil die Haftstrafen für neun der Angeklagten mit zwischen 9 und 13 Jahren weit unter den Anforderungen der Staatsanwaltschaft lagen. Diese verlangte eine Verurteilung wegen Rebellion, was den Gefängnisaufenthalt auf 25 Jahre hochgetrieben hätte.

Aus dem Ausland betrachtet scheinen die Urteile gegen die Organisatoren des illegalen Referendums über die Unabhängigkeit Kataloniens vom 1.Oktober 2017 hart und eine Untersuchungshaft von fast zwei Jahren unmenschlich. In der spanischen Realität sieht das wieder ganz anders aus. Denn wenige Wochen danach hat die separatistische Regionalregierung die katalanische Republik ausgerufen. Das Wort „Rebellion“ und auch „Staatsputsch“ wird zwar gerne von der rechten Opposition in diesem Zusammenhang ins Spiel gebracht, konnte juristisch aber bei keinem der Angeklagten nachgewiesen werden. Verurteilt wurden sie wegen Aufruhr und der Veruntreuung von Staatsgeldern. Klar ist, dass die weiteren Ereignisse um die Urteilsverkündigung die Parlamentswahlen am 10. November entscheidend beeinflussen werden. Premier Pedro Sánchez muss nun beweisen, wie viel Staatsmann in ihm steckt. In einer ersten Reaktion machte er klar, dass die Verurteilten nicht auf Begnadigung hoffen könnten. Aber sein weiteres Geschick oder Missgeschick im Umgang mit dem immer radikaler agierenden katalanischen Separatismus wird zwangsläufig Einfluss haben auf das Ergebnis der PSOE.

Katalonien wird zum Prüfstand der spanischen Demokratie

Paktieren und Verhandeln ist nicht die Stärke der Spanier, deswegen konnte die erst im April 2019 meistgewählte PSOE auch keine Mehrheiten im Parlament finden, um Pedro Sánchez erneut als Premier aufzustellen. Er war durch ein Misstrauensvotum am 1. Juni 2018 gegen Mariono Rajoy an die Macht gekommen. Nach dem Ausrufen der katalanischen Republik im Herbst 2017 hatte dieser die Regionalregierung abgesetzt und Katalonien monatelang unter Zwangsverwaltung gestellt. Sánchez Rechnung, über Dialogangebote an die Separatisten und mehr Geld für Katalonien den Wunsch nach einer republikanischen Republik zu lindern, ist nicht aufgegangen. Die aktuelle katalanische separatistische Regierung unter Quim Torra hat sich in den vergangenen 12 Monaten nicht von seiner Taktik einfangen lassen.

Der Katalane und spanische Außenminister Josep Borrell kennt den Konflikt bis ins letzte Detail. Er weiß, dass Spaniens Regierungen zu lange warteten, statt gegen die Propaganda und Radikalisierung der Separatisten einzugreifen und dass seine Regierung 2018 eigentlich nur noch die Scherben aufkehren konnte. Der Fall Katalonien zeigt, dass moderne Demokratien Opfer ihrer eigenen Ansprüche werden und Opfer ihres eigenen Erfolgs werden. Wenn Borrell sagt, dass die Hälfte der Katalanen keine Unabhängigkeit will und die Regierung in Katalonien nicht immer kommunizieren kann, dass sie alle Katalanen vertritt, dann muss berücksichtigt werden, dass sie jedoch derzeit die Mehrheit im Parlament haben. Innerhalb der Gesellschaft sympathisiert zudem mit ihnen ein Drittel der katalanischen Bevölkerung, das keine Unabhängigkeit will, aber Spanien die Stirn bieten möchte. Es sind die „catalanistas“. Sie sind stolz auf ihre Region, auf ihren Fußball und wollen möglichst unabhängig von der Madrider Regierung agieren. Wer diese zu den 40% ausgewiesenen Separatisten hinzurechnet, merkt, dass die Verteidiger einer spanischen Einheit in Katalonien nur noch in der Minderheit sind.

Spaniens Geschichte lastet schwer auf der Gegenwart

Das weiß auch der nach Belgien geflohene Carles Puigdemont, ehemaliger Regierungschef in Katalonien, der aus der Ferne zu Protesten gegen die Urteile aufruft und die Gunst der Stunde gekommen sieht. Für die Separatisten ist der ehemalige Journalist ein Held, für die Madrider Regierung dagegen ein Drahtzieher der Radikalisierung der katalanischen Gesellschaft. Der Euro-Haftbefehl der spanischen Justiz gegen ihn wurde gerade erneuert. Gesucht wird er jetzt wegen Aufruhr, bisher war er es auch wegen Rebellion, weswegen Deutschland sich damals weigerte, ihn auszuliefern, als er sich 2018 auf deutschem Boden befand. Wie Belgien, das selber unter Unabhängigkeitsbestrebungen einzelner Regionen leidet, sich nun verhalten wird, bleibt abzuwarten. Auf Spanien wartet in jedem Fall ein heißer Herbst. Zumindest konnte Sánchez vor den Wahlen im November gerade sein Prestige-Objekt zueende bringen, für das ihn selbst die Separatisten loben: die Umbettung des Diktators Francos aus dem Madrider Bürgerkriegsdenkmal „Valle de los Caidos“. Seine Familie soll sich um ihn kümmern.

Damit glaubt Sánchez, einen wichtigen Teil zur Überwindung der Gräben zwischen den eher republikanisch denkenden Linken und den Nationalkonservativen beigetragen zu haben. Aber wie auch der spanische Intellektuelle Manuel Vincent in einem Artikel in der Tageszeitung „El País“ im Herbst vergangenen Jahres schrieb, ist das nur eine symbolische, wenn auch notwendige Geste: „Franco aus den Köpfen zu kriegen, ist viel schwieriger“. Auf der einen Seite versuchten die Verlierer des Bürgerkrieges, dazu zählen sich auch die Separatisten, ihn auch heute noch für alles Mögliche zu beschuldigen, während es im konservativen Lager tatsächlich noch viele gäbe, die ihn verehrten. Der spanische Star-Regisseur Alejandro Amenábar warnt mit seinem gerade in die Kinos gekommenen Film „Mientras dure la guerra (solange der Krieg andauert), in Spanien nicht immer wieder die gleichen gewalttätigen Konflikte anzuzetteln. Millionen von spanischen Verlierern und Gewinnern des Bürgerkriegs treibt das auf Fakten basierende Drama um den Intellektuellen Miguel de Unamuno derzeit in die Kinos. Nicht wenige werden zu Tränen gerührt über den sehr menschlich dargestellten Konflikt, den viele Spanier immer noch nicht nur in ihren eigenen Familien, sondern auch in ihren Herzen und Köpfen austragen: dass ihnen eigentlich keine Seite so wirklich gefällt, weder die republikanische, noch die monarchistisch-nationale.

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