Tichys Einblick
Spanien bewundert Deutschlands "Geduld"

Spanien: Wie das Land Immigranten abschreckt

Spaniens Immigrationspolitik ist rabiat: Von der Küste weg schaffen es nur wenige nach Madrid oder Barcelona. Dort herrscht Kontrolle und „man spricht Spanisch“. Sozialhilfe gibt es nicht - wer kann, zieht weiter nach Deutschland.

In Syrien jagt eine Schreckensnachricht die andere. Die Immigranten suchen verzweifelt einen Ausweg. An ihrem Zipfel hängen sich viele andere. Einige schmuggeln Drogen nach Europa, andere sind Wirtschafts-Immigranten aus Afrika. Viele von ihnen landen nach Irrfahrten durch verschiedene Ländern per Schlauchboot an den spanischen Küsten. Aber das kriegt kaum einer mit. Obwohl gemäβ Meinungsforschungsinstitut Statista im Vergleich zu Deutschland (44%) auch 38% der Spanier den Eindruck haben, dass sie nicht mehr in „ihrem“ Land leben. Die Nachricht von vor zwei Wochen ging fast unter im ewigen Geplänkel der spanischen Regierung mit der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung: An einem Wochenende wurden 3.500 Immigranten an den Mittelmeerküsten aufgefangen. 14 überlebten die Überfahrt nicht.

Neben Italien ist Spanien eines der Länder, die in diesem Jahr  unter enormen Einwanderungsdruck stehen. Das nordafrikanische Niger hat sich in den vergangenen Monaten zum Dreh- und Angelpunkt dieser Immigration entwickelt. Zwischen den wirklichen politischen Flüchtlingen kommen Drogen und Immigranten nach Europa, die niemals Asyl bekommen werden, weil sie Wirtschafts-Immigranten sind. „Wenn sie nicht sofort zurückgeschickt werden, rutschen sie nach einer Zeit bei uns in die Illegalität ab, was natürlicherweise zu einem Steigen der Kriminalität beiträgt“, sagt Blanca Azpeitia, Sozialbeauftrage der Madrider Stadtregierung.

Hinter Spaniens „Flüchtlings“-Idylle verbirgt sich berechnende Politik

Die spanische Regierung fährt diesbezüglich einen klaren Kurs: wenig Informationen, wenig Aufklärung, damit die Medien nicht die Bevölkerung beunruhigen und die Schlepperbanden keine Strategie entwickeln können, um neue Routen zu entwickeln. Viele Praktiken an den Küsten und an den Grenzzäunen der spanischen Exklaven in Marokko werden verschleiert und sind gemäβ internationalem Recht fragwürdig. Aber von der EU schaut keiner so genau hin, weil ein allgemeines Interesse besteht, dass die Immigranten nicht auf europäischem Boden ankommen. Es entstehen so keine „häßlichen Bilder“, wie sie die deutsche Bundeskanzlerin so fürchtet. Durch den Ausschluss der Öffentlichkeit gerät Spanien auch nicht in den Fokus wie etwa Ungarn und seine Sperranlagen. Dass das so bleiben soll, haben gemäß spanischen Regierungskreisen vor allem deutsche Regierungsvertreter klar gemacht, die fürchten, dass Immigranten, die in Spanien ankommen,  letztendlich in deutschen Asylheimen landen.

Damit das so bleibt, werden Journalisten von der Küste und den dortigen Auffanglagern fern gehalten. Auch Azpeitia gibt zu, dass nicht klar ist, wie die Immigranten von der Küste verteilt oder ob sie direkt wieder zurückgeschickt werden: „Der Informationsfluss mit dem spanischen Innenministerium ist nicht ideal“. Klar ist: Syrer verirren sich kaum nach Spanien, und wenn dann nur auf der Durchreise nach Deutschland, wo sie bevorzugt behandelt werden. In Spanien bekommen sie ohnehin kein Hartz IV oder ähnliches und die Bearbeitung ihrer Asylanfrage kann sich jahrelang hinziehen. Es sind derzeit vor allem Immigranten aus Guinea (17 %), Marroko (17 %), Mali (15 %), Elfenbeinküste (13 %) und Gambia (7 %), die nach Spanien kommen, weil sie wissen, dass sie dort schwarz auf dem Feld oder auf dem Bau arbeiten können.

Spanien ist in einer privilegierten Situation

Der Besuch in einem Immigranten-Heim in Spanien hat mit Deutschland gar nichts gemein: Man kann fast vom Boden essen, es gibt eine Sicherheitskontrolle, eine freundliche Rezeption, einen umfassenden Gesundheitsservice und manche der Heime sind so weit von der Innenstadt und öffentlichen Transportmitteln entfernt, dass die Immigranten isoliert sind und damit auch unter ständiger Kontrolle gehalten werden können. Man spricht spanisch; die offensiven Angebote für Sozialleistungen in vielen Sprachen, wie in Deutschland üblich, fehlen völlig.

Kinder werden nicht mit alleinstehenden Erwachsensen gemischt. Frauen und Männer werden strikt getrennt. Für Familien gibt es gesonderte Einrichtungen. Die meisten in diesen Heimen kommen nicht von der Küste, sondern sind per Flugzeug in Spanien gelandet. Sie kommen aus Venezuela, El Salvador oder Honduras. Syrer gibt es kaum. „Sie haben es in Deutschland, Belgien oder Holland viel besser“, sagt der Spanisch sprechende 39jährige Wessam Abou Saeb, der mit einem albanischen Pass über Amsterdam nach Spanien gekommen ist. Seine Frau ist Venezulanerin, er spricht perfekt Spanisch: „Wir sind nur hier wegen der Sprache. In jedem anderen Land sind die bürokratischen Prozesse schneller und die Leistungen höher“. Wer nicht spanisch spricht und damit einen Ortsvorteil hat, sucht den Weg nach Deutschland.

Spaniens Politik der Abschreckung wirkt

Illegale Immigranten in Spanien haben Recht auf medizinische Mindestversorgung
Wer einmal wie Abou Saeb in einem spanischen Immigranten-Heim untergebracht ist, braucht eine Deportation nicht mehr zu fürchten, denn auf diesen bürokratisch schwierigen Prozess läβt Spaniens Regierung sich nicht ein. So leben rund 500.000 Immigranten ohne Aufenthaltsgenehmigung in Spanien, nicht selten seit 15 Jahren und mehr. Sie nutzen nur partiell das Sozialsystem, da Notaufnahmen in Krankenhäusern anders als in anderen Ländern auch illegale Immigranten behandeln. Weitere Hilfen gibt es nicht. Migranten helfen sich untereinander und die Stadtregierung hat auch Infozentren, wo sie sich über verschiedene Dienstleistungen informieren können: „Sie bleiben, weil bestimmte Wirtschaftszweige diese billigen Hilfskräfte braucht, zum Beispiel die Bauwirtschaft.“

Migration folgt damit schlecht bezahlter Arbeit und nicht über die Einwanderung in das Sozialsystem wie in Deutschland – Sprach- und Integrationskurse inklusive.
María Isabel Cebrecos del Castillo leitet das Obdachlosenheim San Isidro in Madrid, das gerade seinen 75. Geburtstag feiert. 50 Prozent der Heimmitglieder sind Ausländer. Viele kommen aus Rumänien und Bulgarien, der Rest sind Schwarzafrikaner. Im Heim gibt es rund 250 Plätze. 90 Angestellte sorgen dafür, dass Diebstahl und Gewalt auf ein Minimum reduziert werden. „Aber ich weiß, dass unsere Arbeit nur so gut sein kann, weil wir im Vergleich zu Deutschland sehr wenige Flüchtlinge aufgenommen haben,“ sagt Cebrecos. In Spanien leben rund fünf Millionen Immigranten, gemessen an der Bevölkerungszahl sind das ist noch nicht einmal halb so viel mit Migrationshintergrund wie in Deutschland.

Spaniens Politik der Abschreckung wirkt.