Tichys Einblick
Widerstand gegen den Common Sense

RWI-Studie im Senegal: Ruanda-Modell schreckt mehr ab als Bezahlkarte

Laut einer Studie des Essener RWI ist das EU-Asylsystem noch zu wenig bekannt, um Migranten anzuziehen. Auch die Bezahlkarte habe keine abschreckende Wirkung – vor allem auf Senegalesen. Die machen allerdings nur einen winzigen Bruchteil der deutschen Asylbewerber aus. Auch sonst lässt das Studiendesign zu wünschen übrig.

RWI-Institut in Essen

IMAGO / Funke Foto Services

Und auch weiterhin sammeln sich die Bedenkenträger, die behaupten, dass die Bezahlkarte keinen mindernden Einfluss auf die Attraktivität Deutschlands als Zielland für die illegale Einwanderung haben werde. So meinte der Berliner Ökonom Marcel Fratzscher im Münchner Merkur, die Diskussion um die Bezahlkarte sei „grauenhaft“ und koste Deutschland „Fachkräfte“, etwa die IT-Programmiererin aus Indien oder den Ingenieur aus Brasilien, weil diese sich angeblich sagen: „Das tue ich mir nicht an. Ich gehe lieber dahin, wo ich als Mensch ordentlich behandelt werde.“ Nun wird die Bezahlkarte für diese beiden Personen keine Anwendung finden. Sie soll allerdings den deutschen Staat von Kostgängern entlasten, die per Asyl ins Land strömen, dasselbe aber oft nicht verdient haben.

Das Essener Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (früher Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung, kurz RWI) hat nun im Senegal nachgefragt, aus dem neuerdings besonders viele Migranten auf die Kanaren übersetzen. Knapp tausend reisewilligen Senegalesen wurde die Frage gestellt, ob Sozialleistungen in der EU eine Rolle bei der Entscheidung zur illegalen Einreise spielen. Laut der Studie war das nicht der Fall: Lediglich elf Prozent der befragten Senegalesen gaben an, dass staatliche Leistungen für sie von Bedeutung seien. Nur ein Teil der Befragten sei überhaupt „über Details des europäischen Asylverfahrens informiert“ gewesen. Asylleistungen wurden von ihnen „nur selten als Grund für die Wahl eines Einwanderungslands angegeben“.

Es reicht der Ruf der Großzügigkeit

Nun ist es im Grunde ziemlich naiv, die künftigen Grenz- und Gesetzesübertreter nach ihren Motiven zu fragen, um dann festzustellen, sie würden sich weitgehend ohne Falschheit und List für ihren Weg entscheiden und hätten keine Kenntnisse über die Vorzüge ihrer Zielländer. Eines werden sie vielleicht gehört haben: dass Schutz nur der erhält, der nicht primär aus wirtschaftlichen Gründen kommt.

Und es braucht ja auch gar kein exaktes Wissen über die EU-Asylsysteme für eine solche Entscheidung. Der allgemeine Ruf der EU reicht. Und das ist ein Ruf der Großzügigkeit, der grundsätzlich und in Abstufungen für alle (westlichen) EU-Länder gilt. Überall dort gibt es ja Grundstandards, die den Migranten ein Überleben auf Staatskosten für gewisse Zeit erlauben. Und wenn diese Zeit aufgebraucht sein sollte, kann man ja weiterziehen, wie das Beispiel Afghanen und Syrer aus Griechenland zeigt. Dieser Schlendrian wird auch im Senegal bekannt sein – und wird mit jeder erfolgreichen Einreise bekannter.

Ein konkretes Beispiel könnte so aussehen: Die kostenlose Gesundheitsversorgung ist in Deutschland und Frankreich auch für die weniger Integrierten der beste Grund zum Verbleib in diesen Ländern. Da man im Senegal Französisch spricht, ist es plausibel, dass dies Faktum über den französischen Staat und das dortige Gesundheitswesen bekannt ist. Nach dem allgemeinen Ruf mit seinen konkreten Bestandteilen wurde in der Studie nicht gefragt. Stattdessen wurde Migranten eine hochkomplexe Gesamtfrage vorgelegt, der man dann sehr zu glauben geneigt war. Finanziert wird das RWI jeweils hälftig von Bund und Ländern.

Und auch hier war natürlich die (grün inspirierte) Leugnung der Existenz von Pull-Faktoren für das Studiendesign, die Veröffentlichung und für die Wahl des Zeitpunkts der Veröffentlichung verantwortlich. Die Schlussfolgerungen zur Bezahlkarte wirkt eigentlich wie ein spät angebrachtes Framing, weil sie nicht zur Studie passen.

Bessere Studien wären erwünscht

Die Studie des Leibniz-Instituts bezweifelt konkret, dass die Bezahlkarte einen Einfluss auf den Migrationsdruck haben wird. Das bleibt ihr unbenommen, lässt sich aber mit den im Senegal gesammelten Daten nicht belegen. Das Ziel der Abschreckung von Migranten – von der die Studienautoren natürlich in diesen Worten nicht sprechen – könne man besser durch eine Verlagerung der Asylverfahren in Drittstaaten wie Tunesien oder Ruanda erreichen. Und das ist vielleicht sogar eine diskutable These. Diese Verlagerung hätte in der Tat eine größere Außenwirkung, und auf die kommt es in diesem Zusammenhang ja an.

Die primäre Absicht hinter der Bezahlkarte war und ist eine andere: Zum einen geht es darum, Asylbetrüger auszusortieren, die nur wegen des Bargelds in Deutschland sind. Bei ihnen erspart man sich eventuell die Abschiebung, weil sie freiwillig abreisen. Es geht um nachträgliches Aufräumen, nicht um das Von-vornherein-Abschrecken. Vergleichbar ist das mit konsequenten Abschiebungen nach dem abgelehnten Asylantrag. Es ist ein Element, keine Gesamtantwort.

Daneben sollen die Geldflüsse zurück in die Herkunftsländer gestoppt werden, weil solche Zahlungen an die Daheimgebliebenen dem Zweck von Sozialleistungen widersprechen und weil man befürchtet, dass damit sogar Schlepper im Nachhinein für ihre Dienste bezahlt werden könnten, man also durch deutsche Sozialleistungen kriminelle Aktivitäten fördert.

Insgesamt also zwei stichhaltige Argumente für die Bezahlkarte, zumal nachdem die Einführung in einigen Thüringer Kreisen zu sofortigen Abreisen geführt hat. Was aber die RWI-Studienautoren angeht, ist ihnen zu raten, sich besser zu überlegen, wie man die Absichten und Motive bei der ungeregelten, illegalen Migration modelliert, um sie dann gegebenenfalls bei Migranten abzufragen. Entsprechende Studien, etwa im Nahen Osten oder in der afghanischen Diaspora (im Iran, Pakistan usw.) könnten durchaus zielführend sein, müssen dafür aber ordentlich durchgeführt werden.

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