Tichys Einblick
Geplante Eskalation der Sanktionen

„Sea-Eye 4“ zum dritten Mal festgesetzt, nun droht die Beschlagnahmung

Die italienische Regierung der rechten Mitte geht weiter gegen NGO-Schiffe im Mittelmeer vor. Aktuell sind drei von ihnen festgesetzt. Als nächstes könnte die Beschlagnahmung folgen. Das droht nun der deutschen NGO Sea-Eye, die es auf wiederholte Rügen aus Rom ankommen lässt. Will sie ein Duell Baerbock–Meloni provozieren?

IMAGO / Pacific Press Agency

Es ist das erste Mal, dass die italienische Regierung das erhöhte Strafmaß gemäß dem Piantedosi-Dekret gegen eine NGO anwendet. Für 60 Tage ist die „Sea-Eye 4“ nun im Hafen von Reggio Calabria festgesetzt, für die doppelte Dauer im Vergleich zu früheren Festsetzungen. Der Grund: Die „Sea-Eye 4“ hat zum wiederholten Male gegen das Dekret verstoßen, durch das die Aktivitäten von NGO-Schiffen im Mittelmeer eingeschränkt und an Regeln des italienischen Staates gebunden werden sollen. Hinzu kommt eine Geldstrafe von 3.333 Euro, wie die NGO auf ihrer Website berichtet. Das wäre noch eine vergleichsweise kleine Strafe, denn das Dekret sieht Geldstrafen von bis zu 50.000 Euro vor.

Als nächstes könnte der deutschen NGO Sea-Eye sogar die Beschlagnahmung ihres Schiffes drohen, denn das sehen die Regelungen des Piantedosi-Dekret als dritte, quasi finale Eskalationsstufe vor. Am Montag war die „Sea-Eye 4“ in der süditalienischen Hafenstadt Reggio Calabria angekommen, mit 144 Migranten an Bord. Sie durften trotz der illegalen Einreise an Land.

Die Besatzung hatte sie in drei Aktionen an Bord genommen. Nach der ersten Rettung hätte das NGO-Schiff eigentlich auf Weisung der zuständigen Seenotrettungsleitstelle (MRCC) in Rom den Hafen Ortona an der Adria anlaufen müssen. Das taten die Schiffsführer nicht, kümmerten sich vielmehr um zwei weitere Migrantenboote, obwohl in diesen Fällen bereits die libysche Küstenwache mit eigenen Patrouillenbooten in dem Meeresbereich anwesend war – bereit, die Bootsmigranten zu übernehmen und sie zurück ans libysche Festland zu bringen.

Der Kapitän der „Sea-Eye“ hatte sich schon letztes Jahr mehrfach den Regeln des Regierungsdekrets widersetzt, einmal im Juni und dann wieder im Oktober, und dafür jeweils Festsetzungen geerntet. Im Oktober war die „Sea-Eye“ allerdings noch mit 20 Tagen davongekommen. Nachdem dem Kapitän nun auch der Bußgeldbescheid für die Gesetzesübertretung vom Juni 2023 zugegangen war, schritt die Hafenbehörde zum erhöhten Strafmaß wegen Rückfälligkeit.

Inzwischen sind drei deutsche NGO-Schiffe von Italien festgesetzt. Erst am Sonnabend war die „Sea-Eye 5“ für 20 Tage festgesetzt worden – ebenfalls, weil die Crew sich den Anweisungen der libyschen Küstenwache widersetzt habe. Schon am 6. März wurde auch die „Humanity 1“ des Berliner Vereins „SOS Humanity“ zum wiederholten Male festgesetzt, weil sie durch gefährliche Manöver das Leben von Migranten gefährdet habe.

Sea-Eye fordert Bundesregierung auf, sich einzuschalten

Die NGOs führen nun eine Entscheidung des obersten italienischen Berufungsgerichts für ihre Sache an. Das hatte im Februar entschieden, dass die libysche Hauptstadt Tripolis kein „sicherer Hafen“ für Bootsmigranten sei – allerdings bezogen auf ein Geschehen im Jahr 2018. Der parteilose, aber Lega-Chef Salvini nahestehende Innenminister Matteo Piantedosi erklärte dazu: „Das Urteil muss zeitlich eingeordnet werden.“ Es beziehe sich auf „einen bestimmten Zeitpunkt, als in Libyen bestimmte Bedingungen herrschten“. Die Zusammenarbeit mit der EU habe darauf abgezielt, die damalige Situation zu überwinden.

Sea-Eye und andere Schiffs-NGOs hatten bald nach der Verkündung des Dekrets erklärt, sich nicht daran halten zu wollen. Der deutsche Seebrücke-Verein tönt beharrlich, dass das Piantedosi-Dekret abgeschafft gehöre. Nun fordert der Sea-Eye-Chef Gordon Isler die Bundesregierung via X (früher Twitter) auf, „sich endlich einzuschalten und für die humanitären Einsätze deutscher Rettungsschiffe auch politisch einzustehen“.

Isler und andere wollen offenbar einen Zweikampf Scholz–Meloni provozieren, was ihnen vermutlich so nicht gelingen wird, auch wenn die Bundesregierung einige NGO-Schiffe direkt mit Überweisungen vom deutschen Steuerzahler bedacht hat. Es sind vor allem die Grünen, die die Auszahlungen an ihre engere Klientel veranlasst haben, während SPD und Union in einer Ausschuss-Sitzung zugestimmt haben. Doch Kanzler Scholz hat „den Antrag nicht gestellt“, wie er in dürren Worten in Granada (letzten Oktober) versicherte.

Annalena Baerbock ließ derweil einem Medienbericht widersprechen, die Zahlungen würden bald eingestellt. Stattdessen laufen sie wie geplant weiter bis mindestens 2026. Es sind übrigens just die Vereine Sea-Eye und SOS Humanity, die von der Bundesregierung zwischen 300.000 und 800.000 Euro erhielten und die sich nun auf die präpotenten Hinterbeine stellen und ihr Recht gegen das des italienischen Staates einfordern. Kein Wunder, das grüne Außenamt hat sie dazu ermutigt. Es wird also, wenn überhaupt, auf einen Zweikampf Baerbocks mit Meloni hinauslaufen.

Auf der anderen Seite fragen sich die Italiener, warum ihre Regierung nicht mehr Gebrauch von ihren Rechten und Pflichten auf dem eigenen nationalen Territorium macht. Auf dem Umweg der Beschlagnahmung des Schiffs könnte Italien dieses Ziel erreichen. Dazu müsste die „Sea-Eye 4“ nur noch einmal rückfällig werden, was angesichts der kämpferischen Einstellung ihrer Betreiber unvermeidlich scheint.

NGO ist verdutzt: dpa spricht nicht mehr vom Migrantenretten

Zu der Festsetzung seines Schiffs schrieb Isler in einer Collage aus rhetorischen Abziehbildern: „Obwohl es illegal und zutiefst unmenschlich ist, Menschen in einen blutigen Konflikt zurückzubringen, aus dem sie geflohen sind, fordert Italien von deutschen Seenotrettungsorganisationen, sich genau daran zu beteiligen.“ Doch Libyen ist nur ein Transitland auf afrikanischen und nahöstlichen Wanderungsrouten. Die Migranten flüchten eben nicht vor Krieg oder Verfolgung in Libyen.

Angeblich sei zudem nur Deutschland als Flaggenstaat berechtigt, die „Sea-Eye 4“ für Fehlverhalten in internationalen Gewässern zu bestrafen. Doch italienische Experten widersprechen auch hier, das würde nur gelten, wenn die „Sea-Eye“ deutsche Häfen mit ihrer menschlichen Fracht anlaufen würde. Sobald ein Schiff aber in die nationalen Gewässer Italiens einfahre und die dortigen Häfen ansteuere, unterwerfe es sich dem dort geltenden nationalen Recht.

Daneben zeigte sich Isler verwundert, dass nun auch die Deutsche Presse-Agentur (dpa) sehr vorsichtig zu einem faktenbasierten Journalismus zurückkehren könnte. In einer Meldung zu den Vorkommnissen vor der Küste Libyens sprach eine dpa-Meldung von Migranten, die von der NGO „aus Booten aufgegriffen“ wurden. Für Isler ist schon das ein Alarmsignal. Die Migranten seien „gerettet“ worden, meint er. Aber wenn man bedenkt, dass sich die meist jungen Männer in völliger Klarheit in eines der Boote setzen, eben weil sie von dem NGO-Fährdienst nach Italien wissen und damit rechnen können, dass er sie bei ihrer illegalen Absicht unterstützt, klingt das Verb „aufgreifen“ schon wieder neutral.

Piantedosi: Rückgang um 65 Prozent aufgrund der Maßnahmen

Quer zum Pathos der NGO-Betreiber, sie würden im Mittelmeer notwendige „Retttungsarbeit“ leisten, steht die Tatsache, dass nur höchstens zehn Prozent der Migranten, die Italien per Boot erreichen, dazu die Schlepperschiffe der NGOs benutzen. 90 Prozent landeten (zumindest im Jahr 2022) mit eigenem Boot (also immer noch illegal) oder nach einer Rettung durch die italienische Küstenwache an. Die Aktivitäten der NGOs kann man natürlich dennoch als rechtlich fadenscheinig und als handfesten Pull-Faktor ansehen, weil sie den Bootsmigranten, die in Libyen losfahren, Hoffnungen machen, trotz Start mit einem windschiefen Boot Italien zu erreichen. Insofern ist das Vorgehen der Regierung in Rom gegen sie gerechtfertigt.

Der Innenminister hebt inzwischen hervor, dass die Ankünfte an Italiens Küsten seit letztem Oktober im Vergleich zum jeweiligen Vorjahresmonat zurückgegangen seien, in diesem Jahr sogar um mehr als die Hälfte, 65 Prozent. Das sei die Folge der getroffenen Maßnahmen, vor allem der Zusammenarbeit mit Tunesien und Libyen, denen man beim Grenz- und Küstenschutz sowie bei den Rückführungen in die Herkunftsländer geholfen habe.

Piantedosi will auch weiterhin gegen die „schändliche Schleusung von Migranten“ vorgehen. Nur indem man die Abfahrten der Schleuser verhindert, könne man die „Tragödien der Schiffsunglücke“ vermeiden. Ein Rückgang im Winter, selbst wenn er gegen den starken Anstieg des Vorjahres errungen wurde, ist allerdings die eine Sache. Die andere wird sein, die Ankünfte auch im kommenden Frühling und Sommer niedrig zu halten.

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