Tichys Einblick
Italienische Ukraine-Politik

Salvini: Im Auftrag Gottes nach Moskau?

Trubel um den Lega-Chef Matteo Salvini: der kündigte in einem Interview an, nach Moskau reisen zu wollen. Auftraggeber ist ausgerechnet der Vatikan, mit dem er als Innenminister im Clinch lag.

IMAGO / ZUMA Wire

Es klingt wie aus einem Roman, der in einem Paralleluniversum spielt: Matteo Salvini, der Generalsekretär der Lega, bricht nach Moskau auf, um mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin ein Treffen mit Papst Franziskus auszuhandeln. Wieder einmal macht die italienische Politik ihrem flexiblen Ruf alle Ehre. Denn nicht weniger als das kündigte der „Capitano“ in einem Interview mit der Turiner Tageszeitung La Stampa an. Er wäre damit der erste europäische Spitzenpolitiker, der einen solchen Schritt nach dem Ausbruch des Ukraine-Krieges unternehmen würde.

Der Fall wirft ein bezeichnendes Licht auf die außen- wie innenpolitische Situation Italiens. Denn historisch bedingt ist die italienische Beziehung zu Moskau anders geartet als etwa die Deutschlands. Seit den 1990er Jahren war die Richtungsfrage nicht die nach Russland oder den USA, sondern die, ob man direkt mit beiden Großmächten verhandelte oder sich eher für die Europäische Union entschied.

Italienische Russlandpolitik: (fast) alle Parteien hingen drin

Silvio Berlusconi lud Putin zum Urlaub nach Sardinien ein und war gleichzeitig ein enger Freund von George W. Bush, dessen Irak-Krieg er mit Besatzungstruppen unterstützte; ähnlich hielt es Matteo Salvini, der nach Moskau flog, aber zugleich ein „Fan“ der USA – und insbesondere Donald Trumps – ist. Die linken Parteien orientierten sich zwar mehr Richtung Brüssel, doch insbesondere die kommunistische Vergangenheit sorgt dafür, dass es bis heute kaum einen Politiker aus ihren Reihen gibt, der nicht mit Moskau zu tun hatte. Das hält den Partito Democratico (PD), die europäische Schwesterpartei der SPD, freilich nicht davon ab, die Moralkeule zu schwingen und sich nun als besonders anti-putinistisch zu gerieren.

Ausgerechnet die in Deutschland als „Postfaschisten“ verschrienen Fratelli d’Italia (FdI) von Giorgia Meloni haben in der für alle Parteien moralisch prekären Situation die reinste Weste. Die FdI hatten als Teil der ECR-Fraktion im EU-Parlament intensiven Kontakt zur polnischen PiS und galten wie diese als russlandskeptisch. Meloni selbst nennt Ronald Reagan und Papst Johannes Paul II. ihre persönlichen Vorbilder. Waren die „Brüder Italiens“ schon seit Wochen im Höhenflug, so ist die FdI derzeit die einzige rechte Partei, die ihre Umfrageergebnisse glaubwürdig stabilisieren kann.

Der Ukraine-Konflikt kommt für Italien in einer besonderen politischen Situation. Mit Mario Draghi führt ein Premierminister die Regierung, der ohne Abstriche hinter der Brüsseler Politik und Nato-Linie steht. Doch Draghi steht keinem politischen Bündnis vor, sondern einer Regierung der nationalen Einheit: und zu der gehören der einst selbst moskau-affine PD, der sich nun anti-putinistisch profilieren will, der basislinke M5S mit seinem antiquierten Pazifismus, sowie Lega und Berlusconis Forza Italia (FI). Letztere beiden haben ihren Kurs immer noch nicht gefunden. Unausgesprochen besteht in großen Teilen der Regierung immer noch die Hoffnung, eine Verhandlungslösung zu finden.

Draghi reagiert kalt auf Salvinis Plan

Sowohl in der Lega als auch in der FI gibt es sich widersprechende Stimmen. Die öffentliche Meinung dominiert die mehrheitlich pro-ukrainische Presse, wenn auch einige deutschsprachige Medien etwas anderes behaupten. Allein deswegen ist eine Ansage wie die von Salvini risikoreich gewesen. In den drei Tagen, die seitdem vergangen sind, hat sich gezeigt, dass selbst die eigene Partei, die als vermeintlich populistisch-putinistisch „geframed“ wurde, nicht hinter ihrem langjährigen Anführer steht. Was Salvini in dieser Causa unternehme sei „seine Sache“.

Besonders kalt war die Reaktion aus dem Palazzo Chigi, dem Sitz des Premierministers. Salvini habe sich nicht mit Draghi abgesprochen, man wisse „von gar nichts“. Auch der Außenminister Luigi Di Maio fühlt sich düpiert von dem Vorstoß. Es ist das zweite Hasardeur-Manöver Salvinis nach dem Ausscheiden aus dem Kabinett Conte im September 2019. Die gerechtfertigte Frage lautet also: was treibt den einstigen Star der Umfrageergebnisse, der seit 2019 in der Beliebtheit massiv eingebüßt hat?

Rom hat nicht nur ein politisches Zentrum, sondern zwei. Bereits seit Wochen mehren sich die Spekulationen darüber, was hinter den Kulissen des Vatikans wirklich geschieht. Dazu gehören die Gerüchte über Rücktrittsabsichten von Papst Franziskus, seinem Gesundheitszustand und einem bevorstehenden Konklave. Vor allem aber scheinen sich die Machtkonstellationen in der Kurie zu ändern. Und dass der Vatikan ausgerechnet auf Salvini zurückgreift, ist eine mehr als außergewöhnliche Entscheidung: denn der Vatikan war jahrelang ein erklärter Gegner des Lega-Chefs.

Eine „Zeitenwende“ auch im Vatikan?

Wie viel Einfluss die Kurie auf die politischen Konstellationen hat, zeigt das nicht ungerechtfertigt böse Wort davon, dass die Vorgängerregierung unter Giuseppe Conte auch eine Regierung von Gnaden des Kardinalsstaatssekretärs Pietro Parolin war. Parolin war lange Zeit die rechte Hand von Papst Franziskus und Drahtzieher der wichtigsten Entscheidungen. Nicht nur in der Flüchtlingsfrage gab es deutlichen Dissens mit Salvini. Eine Verhinderung des Mailänders galt als unerklärtes Ziel. Dass Salvini als Innenminister für die Beziehungen mit dem Vatikan zuständig war, galt vielen als problematisch.

Doch offenbar gibt es auch im Vatikan eine „Zeitenwende“. Wie schon in Syrien fährt Rom keine pro-westliche Linie, sondern setzt auf Verhandlungen – auch mit den Geächteten. Für Aufregung hatte die Aussage des Papstes gesorgt, dass auch „das Bellen der Nato“ an der Pforte Russlands seinen Anteil am Konflikt hatte. Für den Vatikan ist eine Verlängerung des Krieges aus verschiedenen Gründen problematisch. Die ökumenischen Bestrebungen mit der russisch-orthodoxen Kirche stehen auf dem Spiel. Und in der Ukraine gibt es auch genügend Katholiken, die von den Kampfhandlungen selbst bedroht sind. Vor allem ist es jedoch eine Bankrotterklärung für die vatikanische Diplomatie, die im Kalten Krieg daran beteiligt blieb, dass dieser auch kalt blieb – bei gleichzeitiger Intervention mit zivilen Mitteln und Unterstützung des inneren Widerstands.

Parolin, der lange der entscheidender Chefdiplomat war, und als eigentlicher Urheber des umstrittenen Abkommens zwischen China und dem Heiligen Stuhl gilt, hatte in den vergangenen zwei Jahren permanent an Einfluss verloren. Der Ukraine-Krieg führt ihm wieder Oberwasser zu. Die Initiative, den alten Gegner Salvini ins Boot zu holen, geht offenbar auf ihn zurück.

Papst Franziskus und sein unerfüllter Traum vom Gang über den Roten Platz

Ebenso gibt es andere Richtungsänderungen im Vatikan: die christliche Demokratie Ungarn, die Franziskus wegen ihrer Migrationspolitik ein Dorn im Auge war, erfreut sich seit einigen Wochen wieder größerer Wertschätzung in der Kurie. Und dass Franziskus bei der Ernennung der neuen Kardinäle kein „Zeichen“ setzte, indem er einem ukrainischen Prälaten einen roten Hut in Aussicht stellte, wurde bei den Vatikan-Korrespondenten interessiert zur Kenntnis genommen. Man will Moskau wohl noch nicht zu sehr verprellen. Zugleich empfing Franziskus den türkischen Botschafter.

Es ist ein nicht nur einmal von Franziskus geäußerter Wunsch, als erster Papst über den Roten Platz zu wandern. Womöglich will das als „UN-Papst“ firmierende Kirchenoberhaupt damit noch deutlicher seine Rolle als internationaler Unterhändler stärken. Salvini erklärte dessen Absichten folgendermaßen:

„Ich hoffe, dass Putin den Appell des Heiligen Vaters akzeptiert und einen Waffenstillstand von mindestens 48 Stunden akzeptiert, um einen neutralen Verhandlungsort für Friedensverhandlungen zu finden. Israel, der Heilige Stuhl, die Türkei: überall, um die Waffen zum Schweigen zu bringen. Ich habe großen Respekt und Aufmerksamkeit für den Heiligen Stuhl, der von Anfang an ein Förderer und Konstrukteur des Friedens war: Ich würde mich freuen, wenn Präsident Putin zustimmen würde, Papst Franziskus zu sehen, und ich werde alles daran setzen, dass dies geschieht.“

Salvini sitzen die Unternehmer im Nacken

Freilich dürfte Salvini auch eigene Interessen haben. Das sind weniger putinistische Sentimentalitäten als die italienischen Wirtschaftsvertreter, die bereits unter den Krim-Sanktionen stöhnten. Denn auch wenn Draghi einen deutlichen Kurs fährt: nicht nur die Parteien, auch die Italiener sind bei der Ukraine-Frage gespalten. Während die italienische Regierung Waffen in die Ukraine exportiert, steht die Bevölkerung dahinter weitaus weniger geschlossen als in vielen EU-Ländern. Nach den Corona-Jahren sehnt man sich nach Ruhe.

Noch untersagt Draghi Salvini deswegen eine Reise nach Moskau; der „Capitano“ hat sie daher aufs Erste „eingefroren“. Ob der Jesuitenschüler Draghi sich jedoch auch gegen die Kurie wehren kann, die schon bei so manchem Regierungswechsel ihre Finger im Spiel hatte, steht auf einem ganz anderen Blatt. Dass der Premier erst am Donnerstag mit Putin telefoniert hat, zeigt, dass auch in Rom die Fronten nicht so verhärtet sind, wie manche es darstellen wollen. Einen Vorläufer des Salvini-Falls kennt auch Deutschland: als die Oppositionsführerin Angela Merkel die CDU auf Kriegskurs gegen den Irak drängte, schickte Kurienkardinal Joseph Ratzinger die Unionspolitiker Peter Gauweiler und Willy Wimmer auf eine Mission nach Bagdad.

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