Tichys Einblick
PARLAMENTSWAHLEN IN POLEN

Noch ist in Polen nichts entschieden

Trotz des dritten Wahlsieges in Folge verfehlt die konservative Regierungspartei PiS nach ersten Hochrechnungen die absolute Mehrheit. Die linksliberale Opposition könnte in einem Dreierbündnis einen Machtwechsel herbeiführen. Es ist jedoch zweifelhaft, dass eine solch „bunte“ Koalition sich lange halten könnte.

IMAGO / ZUMA Wire

Die endgültigen Wahlergebnisse in Polen werden erst am Dienstag erwartet. Noch ist nichts sicher: Nachdem gestern Abend die Parteien des linksliberalen Lagers schon von einem „ungeahnten Triumph“ träumten und die PiS gar um ihren Sieg bangen musste, lagen die Konservativen heute Morgen bei 40 Prozent und hätten damit ihren eigenen Rekord gebrochen. Einige Stunden später blieb Jarosław Kaczyńskis Partei zwar immer noch leicht vorne, aber der Abstand auf Donald Tusks Bürgerkoalition (KO) ist erneut bedenklich geschrumpft. Kurzum: Abwarten ist unverändert die beste Medizin.

(Auch FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai will nach der Parlamentswahl in Polen vor einer abschließenden Bewertung das Endergebnis abwarten, wenn sich aber die Prognosen bestätigten, „dann wäre es, glaube ich, ein guter Tag für Europa“ – dts.)

Die Regierungspartei bekommt nach bisheriger Auszählung ungefähr 36,6 Prozent der Stimmen. Tusks Bürgerkoalition (PO, Nowoczesna, Inicjatywa Polska, Grüne, Agrounia) käme auf 31 Prozent. Demnach verlöre die PiS (vorerst) die absolute Mehrheit. Dass sich aber eine von Donald Tusk angeführte Regierung länger als einige Wochen über Wasser halten könnte, ist mehr als fraglich. Die programmatisch ohnehin höchst heterogene KO müsste eine Koalition mit dem sog. „Dritten Weg“, einem Bündnis aus den Parteien PSL und Polska 2050 (13,5 Prozent), und der postkommunistischen Linken (8,6 Prozent) eingehen. Eine von anhaltenden Fraktionsfehden geschwächte Regierung würde den Polen keine großen Wohlstandsgewinne bringen. Schnittmengen gibt es allenfalls im Bereich der EU-Politik. Alle genannten Oppositionsparteien sind mit den aktuellen Machtverhältnissen in Brüssel zufrieden und akzeptieren die dort vorgezeichneten Eckpunkte einer Asyl-und Migrationspolitik, die von der PiS abgelehnt wird.

Dies gilt selbstredend nicht für die konservative Konfederacja, den unerwartet größten Verlierer des Wahlabends. Sie käme aktuell lediglich auf 6 Prozent und müsste gar den Nichteinzug in den Sejm und Senat fürchten. Die Partei von Krzysztof Bosak und Sławomir Mentzen galt lange als potenzieller Koalitionspartner der PiS. Rein rechnerisch könnte noch vieles möglich sein. Dass jedoch Kaczyński und Bosak ihre Unterschriften unter einen gemeinsamen Koalitionsvertrag setzen, ist mehr als zweifelhaft. Zwei Tage vor der Parlamentswahl wurde ein Skandal in die Öffentlichkeit getragen, über den gesondert zu berichten sein wird. Ob der Leiter der (eigentlich politisch unabhängigen) Obersten Kontrollkammer (NIK) Marian Banaś tatsächlich zwischen Tusk und Bosak vermittelte, wird noch zu klären sein. Fest steht: Dieser Skandal hat die PiS und Konföderation noch weiter voneinander entfernt und Bosak beim Zieleinlauf wichtige Punkte gekostet.

Die gute Nachricht: Die polnischen Wähler gingen in Rekordzahl an die Urnen. Die Wahlbeteiligung liegt Prognosen zufolge bei 72,9 Prozent und ist somit deutlich höher als bei den Wahlen 2019 (61,74 Prozent).

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