Tichys Einblick
Eigentlicher Sieger: die Chega!

Parlamentswahl in Portugal – Iberisches Tauziehen

Die konservative Aliança Democrática gewann die vorgezogenen Parlamentswahlen. Portugiesische Publizisten warnen vor Euphorie. Welchen Kurs eine von Sozialisten geduldete Minderheitsregierung der AD einschlüge, ist ähnlich unklar wie das politische Tauziehen in Spanien.

Der eigentliche Sieger am Sonntag: Chega-Chef André Ventura

IMAGO / GlobalImagens
Portugals Partido Socialista (PS) hat in einem beispiellosen Sinkflug einen neuen Tiefpunkt erreicht. Ob die Partei des scheidenden Ministerpräsidenten António Costa aber tatsächlich die Macht verliert, bleibt ungewiss. Lange schien es so, als ob der Sieg des konservativen Bündnisses Demokratische Allianz (AD) deutlicher ausfiele. In den Nachtstunden schrumpfte der Vorsprung der Mitte-Rechts-Koalition von Luís Filipe Montenegro jedoch immer weiter zusammen.

Nach Auszählung fast aller Stimmen lag die AD mit rund 29,5 Prozent nur knapp vor der PS, die demnach auf 28,7 Prozent kam. Als eigentliche Gewinnerin der Wahl gilt die erst 2019 gegründete Chega! („Genug!“). Die Partei von André Ventura erzielte 18,05 Prozent und hat sich damit in nur wenigen Jahren zur drittstärksten Fraktion im Palácio de São Bento aufgeschwungen. Sie profitierte vornehmlich von dem Popularitätsverlust der Sozialisten, die seit vielen Jahren gegen die Interessen der erfahrungsbelehrten Bevölkerungsmehrheit regiert hatten. Die Sinkfluggeschwindigkeit beschleunigten im vergangenen November Korruptionsermittlungen im Umfeld des Regierungschefs Costa, der anschließend seinen Rücktritt ankündigte.

Die tektonischen Verschiebungen und politischen Beben in Lissabon (die Wahlbeteiligung lag bei 66 Prozent) führen indessen zu einer ähnlichen Pattsituation, wie wir sie in den letzten Monaten im Nachbarland Spanien erlebt haben. Als der konservative PP-Chef Alberto Núñez Feijóo im Juli letzten Jahres in Madrid die Siegesfahne schwenkte, war die Euphorie groß. Doch dann wurde Spanien monatelang unregierbar und der linke Premier Pedro Sánchez sicherte sich seinen Machterhalt nur mittels eines umstrittenen Amnestiegesetzes für katalanische Separatisten. Was war aber das Kernproblem der Sozialisten in Portugal?

Das Hauptanliegen der portugiesischen Wähler wird seit Jahren als „rechtspopulistisch“ abgetan. Die Forderung nach einem Ende der selbstermächtigten Zuwanderung nach Portugal wurde für moralisch minderwertig erklärt, das Verlangen nach niedrigeren Mieten und Lebenshaltungskosten als nachrangig ausgegeben. Zahlreiche Portugiesen müssen mit dem Mindestlohn von 820 Euro im Monat auskommen, doch das reicht in Lissabon oder Porto nicht einmal mehr für die Miete einer bescheidenen Wohnung. Am Elend der Regierung Costa änderte es auch nichts, dass sie 2021 einen „ökologischen Wandel“ ankündigt hatte, der von der EU mitgeprägt und vom portugiesischen Premier selbst als alternativlos gepriesen wurde. Diese Haltung machte ihn einst populär, doch dies geschah, bevor die Nebenwirkungen der in Brüssel und Berlin gottesdienstartig gefeierten Migrations- und Klimapolitik sichtbar wurden.

André Ventura ist unterdessen mit dem Versprechen angetreten, grundlegende Veränderungen durchzuführen. Gemeint war ein Vorgehen gegen die im politischen Lissabon omnipräsente Korruption sowie eine dezidierte Bekämpfung der illegalen Migration. Der 41-jährige Chega-Vorsitzende besteht darauf, dass ebenfalls legale Einwanderer zunächst einmal fünf Jahre arbeiten, bevor sie Ansprüche auf Sozialleistungen erheben dürfen. Doch auch die Zuwanderung reicher Arbeitnehmer aus dem Norden Europas solle begrenzt werden, weil sie in den portugiesischen Großstädten zu überhöhten Mietpreisen führe, so Ventura.

António Costa wiederum sah sich angesichts eines Korruptionsskandals in den Reihen der Sozialisten zum Rücktritt gezwungen, hat aber die eigentlichen Fehler seiner Regierung und die bisherigen Probleme seiner Landsleute nicht richtig benannt. Die Konservativen (AD und Chega) haben im Wahlkampf diesbezüglich tatkräftige Abhilfe in Aussicht gestellt. Ob es aber zu einer regierungsfähigen Koalition kommt, steht noch in den Sternen. Ventura hatte sich in den letzten Monaten zwar mehrfach bereit erklärt, sich an einer raschen Kabinettsbildung zu beteiligen, aber Montenegro hatte immer wieder abgewunken. Chega vertrete „fremdenfeindliche“ und „populistische“ Standpunkte, glaubt der AD-Anführer.

Portugal steht demnach vor einer mühsamen Regierungsbildung. Nach dem Urnengang bringt es Montenegros AD, zu der neben seiner eigenen Partei, der Partido Social Democrata (PSD), ebenso die christdemokratische CDS-PP sowie die Monarchisten von der PPM gehören, auf nicht einmal 80 der 230 Abgeordnetenmandate im Palácio de São Bento. Eine Minderheitsregierung der Aliança Democrática wäre demnach nur möglich, wenn die Sozialisten sie nach dem Gang in die Opposition duldeten und mittrügen. Dies hat der PS-Spitzenkandidat Pedro Nuno Santos dem Wahlgewinner auch schon zugesichert.

Zu einer wahrlich konservativen Revolution wird es am Tejo folglich nicht kommen, denn eine Regierung unter der Ägide Montenegros würde in vielerlei Hinsicht die Politik der linken Vorgängerregierung fortsetzen (die von den tonangebenden Publizisten in Lissabon ohnehin eingefordert wird). Die Mehrheit der Portugiesen würde aber einen Umbruch hinsichtlich der Migrations- und Klimapolitik als überaus befreiend empfinden. Dies geht aus unterschiedlichen Meinungsumfragen hervor, die vor der Wahl durchgeführt wurden. Wer jedenfalls derzeit in Portugal als Sozialist einen Aufbruchsgeist ebenso glaubwürdig verkörpern könnte wie der Chega-Chef, der würde wohl auch dessen Anstieg an öffentlicher Beliebtheit erleben.

Vor fast genau 50 Jahren bereitete in Portugal die sogenannte Nelkenrevolution der Regierung António de Oliveira Salazars ein Ende. Ein Jahr später starb in Spanien der „caudillo“ Francisco Franco. Seitdem weigern sich die Sozialisten auf der Iberischen Halbinsel zu verstehen, dass zahlreiche Wähler sich auf Regierungsebene gelegentlich einen wirkungsvollen Mentalitätswechsel erhoffen. Dieser könnte bereits dann erfolgen, wenn die großen Parteien in Lissabon und Madrid endlich begreifen, dass eine politische Position nicht allein dadurch falsch wird, dass auch die Chega oder VOX sie vertreten.

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