Tichys Einblick
"Konvoi für die Freiheit"

Paris sperrt den Protest aus: Tränengas und Radpanzer auf den Champs-Élysées

Am Samstag protestierten französische LKW-Fahrer in einem „Freiheitskonvoi“ nach kanadischem Vorbild. Die Politik versuchte, den Protest zu verhindern. Doch die Sternfahrt der Trucker nach Paris verband verschiedene Proteste zu einem. Tränengas und harte Polizeieinsätze waren die Folge.

Nach dem Vorbild der kanadischen Trucker haben sich in den vergangenen Tagen auch in Frankreich und anderen europäischen Ländern LKW-Fahrer zusammengefunden, um Konvois in die jeweiligen Hauptstädte zu organisieren. In Frankreich wurde ein sternförmiges Straßennetz gepostet, das Hotels, Versorgungsmöglichkeiten und Treffpunkte enthielt. Während die Regierungen in allen betroffenen Ländern versuchen, die Konvois umgehend zu verbieten, berichten die Fahrer von großer Zustimmung aus der Bevölkerung.

In Frankreich kam es dabei vielerorts zu Volksfeststimmung. In Orléans und andernorts wurden die Fahrer mit Essen und Getränken, Musik und Feuerwerk empfangen. Man spielte „Danser encore“, ein Lied aus den ersten Corona-Protesten. So vereinigen sich verschiedene Protestbewegungen zu einer gemeinsamen – alles im Zeichen von Macrons „Impfpass“, der ähnlich wie die 2G-Regelungen dem Ausschluss der nicht „Geimpften“ dient.

Noch-Präsident Emmanuel Macron ist gerade von einem (nicht nur inhaltlich) ziemlich distanzierten Gespräch mit Putin zurückgekehrt; angeblich hatte er sich geweigert, einen russischen PCR-Test zu machen, durch den seine DNA quasi zum Kreml-Kompromat geworden wäre. Macron sagte, er „respektiert“ die Wut der Demonstranten, rief die Bürger aber zugleich zu Ruhe, Eintracht und „kollektivem Wohlwollen“ auf. Der wahlkämpfende Noch-nicht-Kandidat hat in dem Moment, in dem es auf den Straßen des Landes hoch her gehen könnte, offenbar wieder eine andere Platte aufgelegt.

Die Erlebnisse der vergangenen beiden Jahre hätten bei vielen Bürgern zu „Verunsicherung“ oder „Niedergeschlagenheit“ geführt. Es gehe um ein sehr starkes „seelisches Leiden“, psychologisierte der Präsident sich durch ein Interview mit der Tageszeitung Ouest-France. Doch man habe dabei stets das Demonstrationsrecht, den demokratischen Pluralismus und die parlamentarischen Debatten bewahrt. Vielleicht ist Frankreich an dieser Stelle wirklich etwas erfolgreicher gewesen als etwa die Bundesrepublik. Doch an diesem Samstag sah Paris nicht viel anders aus als Berlin oder eine andere deutsche Stadt bei Corona-Protesten, vielleicht sogar schlimmer: Polizeikontrollen, Gängelung der protestierenden Bürger, Festnahmen, sogar Tränengas kam zum Einsatz.

Éric Ciotti von den Républicains (LR) befürwortete die Verhinderung von Blockaden. Dagegen signalisierte Jean-Frédéric Poisson, ein ehemaliger LR-Abgeordneter, der nun den rechtskonservativen Präsidentschaftskandidaten Éric Zemmour unterstützt, Zustimmung: „Nach dem Vorbild Kanadas mobilisieren sich auch französische und europäische Trucker. Unterstützung für den Freiheitskonvoi! Alle nach Paris.“ Ebenso zustimmend hatte sich die Kandidatin des Rassemblement Nationale (früher Front National) Marine Le Pen geäußert.

„Es gibt Menschen, die profitieren, und solche, die sich abrackern“

Die Bürgermeisterin von Paris und zugleich Präsidentschaftskandidatin der Sozialisten, Anne Hidalgo, gab sich „sehr beunruhigt“, da man schon einmal, während der Gelbwesten-Proteste, „schlimme Bilder“ in Paris gesehen habe. All das deute auf einen „fürchterlichen Mangel an Dialog“ hin. Der Journalist Philippe Val hatte zuvor gesagt, dass sich auch das HI-Virus einst durch LKW-Fahrer verbreitet hatte, was er nach breiter Kritik dann nie gesagt haben wollte. Facebook sperrte die Konten der Administratoren einer Gruppe „Le convoi de la liberté“.

Derweil schlossen sich auch tausende Autofahrer den protestierenden Truckern an. Viele Bürger haben einfach keine Lust mehr auf das parallele Rechtssystem, das sich durch eine ausschweifende „Gesundheitsvorsorge“ etabliert hat. Ein Teilnehmer in Orléans sagt: „Ich bin dafür, dass jeder leben kann, mit seinen eigenen Mitteln, aber ohne QR-Code, um irgendwo einen Kaffee im Sitzen oder auch aufrecht zu trinken, je nach Gutdünken der Regierenden.“

Der Spediteur Sylvain Bres sagte gegenüber der Zeitschrift Parisien: „Man muss diesen Impfpass aufhalten. Er hat keine Wirkung mehr, hatte eigentlich nie eine. Neben der Gesundheitskrise und den Restriktionen, die wir immer noch ertragen müssen, gibt es inzwischen auch eine soziale Krise, die sich seit einigen Monaten etabliert hat und viel Unheil anrichtet. Es gibt Menschen, die vom System profitieren, und Menschen, die sich abrackern.“

Ein Fahrer, der auf eigene Faust kam, obwohl sein LKW nicht ihm, sondern seinem Chef gehört, erzählt von seiner Frustration: Er wollte nicht „gepikst“ werden und konnte deshalb nicht mehr nach Paris fahren, erklärt er unter dem Jubel der Anwesenden. Davon seien aber Millionen betroffen. Andere LKW-Fahrer sprechen von weiteren Problemen: von den Treibstoffpreisen, dem Zustand der oder den Zuständen auf den Autobahnen etwa. Das Ziel des Konvois sei nicht das Blockieren, sondern die Bewusstmachung dieser Probleme bei den Bürgern. Die wirtschaftliche Situation könne noch ernster werden.

Immer wieder taucht die kanadische Flagge auf, die mit einem Dankeschön an die Kanadier verbunden wird. Die Trucker dort waren die Urheber der Idee, die nun in Frankreich, Belgien und Österreich umgesetzt wird. Daneben sind auch die eigenen Landesfarben überall dabei. Große Emotion löst die Ankunft von kanadischen Fahrern aus, die zur Unterstützung in Frankreich dabei sind. Am Freitag erreichten erste Konvois die französische Hauptstadt, wurden von Gelbwesten und anderen Bürgern empfangen. Ein bisschen sehen die Bilder aus wie jene aus dem Herbst 1989, als sich Trabis durch Menschenmengen drängten.

Gepanzerte Fahrzeuge und Tränengas auf den Champs-Élysées

Die Stadt Paris hat mit einer starken Mobilisierung von Sicherheitskräften auf die Konvois reagiert. Angeblich waren am Samstag nahezu 7.200 Beamte auf den Beinen, um die „Blockade“ der Hauptstadt anzuwenden. Zum ersten Mal seit den Gelbwesten-Protesten von 2018 wurden auch gepanzerte Fahrzeuge aufgefahren. Die drei Fahrzeuge werden gravitätisch durch die Stadt bewegt – wohl um die nötigen Bilder für das Fernsehen zu bekommen. Man muss allerdings sagen, dass auch de Gaulle und Mitterrand sich ihrer 1961 und 1992 bedienten.

Schon im Vorfeld hatte die Polizei alle Konvois ins Herz der Stadt auf Anweisung von Innenminister Gérald Darmanin untersagt. Kontrollen am Autobahnring sollten Fahrten ins Stadtzentrum unterbinden. 50 Fahrzeuge seien angehalten worden. Zudem wurden allein am Vormittag 151 Strafzettel wegen Beteiligung an einer nicht genehmigten Demonstration verteilt. Das Tragen einer französischen Fahne konnte so 135 Euro Strafe kosten. Um die 100 vorläufige Festnahmen sind auch nicht eben wenig für einen friedlichen Protest der Bürger.

Gegen 13 Uhr fand ein kurzer Flashmob am Arc de Triomphe statt. Einige Dutzend Demonstranten gelang es, unter „Liberté“-Rufen den berühmten Kreisverkehr zu stürmen und für kurze Zeit zu blockieren. Aber das waren noch sehr zivile Bilder. Etwa eine Stunde später erreichten Vans und PKWs aus dem Konvoi die Champs-Élysées und den Stern. Kurz darauf setzte die Polizei Tränengas auf den Champs-Élysées ein. Das erinnerte viele an die Gelbwesten-Proteste, angefangen von den Slogans und Transparenten, den auf der Straße belauschten Gesprächen, bis hin zur „gasförmigen“ Reaktion des Staates. Autos, die zum Konvoi gehörten, wurden abgeschleppt.

Der wöchentliche Protestmarsch der Impfpass-Gegner und Gelbwesten startete um einiges weiter östlich an der Place de l’Italie. Auch hier wurde Tränengas eingesetzt, bevor sich der Zug in Richtung Seine aufmachte. Womöglich befürchteten die Polizeioberen, dass sich beide Proteste – der genehmigte im Osten und der ungenehmigte auf den Champs-Élysées – vereinigten.

„Europäische Sternfahrt“ am Montag?

In der belgischen Hauptstadt Brüssel wurden ähnliche Proteste von Samstag bis Montagmorgen verboten. Dort ist nun eine „europäische Sternfahrt“ für den Montag geplant. Den LKW-Fahrern wurde dafür ein Parkplatz am Handelszentrum „Brussels Expo“ zur Verfügung gestellt. Autofahrern wird abgeraten, am Montag dorthin zu fahren oder den Autobahnring zu benutzen, weil Polizeikontrollen zu erwarten seien. Auch LKW-Fahrer aus Paris werden dann in Brüssel erwartet.

In Wien wurde ein Konvoi schon am Freitag untersagt. Viele Fahrer konnten die Kontrollen dennoch passieren und umkreisten am Mittag den Ring. Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) verglich den Konvoi, dessen kanadisches Vorbild vollkommen klar ist, mit Mussolinis „Marsch auf Rom“ – also der Machtübernahme der Faschisten in Italien 1922. Überraschend kam der Protest am Samstag in Den Haag, wo die LKW-Fahrer bis zum Sitz von Parlament und Regierung vordrangen und dort für einige Zeit den Verkehr lahmlegten. Dazu riefen sie Slogans wie „Rutte, hau ab!“ oder „Genug ist genug“.

Letztlich sind der französische „Impfpass“ und die Beschränkungen des individuellen und wirtschaftlichen Lebens, wie sie in vielen Staaten Europas noch herrschen, sicher für viele Bürger Grund genug, um auf die Straße zu gehen. Aber die Unzufriedenheit könnte – das zeigen auch die erneut aktiven Gelbwesten – breiter bedingt sein. Die französischen Zustände mit zu hohen Benzin- und Lebenshaltungskosten werden gerade zu europäischen. Die Proteste und Demonstrationszüge sind auch mit dieser tieferen Unzufriedenheit zu verbinden und könnten sich so noch einige Zeit erhalten, zumal solange auch die öffentliche Propagierung eines Gesundheitsnotstands noch nicht definitiv zurückgeht.

Was bleibt von diesem Tag? Die Pariser Polizei hat Touristen und einheimische Cafébesucher mit Tränengas behandelt, um eine friedliche Versammlung auf den Champs-Élysées aufzulösen. Der Protest der LKW-Fahrer hat derweil, zumindest abseits der Hauptstadt, eine erfolgreiche Premiere in Frankreich gefeiert, während sich die Regierenden mit Härte panzern.

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