Tichys Einblick
Marokko bringt Spanien das Fürchten bei

Nordafrika: Sicherheitsproblem für Europa

Marokko und Algerien bewaffnen sich und kaum einer bekommt es mit. Deren Konflikt um die Westsahara hat indirekt mit den aktuellen Migrationswellen zu tun.

Protests on 18.11.2020 front of the Moroccan consulate in Barcelona to protest against the war that has begun between Morocco and Western Sahara

picture alliance / GTRES

Auch wenn von der spanischen Regierung in diesen Tagen immer wieder zu hören gewesen sei, dass es keine Verbindung gäbe zwischen dem aufgekündigten Waffenstillstand der Polisario-Regierung in der Westsahara, dem wachsenden Jihadismus in der Sahelzone und den massiven Migrationswellen der vergangenen Wochen auf die Kanaren, „gibt es einen Zusammenhang“, stellt Sicherheitsexperte Fernando Cocho richtig. In Zeiten der Unsicherheit haben die Schlepperbanden ein leichtes Spiel. Der schwelende Konflikt in der Westsahara, die bis 1975 spanische Kolonie war und dann von Marokko annektiert wurde, wird durch die Aufhebung des Waffenstillstands der dortigen Milizen (Frente Polisario) erneut angeheizt.

Die Polisarios werden unter anderem von Algerien unterstützt. Die UN hat ihnen Selbstbestimmung versprochen, aber keiner traut sich, König Mohammed zu verärgern. Dieser drang kürzlich mit Truppen in die entmilitarisierte und von UN-Soldaten gesicherte Pufferzone am südlichen Zipfel der Westsahara ein, um eine Transitstrecke zu räumen. Der Konflikt eskalierte. „Die Sicherheitskräfte dringen willkürlich in Häuser ein“, berichtet der dort lebende Journalist Ahmed Ettalji, der sich selber in großer Gefahr sieht. Der linke Regierungspartner von Premier Pedro Sánchez fordert derweil, dass Spanien endlich Mut zeigt und die Selbstbestimmung der Westsahara unterstützt.

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Aber der Premier schweigt lieber. Zu viel steht auf dem Spiel. „Marokko ist ein wichtiger Handelspartner und eine militärische Gefahr für Spanien“, weiß Cocho. Die Franzosen kämpfen dagegen seit geraumer Zeit offen gegen die wachsende islamistische Gewalt in der Sahelzone, die auch von Algerien finanziert wird. Präsident Macron lässt sich weder von der Türkei einschüchtern, noch hat er Probleme, wieder die Grenze mit Spanien zu kontrollieren, um weitere Terroranschläge zu verhindern. Die französische Polizei hält Autos aus Spanien kommend an, selbst in Zügen führen sie Passkontrollen durch, berichtet Maghreb-Experte Ignacio Cembrero: „Viele der Tausende irregulärer Migranten aus Algerien und Marokko versuchen derzeit, von den Kanaren mit dem Flugzeug aufs spanische Festland zu fliegen und von dort weiter nach Frankreich oder Deutschland zu gelangen. Wir erleben das erste Mal, dass sie relativ viel Geld bei sich haben. Mit ihrem Pass können sie, einmal auf spanischem Boden, ins Flugzeug steigen und von den Kanaren nach Sevilla oder Madrid fliegen“, sagt Cembrero.

Viele Marokkaner wie Hamza Chimine nutzen den Moment der Unsicherheit, um sich auf den Weg nach Europa zu machen. Der 24jährige ist IT-Entwickler und vor wenigen Wochen aus dem Surferparadies Dakhla in der südlichen Westsahara nach Gran Canaria übergesetzt: „Zwei Tage hat es gedauert. Ich habe 2.000 Euro bezahlt“. Er gehört zu den Privilegierten, die dort in Hotels untergebracht wurden, was für laute Kritik gesorgt hat. Der spanische Innenminister traf sich mit der marokkanischen Regierung, „aber niemand weiß, was dort beschlossen wurde“, kritisiert Oscar Camps, Chef der im Mittelmeer legal operierenden spanischen Seerettung Open Arms. Er klagt die spanische Regierung an: „480 Menschen sind in den vergangenen Wochen im Meer ertrunken, auch weil sie mit kleinen Fischerbooten starten und der Atlantik sehr gefährlich ist“. Wo diese vielen Boote herkommen?: „Die marokkanischen Fischer können wegen der Pandemie nicht arbeiten und vermieten ihre Boote“, berichtet er. Die kanarische Parlamentsabgeordnete Ana Oramas hält derweil alarmierende und dramatisierende Reden im nationalen Parlament, weil sie fürchtet, dass die Kanarischen Inseln zu Lampedusa oder Lesbos werden könnten.

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Auch die Migrationsexpertin des Real Instituto Elcano Carmen González glaubt, dass die jetzige Durchlässigkeit der Grenze in die Westsahara, wo rund eine halbe Million Menschen leben, „kein Zufall ist. Marokko überflutet das besetzte Gebiet seit langem mit seinen eigenen Leuten.“ Ein Teil dieser Menschen bricht nun wegen der wirtschaftlichen Situaton zu den Kanaren auf, wo es allerdings auch nicht besser aussieht. Warum sie kein Tourismus-Visum beantragen?: „Wir bekommen keins oder es dauert lange und kostet das Dreifache“, erzählt der marrokanische Migrant Hamza, der auch mit der spanischen Polizei zusammenarbeitet.

Er bestätigt, dass viele in Marokko mit Jobsuchenden wie ihm enormes Geld machten. Die Schlepper gingen durch die Städte und versuchten die Leute zu animieren, illegal nach Spanien aufzubrechen: „Sie erzählen ihnen natürlich Lügen, wie toll es in Europa ist“, erzählt Hamza, der zu seiner Familie aufs spanische Festland will. Er ist anders als die meisten gebildet und weiβ, was ihn erwartet. Offiziell hat Spanien ein Rückführungsabkommen mit Marokko. „Aber das funktioniert nur sehr bedingt“, sagt Cembrero. Mohammed VI. wolle „lieber auf diese Weise den sozialen Protest außer Landes schaffen: „Gerade die jungen Menschen sind kritischer, was die politische Situation in Marokko angeht,“ erzählt der spanische Journalist, der kritisiert, dass er nicht frei arbeiten kann und nicht aus der Westsahara berichten darf: „Das erklärt auch, warum in der Presse so wenig darüber zu lesen ist, was übrigens wiederum im Sinne der spanischen Regierung ist“.

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Während Algerien im Verdacht steht, den Jihad zu finanzieren, “gilt Marokko als Bekämpfer deselbigen und bekommt deswegen auch Rückhalt aus der EU“, erklärt Cocho, der seit Jahren auf die Gefahr der Radikalisierung von arabischen Gefangenen in Spanien hinweist, wo 2004 mit 191 Todesopfern der bisher schlimmste islamistische Terroranschlag in Europa stattgefunden hat. Marokko gälte als das geringere Übel im Maghreb, glaubt Cembrero. Er lässt keine Zweifel daran, dass die algerischen Menschenschlepper sich inzwischen besser organisiert haben und deswegen auch der Anteil der Algerier unter den irregulären Migranten nach Spanien zunimmt. Klar sei, dass weder Frontex noch Spanien sich in die marrokanischen Angelegenheiten einmischen werden, und deswegen auch die Westsahara diesen Konflikt alleine austragen müsse. Es sei denn, Algerien wage die Auseinandersetzung mit Marokko. Der im Norden der Westsahara, in El Aaiun lebende Journalist Ahmed Ettalji rechnet jedoch mit dem Schlimmsten: „Es wird hier bald knallen“.
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