Tichys Einblick
Corona-Krise

Mexiko: Ein Land auf dem Weg in eine neue Links-Diktatur

In der Corona-Krise beschleunigt der seit sechzehn Monaten amtierende Präsident Mexikos, Andrés Manuel López Oprador, den durch seinen linkspopulistischen Kurs ohnehin schon in Gang gesetzten wirtschaftlichen Niedergang seines Landes.

Mexikanische Soldaten patrouillieren am Strand von Acapulco

imago images / Xinhua

Während in den deutschen Medien regelmäßig über die Misserfolge und Kehrtwenden rechtspopulistischer Präsidenten wie Donald Trump in den USA, Jair Bolsonaro in Brasilien oder Boris Johnson in Großbritannien im Kampf gegen die Corona-Pandemie berichtet wird, finden sich dort hingegen nur wenig Berichte über den nunmehr seit rund eineinhalb Jahren amtierenden linkspopulistischen Präsidenten Mexikos, Andrés Manuel López Oprador (abgekürzt AMLO).

Doch gerade in Mexiko schlagen die Wogen über willkürliche, quasi diktatorische Entscheidungen des Präsidenten hoch. Seine Unfähigkeit und sein Unwille, Zusammenhänge, vor allem in wirtschaftlichen und sozialen Bereichen, sehen zu wollen, werden nicht erst seit der Ausbreitung des Virus dort breit kritisiert.
Inzwischen sind laut offizieller Statistik am 10. April 3441 Personen als infiziert und 194 Personen als verstorben gemeldet. Am Tag zuvor war – zum ersten Mal überhaupt – zu lesen, dass die Infiziertenzahl und somit auch die Todesrate achtmal so hoch sei. Bei einer Einwohnerzahl von rund 125 Millionen steht die Ausbreitung des Virus damit noch am Anfang. Mexiko als Insel der Seligen als südlicher Nachbar der USA – dieser Traum scheint nun ausgeträumt. Die Berichterstattung, auch die täglichen Pressekonferenzen unter Leitung des federführenden Staatssekretärs des Gesundheitsministeriums, des Epidemiologen Dr. Hugo López-Gatell Ramirez, werden im Ton stets dramatischer, die Apelle drastischer. Man ruft die Menschen zur Vernunft auf und gibt Verhaltenshinweise zum Distanzhalten.

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Betrachtet man jedoch die Bilder in den Zeitungen von dichtgedrängten Massen in den Markthallen, vor allem in der Karwoche, erkennt man, dass sich „Susana Distancia“, das Distanz-Maskottchen in der Aufmachung von Superwoman, noch nicht in den Köpfen der Menschen festgesetzt hat. Das Land befindet sich (noch) in der Phase 2, allerdings unter dem neuerdings deklarierten Notstandsgesetz („Ley de Emergencia“), mit den inzwischen weltweit geltenden Maßnahmen, geschlossenen Unternehmen bei verordneter Beibehaltung der Gehaltszahlungen für die regulären Arbeitskräfte sowie die unzähligen, in die hunderttausende gehenden inoffiziellen Arbeitsstätten und die mittlerweile 350 000 gemeldeten Arbeitslosen. In nur drei Wochen ging damit der Zuwachs an Arbeitsplätzen des Jahres 2019 verloren. Nur lebenswichtige Industrien und Versorger bleiben geöffnet und arbeiten. Auch der öffentliche Verkehr, selbst Flüge und Überlandbuslinien funktionieren noch.

In der mexikanischen Presse und in den Medien – auch teilweise im (latein-) amerikanischen Ausland – kommt AMLO nicht gut weg wegen seiner langanhaltenden Leugnung einer Gefahr für die Bevölkerung in der Corona-Pandemie. Er handelte gegen den Rat seines Staatssekretärs geradezu lächerlich provokativ, indem er alle propagierten Sicherheitsmaßnahmen ignorierte, seine Immunität auf Talismane und seine moralische Kraft basierte. Er wurde ausgelacht und heftig kritisiert, was ihn aber scheinbar nicht tangierte. Er signalisierte der Bevölkerung, dass ihr durch Covid-19 keine besonderen Gefahren drohten und alle ihr gewohntes Leben, wie er selbst auch, weiterleben könnten.

Erst am 28. März wandte sich AMLO an das „Volk von Mexiko“ mit Ratschlägen zur allgemeinen Vorsicht; eine Kehrtwende, wie sie auch seine Kollegen aus den USA, Brasilien und dem UK haben vollziehen müssen. Jedoch am Tag darauf verfiel er bei einer „Gira de Trabajo“ (Arbeitstour) wieder in seine alten Gebräuche, umarmte und begrüßte Menschen mit Handschlag. Gleichzeitig versprach er eine Million Kredite zu 25000 Pesos (ca. tausend Euro) für Kleinbetriebe, die Hälfte für steuerzahlende, die andere Hälfte für solche der informellen Wirtschaft, die ausschließlich von der Schwarzarbeit lebt. Eine Farce, nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein und ein Signal, dass formelle Arbeit mit Steuer- und Soziallast nicht lohnt.

Uneinsichtigkeit, Starrsinn, Hochmut und fehlende Sensibilität für Expertenmeinungen charakterisieren AMLO als Präsidenten seit seinem Amtsantritt. So lässt er nun einen Militärflugplatz (Santa Lucia) zu einem für den Flugverkehr weitgehend unbrauchbaren und beim Einbruch des Flugverkehrs über Jahre hinaus nicht mehr benötigten Ersatzflughafen für die Hauptstadt ausbauen. Ebenso begünstigt er seine weiteren Lieblingsprojekte wie den umstrittenen, Naturreservate bedrohenden Touristenzug auf der Halbinsel Yucatan (Tren Maya), der jetzt im Zeichen der Pandemie mit dem Absturz des Tourismus völlig sinnlos geworden ist. Dasselbe gilt für die Errichtung einer Großraffinerie (Dos Bocas) beim aktuellen Ölpreisverfall und der notwendigen Subventionierung der am Bankrott schrammenden PEMEX, der staatlichen Erdölgesellschaft.

Er beharrt darauf, diese „Lieblingskinder“ mit überdimensionalen Zuwendungen aus der Steuerschatulle zu alimentieren (z.B. Sta Lucia mit 1343%, Tren Maya mit 969% Zuwachs gegenüber 2020), Unternehmen und Banken in der bevorstehenden Rezession aber nicht zu entlasten. Der Unternehmerverband klagt, AMLO habe ihm „die Türe zugeschlagen“ und sperre sich gegen kreative Krisenbewältigung zusammen mit der Privatwirtschaft, den Banken, Sozialverbänden und Gewerkschaften. Das dürfte abertausende Gewerbetreibende in den Ruin treiben, unzählige Arbeitsplätze ruinieren, Millionen arbeitslos (bei nicht existierender Versicherung bei Arbeitslosigkeit) werden lassen (geschätzt werden 1 – 1,2 Millionen in 2020) und Sparguthaben in Luft auflösen – mit dem Argument, alle staatlichen Finanzmittel stünden ohnehin den Armen und Bedürftigen zu. Wie soll die Alimentierung der Armen und Bedürftigen aber funktionieren, wenn die produktive Seite der Privatwirtschaft so mit Füßen getreten wird?

Die Prognosen sind mehr als düster für das Land: 7% Rezession in 2020, 35,5% im zweiten Quartal, Rückstufung der Kreditwürdigkeit durch Standard and Poor und JPMorgan, Kapitalflucht, Vertrauensverlust der Kapitalgeber, Absturz des Peso (bereits 20% in zwei Monaten) und des Preises für Rohöl bis zur Unrentabilität der Förderung in Mexiko. Hinzu kommen der Verfall der Steuereinnahmen und das weitgehende Aufbrauchen des staatlichen Notfallfonds, der von fast 300 Milliarden Pesos Ende 2018 auf 30 Milliarden Pesos Ende 2020 gesunken ist. Und das alles bei einer Bevölkerung, von der mehr als 50 Millionen in (teils extremer) Armut leben. Mehr als 60% der Menschen, die im informellen (Einkommens-)Sektor (ohne Gehalt, Sozialleistungen, Gesundheitsservice) arbeiten, können es sich eigentlich nicht leisten, zu Hause zu bleiben und soziale Kontakte zu vermeiden. Sie leben von der Hand in den Mund und sind, wenn nicht dem Virus-, dann dem Hungertod ausgeliefert. Für Mexiko eine gewaltige Zeitbombe. Die Armutszahlen könnten bis zu 90 Millionen steigen, wird prognostiziert. Der kärgliche Mittelstand könnte komplett verschwinden und in die Armutszone abrutschen.

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Nach sechzehn Monaten im Amt bestätigt sich eine Tendenz von AMLOs Regierungsform, die sich von Beginn an abgezeichnet hat: auf die „Dictadura perfecta“ (perfekte Diktatur), wie peruanische Schriftsteller Mario Vargas Llosa die sieben Jahrzehnte dauernde Herrschaft der „Partido Revolucionario Institucional“ (PRI) in Mexiko einst charakterisierte, folgt unter AMLO die „Dictadura Maldita“ (verfluchte Diktatur), wie der international bekannte und anerkannte mexikanische Schriftsteller und Journalist Francisco Martín Moreno in einem Artikel in der Zeitung Reforma vom 24. März feststellte. Er erläutert, gewissermaßen als Zwischenbilanz der Regierungszeit, worin die Verfehlungen des Präsidenten bisher liegen. “La maldad“ (die Boshaftigkeit) nahm ihren Anfang mit dem Wahlkampf, der auf Lug und Trug und dem Versprechen basierte, die „Mafia del Poder“ (Mafia der Macht – Angehörige der Vorgängerregierung) juristisch zu verfolgen. Um die Macht zu erringen, war aber ein Schulterschluss mit seinem Vorgänger Peña Nieto und die Aufkündigung späterer Anklage erfolgt. Ebenso tönte er, 500 Milliarden Pesos (ca. 20 Milliarden Euro) einsparen zu können mit der Ausmerzung der Korruption, kriminelle Organisationen in sechs Monaten niederzuringen und somit die schrecklichen Tötungen von Zehntausenden zu beenden, das Wirtschaftswachstum auf 4% anzuheben und somit Millionen Arme aus der Misere zu führen.

Nichts von alledem hat stattgefunden. Stattdessen war das Wirtschaftswachstum schon vor Corona negativ, erreichte im Jahr 2019 die Zahl der Getöteten ein nie zuvor erreichtes Hoch, wurde die Drogenmafia nicht bekämpft, dafür im Erziehungs-, Sozial-, Kultur- und Gesundheitsbereich erbarmungslos der Rotstift angesetzt. Der Verwaltungsapparat wurde auf Staats-, Landes- und Gemeindeebene derart verschlankt unter Entlassung tausender Bürokraten und Spezialisten, dass das System ächzt und kracht.

Gerade jetzt in Zeiten der Corona-Pandemie steht das Land mit einem ausgebeinten Gesundheitssystem da. Im Jahr 1943 gegründet, war es lange Zeit der Stolz des Landes und eines der besten in ganz Lateinamerika. Die Abschaffung der Seguro Popular (Volksversicherung) und Schaffung eines inadäquaten Ersatzes (INSABI) lässt 40 Millionen Mexikaner faktisch ohne Schutz, nicht zu sprechen von der Streichung von Ausgabeposten für spezielle Therapien (Krebs, HIV, mentale Krankheiten), für Frauenschutz, Kitas, dem konstanten Mangel an Heilmitteln und dem Feuern von unliebsamen Medizinern, die den Fehler begingen, auf Missstände hinzuweisen. Es fehlen Krankenhäuser und Notfallstationen und in diesen vielfach Ausstattung und Schutzmaterial sowie Ärzte und Pflegepersonal.

AMLO zieht und zog auch bereits sukzessive sein Land aus der internationalen Bedeutung zurück, etwa durch die Schließung der Promotionsagenturen ProMéxico und der meisten Vertretungen des Fremdenverkehrsamtes Visit Mexico (Wirtschaft und Tourismus). Somit verlässt Mexiko immer stärker die internationale Ebene und kapselt sich, bis auf wenige Länder, mit denen AMLO noch Kontakt hält, mehr und mehr ab. Sein ganzes Augenmerk gilt der Innenpolitik. So baut er beharrlich das System um, lässt und ließ auch hier autonome Organisationen, die in früheren Regierungen unter großem gesellschaftlichem Einsatz als Gegengewicht zur Exekutive aufgebaut wurden, verschwinden oder sie durch Gefolgsleute infiltrieren.

Besorgniserregend ist in diesem Zusammenhang auch AMLOs Schulterschluss mit linkspopulistischen Systemen Lateinamerikas, allen voran Venezuela. Vor venezolanischen Verhältnissen in Mexiko wurde zwar schon vor AMLOs Wahl gewarnt. Nur wenige wollten diesen Warnungen aber Glauben schenken. Zu groß war der Frust aufgrund der korrupten Machenschaften der Vorgängerregierung und die Hoffnungen auf einen Umbruch im Land hin zu weniger Ungleichheit und Prosperität auf der Basis sozialer und wirtschaftlicher Errungenschaften, die sich das Land erarbeitet hat. Ein Fehler, wie man inzwischen weiß. In sechszehn Monaten habe AMLO die Demokratie demontiert, die Wirtschaft zerschmettert, das Kreditsystem abgebaut, schreibt F. M. Moreno und sagt voraus, dass nur ein Scherbenhaufen übrigbleiben wird.

Beunruhigend ist vor diesem Hintergrund, wie AMLO sich immer stärker der Armee annähert, ihr immer mehr Machtbefugnisse einräumt, zivile Aufgaben überträgt und auf diesem Wege private Institutionen militarisiert. Mexiko hat die zweitstärksten Streitkräfte Lateinamerikas und nun auch noch eine – gegen großen Widerstand – vom Präsidenten neugeschaffene Nationalgarde neben einer starken Polizeitruppe. Die Armee übernimmt im Inneren Schutzfunktionen, wie neuerdings auch die Bewachung der Hospitäler und Medikamentendepots. Seit langem schon ist sie im Kampf mit den Drogenkartellen engagiert. Bereitet sich AMLO auf eine Revolte vor, der er mit Hilfe von Polizei, Nationalgarde und Armee trotzen will? Seine Tendenz zu totalitärem Regime zeichnet sich immer stärker ab. Man kann den Mexikanern nur viel Glück wünschen und hoffen, dass sie nicht geduldig sitzen bleiben bis sie aufs Schafott (F. M. Moreno), sprich zum Untergang, geführt werden.


Von Heinz-Joachim Gund und Roland Springer


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