Tichys Einblick
Ein Sieg für Marokko, aber auch für Europa

Marokkos Machtspiel funktioniert wie am Schnürchen

Die illegale Migration nach Spanien hängt zu 80 Prozent von Marokko ab und wie das Land seine Grenzen kontrolliert. 2019 haben es rund 33.000 von Afrika via Spanien nach Europa geschafft. Fast 50% weniger als im Vorjahr, allerdings immer mehr Marokkaner.

King Felipe VI of Spain (L) and King Mohammed VI of Morocco (R) at the Agdal Royal Palace on February 13, 2019 in Rabat, Morocco.

Carlos R. Alvarez/WireImage

Das Jahr war gerade vorbei, da musste Marokko mal wieder die Muskeln spielen lassen. Kurzerhand weiteten sie, ohne zu fragen, ihre Hoheitszone auf dem Meer aus und beanspruchten Gewässer vor den Kanarischen Inseln für sich. Genau da, wo die Hilfsorganisation „Asociación Pro Derechos Humanos de Andalucía (APDHA)“ in ihrem Migrationsbericht 2019 einen beträchtlichen Anstieg der illegalen Einwanderer registriert hat. Die gerade verabschiedete spanische Ausßnministerin Arancha González Laya reiste sofort nach Rabat und machte klar: Spanien ist kein Spielball und die armen Kanaren schon gar nicht.

Es ist Tradition, dass der spanische Außenminister oder Premier nach Antritt schnell in Marokko aufläuft, da das Land immer noch als Gefahr betrachtet wird, auch wenn Spanien inzwischen gröβter Handelspartner noch vor Frankreich ist. Marokko exportiert viel Gemüse und Obst nach Europa, aber nach Spanien vor allem Autos. Die Kaufkraft der Nachbarn, die vor allem SUV aus dem Nachbarland bestellen, braucht Marokko, um seine Wirtschaft zu stabilisieren. Europa wiederum braucht das nordafrikanische Königreich für die unangenhme Arbeit: Tausende von Afrikanern wandern vom Süden gen Norden, um dann nach Europa zu kommen. Marokko soll sie aufhalten, unter anderem dafür haben sie im vergangenen Jahr 140 Mio. Euro zugesprochen bekommen.

Marokko drängt Migranten zurück, auch mit harten Methoden

Die marokkanische Grenzpolizei hat ihren Job gemacht. Nach eigenen Aussagen konnte sie in 2019 mehr als 70.000 Migranten an der Übersetzung über die Meeresenge von Gibraltar bzw. am Überwinden der Grenzzäune in den beiden spanischen Exklaven, Ceuta und Melilla, hindern. Damit hat der seit Sommer 2018 amtierende sozialdemokratische Premier Pedro Sánchez bereits ein wichtiges Ziel erreicht: Die illegale Einwanderung über die Südgrenze Europas halbierte sich 2019 auf rund 33.000. Der bittere Nachgeschmack: APDHA zeigt in ihrem Bericht auf, dass die Marokkaner mit den Migranten auf ihrem Boden alles andere als freundlich umgehen. Zudem seien durch fehlende Kontrollen der Küstenwachen und Abschrecken der privaten „Seeretter” auf dem offenen Meer 600 Migranten 2019 ertrunken.

Marokko schachert sich immer näher an Europas Reichtum

Das marokkanisch-spanische Verhältnis ist seit jeher durch Provokationen gekennzeichnet, vor allem von der afrikanischen Seite, wo nur für Geld Grenzsicherheit geleistet wird. Aber Marokko ist wie ein kleines Kind und will immer mehr. Seine eigenen Leute sollen in Spanien eine Sonderstellung haben, diese werden an der Grenze deswegen de facto durch gewunken. Auch im vergangenen Jahr wurden nach Angaben der APDHA Tausende marrokanischer Minderjähriger nach Spanien geschickt und dort weitgehend ihrem Schicksal überlassen, weil es keine geordnete Struktur für sie gibt. Es ist ein unfaires Spiel, weil Kinder unter 18 Jahren von Spanien nicht nach Marokko zurück gebracht werden dürfen, was auch erklärt, dass sie inwischen 30 Prozent der Boots-Passagiere ausmachen. Inzwischen wohnen fast eine Millionen Marokkaner in Spanien.

Die Zahl der Einreiserlaubnisse stieg seit 2015 stetig, aber der marrokanische Außenminister Nasser Bourati ließ seine Amtskollegien beim Treffen vor einigen Wochen wissen, dass die spanische Bürokratie zu langsam sei und noch mehr Marokkaner durchgewinkt werden müssen. Angesichts dieser verzwickten Lage mit Marokko sieht der spanische Sicherheitsexperte Fernando Cocho für „2020 einige Risiken auf Spanien zukommen, weswegen wir auch die Einwanderung unbedingt besser kontrollieren müssen“. Cocho hat in der Vergangenheit auch immer wieder auf die Gefängnisse als Herd der Radikalisierung hingeweisen. Sánchez hat schnell kapiert, dass von einer Kontrolle und vernünftigen Integration auch der Erfolg seiner Regierung abhängt. Denn nur so kann er die stark wachsende rechtsextreme Vox aufhalten und auch den Rest der immer kampflustigeren rechten Opposition in Schach halten.

Ministerium für Einwanderung, Sozialversicherung und Integration

Hana Jalloul, Expertin in internationaler Politik und Recht, aber auch in Terrorbekämpfung, wurde deswegen gerade zur Staatssekretärin für Migration ernannt. Jalloul ist libyscher Herkunft und weiß aufgrund ihrer bisherigen Arbeit um die Gefahr eines erneuten Anschlags in Spanien. Sie soll zusammen mit dem ehemaligen Chefökonom der spanischen Notenbank José María Casado Integrationsmaßnahmen entwerfen, um eine Radikalisierung der im Land ankommenden und lebenden Ausländer zu vermeiden. „Die Attentate von 2004 auf die Nahverkehrszüge in Madrid und 2017 in Barcelona haben Narben hinterlassen in der Gesellschaft“, glaubt Cocho. Die Täter hätten teilweise schon lange in Spanien gelebt. Immer wieder gab es eine Verbindung zu Marokko, auch wenn der König dort sich offiziell gegen Extremismus stellt. Der Minister des neu geschaffenen Ministeriums für Einwanderung, Sozialversicherung und Integration, der renommierte Wirtschaftsmathematiker José Luis Escrivá, lässt deswegen bei seinem Amtsantritt wissen: „Wir sollten die Migrationspolitik so lenken, dass die Menschen, die hier ankommen, die sind, die wir in Spanien brauchen“.

Aber er muss nach Meinung der APDH auch Geld in den Ausbau der völlig überfüllten Auffanglager auf den Kanarischen Inseln und auch in Melilla und Ceuta stecken. Derzeit tauchen immer wieder Minderjährige aus diesen Zentren ab und in der Gesellschaft unter. Es wird geschätzt, dass sich rund eine halbe Million seit mehr als zehn Jahren illegal im Land aufhält, was abgesehen von möglicher Radikalisierung eine Reihe andere Probleme mit sich zieht wie die Zunahme von Drogen- und Schwarzhandel, weil die Migranten keiner geregelten Arbeit nachgehen können. Aber der neue Minister Escrivá weiß auch, dass auf Basis des derzeitigen Wirtschaftssystems Spanien erwerbstätige Migranten für die Finanzierung seines Sozialsystems braucht. Die Geburtenrate ist eine der niedrigsten in Europa, die Lebenserwartung die höchste. Allerdings muss das neue Ministerium auch damit leben, dass das Land bei 14 Prozent Arbeitslosigkeit nicht wirklich Jobs für Neuankömmlinge anbieten kann. Zumindest keine offiziellen.

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