Tichys Einblick
Die Lage in der Ukraine

Russische Truppen scheinen Entscheidung im Donbass zu suchen

Während Russland in der Ukraine seine Strategie ändert, wird die Debatte über westliche Waffenlieferungen immer brisanter. Der Oberbefehlshaber der US-Truppen in Europa äußerte jetzt, dass ein Hintergrund von Putins Angriff auch die offenkundige westliche Schwäche in Afghanistan gewesen sein dürfte.

IMAGO / CTK Photo

In der Ukraine zeichnet sich ein russischer Strategiewechsel ab. Russische Truppen haben sich nun großflächig aus den wochenlang schwer umkämpften Vororten westlich von Kiew zurückgezogen, auch der symbolträchtige Flughafen Antonov, der ganz zu Anfang des Krieges von russischen Luftlandetruppen erobert wurde, scheint von Russland verlassen zu werden.

Zahlreiche Einheiten fahren nach Weißrussland ab und werden von dort vermutlich an die Front im Donbass verlegt. Damit enden die wochenlangen Gefechte um Kiew zunächst, es hatte sich zuletzt gezeigt, dass Russland weder die militärische Kraft für einen Angriff auf Kiew selbst noch für die komplette Einkesselung der Stadt aufbieten konnte.

Im Süden, westlich der Krim, haben die Ukrainer russische Truppen von der Stadt Mykolajiw zurückgedrängt, was wohl das vorläufige Ende der russischen Pläne zur Eroberung von Odessa bedeutet. Amateurvideos zeigen, wie russische Truppen den Dnepr verminen und sich so wohl auf Verteidigungsgefechte rund um die eroberte Stadt Cherson nordwestlich der Krim vorbereiten.

Stattdessen legt Russland nun erklärtermaßen seinen Fokus darauf, die Front im Donbass an der alten Demarkationslinie zu umgehen und die dortigen Truppen, immer noch ein Großteil der ukrainischen Armee, abzuschneiden. Um das abzuwenden, benötigt die Ukraine vor allem schweres Gerät – gepanzerte Fahrzeuge, Flugabwehr und Drohnen.

In dem Kontext werden die westlichen Rüstungslieferungen immer entscheidender. Bisher lieferte Deutschland kein schweres Gerät, sondern Hauptsächlich Waffen zur Panzerabwehr. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht steht in öffentlicher Kritik, weil die von ihr abgesegnete Waffen-Liste laut Berichten der Welt nicht mit der ukrainischen Regierung abgestimmt war. Die Bundesregierung genehmigte nun zumindest die Lieferung von Schützenpanzern aus DDR-Beständen, die aktuell in tschechischem Besitz sind.

In Russland hat Putin derweil ein Dekret unterzeichnet, dass 134.500 neue Wehrpflichtige in die russische Armee als Teil einer jährlichen Frühjahrskampagne einberuft.

Ein russisches Öldepot im Oblast Belgorod, 35 km entfernt von der ukrainischen Grenze steht derweil in Flammen. Russische Behörden zufolge handelte es sich um einen Gegenangriff der ukrainischen Streitkräfte mit zwei Militärhubschraubern. Im Netz kursierende Amateuraufnahmen scheinen dies zu bestätigen.

Auch die Debatte um die Hintergründe von Putins Angriff wird nun immer prominenter geführt. Vier-Sterne-General Tod D. Wolters, Oberbefehlshaber der US-Truppen in Europa und gleichzeitig Supreme Allied Commander Europe der Nato, äußerte sich dazu jetzt vor dem Verteidigungsausschuss des US-Repräsentantenhauses. Er antwortete dort unter anderem auf die Frage, warum Putin am 24. Februar 2022 einmarschierte und nicht zu einem anderen Zeitpunkt seit 2014: „Ich glaube, er hatte das Gefühl, von der Bevölkerung Russlands unterstützt zu werden“, sagte Wolters. „Ich denke, dass er versuchte, Risse auszunutzen, die in der Nato als Folge des post-afghanischen Umfelds entstanden sein könnten. Und ich glaube auch, dass es mit seinem Alter und seiner Leistungsfähigkeit zu tun hat.“

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