Tichys Einblick
Kinderarbeit und deutscher Weltrettungseifer

Das Lieferkettengesetz als Pranger für deutsche Unternehmen

Deutsche Unternehmen sollen einer umfassenden Haftungspflicht für Zulieferer in Entwicklungsländern ausgesetzt werden. Das ist nicht gerecht und nicht hilfreich. Besser wäre es, den Verhältnissen pragmatisch zu begegnen.

imago images / epd

Die Diskussion in der Wirtschaft um ein deutsches Lieferkettengesetz geht weiter.  Vor allem Entwicklungsminister Müller und Arbeitsminister Heil wollen Gutes tun. Eine moralische Besserwisserei, die sie ideologisch gut verkaufen können, deren Umsetzung per nationales Gesetz aber höchst problematisch und nicht praktikabel ist. Selbst kleine und mittelständische Unternehmen sollen sich einer umfassenden Haftungspflicht für Investitionen in Afrika auszusetzen. Deutsche Unternehmen werden öffentlich als Profiteure von Menschenrechtsverletzungen und Kinderarbeit angeprangert. Unternehmen sollen einer umfassenden Haftungspflicht ausgesetzt werden, ohne die Menschenrechtslage vor Ort effektiv nachprüfen zu können. Wo bleibt der Aufschrei, wenn ein Gesetz beschlossen werden soll, das gravierende Auswirkungen auf deutsche Firmen haben wird, ohne dass dies in den Medien gründlich problematisiert wird?

Sicher können und sollen deutsche Unternehmen ihren Einfluss auf die Produktionsbedingungen in Entwicklungsländern geltend machen. Eine gesetzliche Sorgfaltspflicht dürfte viele Unternehmer aber überfordern. Es wird in der Praxis kaum gelingen nachzuweisen, unter welchen Bedingungen ein Produkt hergestellt wurde. Auf jeden Fall bedeutet der Nachweis einen enormen bürokratischen Aufwand. Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer spricht von einem bürokratischen Monster. „Entweder wird das Lieferkettengesetz ein bürokratischer Papiertiger oder es wird so streng formuliert, dass wir höchstens noch mit Europäern Handel treiben dürfen.“ Der Plan sei „schlicht nicht praktikabel. … Mit so einem Gesetz für alle Unternehmen stehe ich ja schon mit beiden Beinen im Gefängnis. Dieser Unfug ist so groß, dass er so nicht kommen wird.“

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Nationale Alleingänge genügen auch laut Daniel Caspary (Volkswirt und EU-Parlamentarier, CDU) und Thomas Heilmann (Unternehmer und Bundestagsabgeordneter, CDU) nicht, um Menschenrechtsverletzungen in globalen Wertschöpfungsketten auszuschalten. Sie schlagen in einem Brief an EU-Justizkommissar Didier Reynders vor, dass die Arbeitsstätten einheitlich zertifiziert werden. Unternehmen sollen verpflichtet werden, ohne sie zu überfordern. Nach Ansicht der Abgeordneten könnten die Länder Stück für Stück zum Umdenken motiviert werden und es werde ihnen geholfen, die Menschenrechtslage zu verbessern. Der Vorschlag sieht vor, nicht mehr ganze Länder zu bewerten, sondern stattdessen branchen- und unternehmensbezogen vorzugehen. Als Vorbild des EU-Registers könnte nach Meinung der Unterzeichner die EU-Verordnung zur Bekämpfung der illegalen Fischerei dienen. Ziel sei es, Regierungen, Produzenten und Abnehmern eine transparente Informationsgrundlage an die Hand zu geben und gleichzeitig Sanktionsmöglichkeiten zu schaffen. Lieferanten, die sich dauerhaft den Verbesserungen widersetzen, könnten schließlich mit einem Abnahmeverbot durch Besteller aus der EU belegt werden.

Es macht keinen Sinn, Vorstellungen, die einer Wohlstandsnation entspringen, in Entwicklungsländern durchsetzen zu wollen. Vielen Kritikern fehlen genaue Kenntnisse der Lebenswirklichkeit vor Ort. Besser – und hilfreicher – wäre es, den Verhältnissen in den jeweiligen Ländern ohne Sozialromantik zu begegnen. Es sind Kleinbetriebe in Westafrika, die Kakao produzieren. In der Elfenbeinküste gibt es mehr als 20.000 Familienplantagen. Zum einen ist es dort Tradition, dass die Kinder das Handwerk ihrer Eltern lernen, also auf den „Plantagen“ mitarbeiten, zum andern könnten viele Kleinbauern professionelle Arbeitskräfte überhaupt nicht bezahlen. Herkömmlich arbeitende Betriebe erwirtschaften nur bis zu 400 kg Kakaobohnen pro Hektar.

Missbräuchliche Kinderarbeit oder Sklaverei stehen in Ghana und der Cote d’Ivoire unter Strafe. Die Kinder werden keineswegs für alle Arbeiten auf den Plantagen eingesetzt. Vielmehr helfen sie bei Tätigkeiten, die viele Arbeitskräfte erfordern: die Vorbereitung des Bodens, die Ernte, die sich auf eine Haupt- und eine Nebenernte beläuft, und die Weiterverarbeitung. In Ghana gilt bereits als Kinderarbeit, wenn ein Kind mit einer Machete Gras schneidet. Nur vergleichsweise wenige Kinder helfen beim Einpflanzen der Setzlinge oder bringen Dünger aus. Nicht jede Form von Arbeit ist für Heranwachsende schädlich, stellt auch die UNICEF fest. Viele Kinder wollen auf dem Feld oder im elterlichen Betrieb mithelfen und können dabei einiges lernen. Es ist entscheidend: Wie alt ist ein Kind, was genau muss es machen und wie kann sich die Arbeit auf seine Gesundheit und Entwicklung auswirken? Es muss nicht generell schlecht sein, wenn Mädchen und Jungen mit anpacken und den Zusammenhalt der Familiengemeinschaft stärken, der in Afrika sehr groß ist.

Jeder wünscht sich, dass Kinder in Afrika eine schöne und unbeschwerte Jugend verbringen. Leider verkennt diese Betrachtung völlig die Realitäten. Auch in Europa war lange Zeit Kinderarbeit in der Landwirtschaft normal. Oftmals ist dies die einzige Chance, dem Hunger und bedrohlicher Armut zu entkommen.

Viele Kinder in den Ländern, in denen ich als Diplomat tätig war, arbeiten als Straßenverkäufer, Dienstboten, Schuhputzer, Zuarbeiter in Hinterhofwerkstätten oder Müllsammler, was bei den dort vorhandenen Schadstoffen in etwa gesundheitliche Auswirkungen hat wie Aids, Tuberkulose und Malaria. Vielleicht ist es da besser, im Kakao-Familienbetrieb, der auch ein Großfamilienbetrieb sein kann, mitzuarbeiten.

Kakao-Produktion
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Anders müssen wir das bei ausbeuterischer Kinderarbeit beurteilen, die unter gefährlichen Bedingungen stattfindet, zum Beispiel in Minen. In der Demokratischen Republik Kongo wird Kobalt unter äußerst gefährlichen Bedingungen abgebaut. Kobalt wird am Rand der großen Kupfer- und Nickel-Minen als Nebenprodukt per Hand ausgegraben. Kobalt ist unerlässlich für die Produktion von Akkus. Und der Kongo ist für mehr als 60 Prozent der weltweiten Förderung verantwortlich. Abnehmer sind IT-Firmen wie Apple, Alphabet, Dell, Microsoft und Tesla. Das ist die schmutzige Seite der sozialen Medien und der „sauberen“ Mobilität.

Mit Blick auf die Menschenrechte und Umweltstandards braucht es einheitliche Sorgfaltspflichten für alle im Markt, nicht nur für deutsche Firmen. Allerdings sollten wir die Einhaltung von Kinder- und Menschenrechten in anderen Teilen der Welt nicht unter Generalverdacht stellen.Von Afrikanern werde ich oft gefragt: „Warum glaubt ihr Deutschen eigentlich, dass ihr weltweit das „Gute“ durchsetzen müsst ? Alles wird  moralisch zurechtgebogen, weil es Euch primär um die Rettung der Welt geht.“


Volker Seitz war von 1965 bis 2008 in verschiedenen Funktionen für das deutsche Auswärtige Amt tätig, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea mit Sitz in Jaunde. Er gehört zum Initiativ-Kreis des Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe und ist Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“. Die aktualisierte und erweiterte Taschenbuchausgabe erschien im September 2018. Drei Nachauflagen folgten 2019 und 2020. Gesamtauflage : derzeit über 31.000 Exemplare. Volker Seitz publiziert regelmäßig zum Thema Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika und hält Vorträge.