Tichys Einblick
Sánchez' letzter Versuch

Katalonien: Teilweise oder komplette Unabhängigkeit wird wahrscheinlich

Zwar streiten die Sezessionisten gerade untereinander und es drohen erneute Neuwahlen in Katalonien, aber mittlerweile läuift es auf unterschiedliche Formen der Unabhängigkeit zu.

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Die neue Regierung von Pedro Sánchez hat ohne Zweifel das Verhältnis der Zentralregierung mit Katalonien aufgelockert. Aber auch die sozialdemokratischen Sozialisten werden einen Sonderstatus für die Region wohl nicht vermeiden können.

Karl Jacobi will hoch hinaus. Der deutsche Unternehmer will den Sezessionisten den Garaus machen und der ganzen Unabhängigkeitsbewegung. Dafür will er seine eigene Partei gründen und sich im kommenden Jahr für das Bürgermeisteramt in Barcelona bewerben: „Ich habe bereits eine groβe Fangemeinde“. Ob der Kommunikationsexperte die Herzen der Katalanen gewinnen kann, bleibt fraglich.

Auch der charismatische spanische Premier Pedro Sánchez hat gerade eine Offensive gestartet hat, um mit dem durch seine Töne negativ auffallenden katalanischen Regierungschef Quim Torra auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Sánchez schlägt die parlamentarische Abstimmung über ein neues Autonomiestatut für Katalonien vor. Sein Auβenminister Josep Borrell, selber Katalane, würde am liebsten kurzen Prozess mit den Sezessionisten machen, aber das geht politisch nicht. Ein neues Autonomiestatut ist auch für ihn kein schlechter Weg, denn immerhin war es das letzte Statut, das vom Verfassungericht 2010 in einigen Teilen abgelehnt wurde, das Madrid und Barcelona endgültig auseinander trieb.

Die Katalanen wollen in einem solchen neuen Autonomiestatut das Recht auf Selbstbestimmung fest verankern. Das haben sie schon angekündigt und sie wollen als Nation bezeichnet werden. Die konservative Opposition inklusive der Liberalen Ciudadanos dürfte dem niemals zustimmen. „Sie leben politisch von der harten Opposition gegen Katalonien“, heiβt es bei der linken Partei Podemos. Die Madrider Regierung käme damit für ein solches Statut nur ganz knapp auf eine Mehrheit im nationalen Parlament wie auch schon beim Misstrauensvotrum. Sánchez würde damit auch eine Tür für das Baskenland öffnen, die auch ein Referendum abhalten wollen. Es würde den nationalen Regionalbewegungen, die es auch in Navarra, Galizien und auf den Kanaren gibt, enormen Aufwind geben.

„Das ist natürlich enorm gefährlich für Europa“, warnt der in Madrid lebende deutsche Rechtsanwalt Georg Abegg. Um den Hunger der katalanischen Nationalisten zu stillen, verteilt Sánchez erstmal Geld, wissend, dass es vor allem finanzielle Probleme sind, welche die Beziehung zu Katalonien zerstört haben. Zahlungen an Katalonien, die wegen der Aussetzung der Autonomie noch ausstanden, wurden freigeschaltet und damit auch wieder die Verwaltung der Region mit Sauerstoff versorgt. Einige Krankenhäuser und Schulen hatten wegen der monatelangen Blockade und auch wegen vorherigen Missmanagements der Finanzen schon Notstand ähnliche Situationen erreicht.

Entspannung ist nicht gleich Lösung

„Wir merken hier schon, dass die Lage sich entspannt hat und das ist sehr positiv. Aber was erreicht werden kann, bleibt abzuwarten“, sagt Albert Peters, Chef des Kreises der deutschen Führungskräfte in Barcelona (KdF). Für die konservative Opposition und ihren Führer Pablo Casado führt Sánchez das Land ins Chaos, weil er mit „Separatisten und Terroristen“ verhandele und „ihnen Zugeständnisse gemacht hat, damit sie beim Misstrauensvotum für ihn stimmen“. Torra will die Republik, das sagte er immer wieder.

Die Schweizerin Stefania Zanier, die mit einem katalanischen Uni-Dozenten verheiratet ist, sieht es dagegen ganz anders: „Die Lage war sehr angespannt, auch bei uns im Dorf in Vacarisas (Vacarisses in katalanisch – zu deutsch Kuhlachen). Ich hatte einen Bioladen und musste ihn aufgeben, weil unter anderem die konservative Umgebung im eher separatischen Dorfkern nicht mehr einkaufte. Jetzt sehen wir wieder Licht am Ende des Tunnels“. Zanier ist auch als Heilpraktikerin und Übersetzerin tätig und lebt schon seit 10 Jahren in Katalonien.

Der sich anbahnende Machtkampf zwischen dem inzwischen aus Deutschland wieder nach Belgien gereisten französischsprachigen Carles Puigdemont und Parteien wie Esquerra Republicana gibt den Referendum- und Unabhängigkeitsgegnern zwar Aufwind, aber die Tatsache, dass Leute wie Francesc Guillén, dessen Eltern gar keine Katalanen sind, zu Sezessionisten wurden, sollte auch Madrid nachdenklich stimmen: „Es wurde einfach immer ‚Nein‘ zu allem gesagt, was wir vorgeschlagen haben, vor allem seit die PP 2011 in Madrid an die Macht kam. Das ist keine Politik“, sagt der Jurist.

An dem Referendum wird Madrid nicht vorbeikommen, auch nicht, wenn es Neuwahlen geben sollte und die PP mit Ciuadanos eine Regierung bildet. „Der Konflikt ist zu weit fortgeschritten, der Unabhängigkeitsgedanke ist inzwischen tief in Teilen der Gesellschaft verankert“, glaubt Uni-Dozent Guillén, der mit Zanier verheiratet ist und die Vorteile einer Basidemokratie auch durch die Reisen in die Schweiz kennt.

Katalonien braucht mehr Direktdemokratie und konstruktiven Dialog

Diese vergleicht die Situation Katalonien immer wieder mit der in ihrem eigenen Land: „Wir sind bei uns in der Schweiz gewöhnt, dass über alles abgestimmt wird, egal über welche Tabus. Ich verstehe nicht, warum es 2014 nicht zugelassen wurde, dass die Katalanen über ihre Zukunft abstimmen. Es wäre negativ für die Befürworter der Unabhängigkeit ausgefallen und zwar ganz klar. Damit hätte sich das Problem erledigt gehabt. Durch die Verbote und Ablehnung jeglichen Kompromisses ist alles schlimmer geworden“.

Sánchez will dieses Dilemma auflösen, aber die vergangenen Jahre haben viel in der katalanischen Gesellschaft verändert und auch der Verfassungsrechtler Guillén muss eingestehen, dass er erst ab 2012 begonnen hat, über eine Unabhängigkeit Kataloniens nachzudenken: „Auf einmal war mir klar geworden, dass irgendetwas tatsächlich nicht stimmte in dem Machtgefüge in Spanien seit dem Übergang in die Demokratie. Es wird toleriert, dass das Baskenland autonom seine Steuern verwaltet, Katalonien dagegen wird es nicht zugestanden. Das ist zynisch.“

Während viele Spanier diesen von Guillén beschriebenen Wendepunkt in der katalanischen Gesellschaft als Resultat der sezessionistischen Propaganda sehen, muss Sánchez in den kommenden Wochen akrobatische Künste beweisen. Drei schwierige Drahtseil-Akte muss der Gegner einer katalanischen Unabhängigheit hinter sich bringen. Drei anstehende Termine dürften die Emotionen hochschaukeln zwischen der regierenden PSOE und der konservativen Opposition: den 11. September – katalanischer Nationalfeiertag – und den 1. Oktober, die Erinnerung an das verbotene Referendum und den harten Einsatz der spanischen Polizei.

Zudem wird am 17. August zum Gedenktag an die Anschläge auch Felipe VI mit der Königin Barcelona besuchen, was die Monarchie-Gegner mobilisieren dürfte. Torra macht jetzt schon Stimmung, plant Demos und provoziert Sánchez und den Monarchen immer wieder. Der spanische Premier verspricht jedoch: „Es wird keine juristischen Verfahren mehr geben gegen Katalonien“. Sollte es zu Chaos kommen, könnte das Sánchez Neuwahlen kosten. Derzeit könnten sie diese nach einer Umfrage der konservativen spanischen Tageszeitung ABC jedoch gewinnen.

Verspricht Sánchez zuviel ?

Sánchez wird von der Oppositin immer wieder kritisiert, dass er zu viele Gesten sucht und nicht wirklich in Aktion tritt. Der Sozialdemokrat will jedoch nach eigenen Aussagen mit seiner aktuellen offenen Politik den Sezessionisten, welche die Inhaftierten ihrer Parteien und Bewegungen immer wieder als „politische Gefangene“ bezeichnen, den Wind aus den Segeln nehmen. „Aus dem juristischen Konflikt soll eine politische Krise werden“, heiβt es aus Kreisen der regierenden PSOE. Auch Peters vom KdF glaubt, dass eine Verlagerung des Konflikts auf Dialog der richtige Weg ist: „Es wird auch wieder Investitionen in die Region stimulieren“. Der heiße Herbst, den der von Sánchez gestürzte Mariano Rajoy zu verantworten habe, sei damit nicht zu erwarten.

Während der Rechtskonservative Jacobi sehr skeptisch ist, dass mit Dialog etwas erreicht werden kann in Katalonien und an seiner eigenen Partei arbeitet, glaubt Zanier, die auch im Schweizer Kulturkeis engagiert ist, an bessere Zeiten und an die guten Absichten Sánchez: „Wir sind zuversichtlich, dass die weiteren Kontakte die gegensätzlichen Positionen abbauen. Gegenseitiges Vertrauen ist die beste Investition für beide Seiten“. Dennoch sieht auch sie es als schwierig an, dass das Rad eines Sonderstatus für Katalonien mit der Aussicht auf Selbstbestimmung zurückgedreht werden kann: „Es ist zuviel passiert. Alles, was verboten ist, reizt noch mehr und von Madrid wurde zuviel verboten“.

Die EU sollte nach Meinung vieler Spanier bei diesem Konflikt nationaler Gefühle nicht nur zuschauen. Vor allem die nach Unabhängigkeit strebenden Katalanen wollen die Einmischung: „Es geht uns alle an, das ist nicht nur ein bilateralter Konflikt“, sagt der EU-Abgeordnete für die szessionistische Partei Esquerra Republicana Josep-Maria Terricabras. Der Doktor der Philosophie und EU-Fan warnt immer wieder provokant in den spanischen Medien, dass die EU vereinter und aktiver auftreten muss, „weil sie sonst nicht existiert“.