Tichys Einblick
Neusprech in Österreich

Kärnten: Wie man ein Volk verhext

So viel Zeit muss sein: Mitten in einer Rekordinflation und in der größten Energiekrise seit 1945 präsentiert Kärnten einen Leitfaden für gendergerechte Sprache. Es ist eine offene Machtprobe mit den Bürgern.

Wappentier Lindwurm in Klagenfurt, Landeshauptstadt von Kärnten

IMAGO / Eibner Europa

„Wenn ich ein Wort gebrauche“, sagte Goggelmoggel in recht hochmütigem Ton, „dann heißt es genau, was ich für richtig halte – nicht mehr und nicht weniger.“ „Es fragt sich nur“, sagte Alice, „ob man Wörter einfach etwas anderes heißen lassen kann.“ „Es fragt sich nur“, sagte Goggelmoggel, „wer der Stärkere ist, weiter nichts.“ (Lewis Carroll, „Alice hinter den Spiegeln“, 1871)

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Liebe lesende Personen, zur Beginnin dieser Beitragin wendet sich die verfassende Personin mit einer Warnhinweisin an Sie: Diese Artikelin enthält nicht gegenderte Begriffinnen. Die nachfolgende Schilderung einer wahren Sachverhaltin könnte deshalb auf einige rezipierende Person:innen verstörend wirken.

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Berlin macht Schule. Und wer die Stadt in ihrem real existierenden Zustand kennt, der weiß, dass das nur heißen kann: Berlin dient als schlechtes Beispiel – wieder einmal.

Vor zwei Jahren hielt es der damalige grüne Justizsenator des deutschen „Bundeshauptslums“ (Don Alphonso) für sinnvoll, die berüchtigt dysfunktionale und chronisch überforderte Landesverwaltung auf immerhin 44 Seiten auch noch mit genderneutralen Sprachanweisungen zu beglücken.

Bekanntlich findet sich auch für den größten Blödsinn immer mindestens ein Nachahmer. In diesem Fall ist es das österreichische Bundesland Kärnten. Das war einmal die Heimat von Jörg Haider, dort war das politische Ausnahmetalent insgesamt mehr als ein Jahrzehnt lang Landeshauptmann (so nennt man in der Alpenrepublik die Ministerpräsidenten).

Haider ist lange tot, seine Partei hat sich kunstvoll zerlegt, und Kärnten fiel sozusagen als politische Konkursmasse an die österreichischen Sozialdemokraten: die SPÖ. Landesvater ist seit 2008 deren braver Parteisoldat Peter Kaiser, dessen Nachname einen lustigen Kontrapunkt zu seinem außerordentlich kleinteiligen und buchhalterischen Regierungsstil setzt.

Um den Kärntner Gender-Import aus Berlin sinnvoll einordnen zu können, müssen Nicht-Österreicher im Prinzip nur zwei Dinge wissen: Erstens – die Operettendemokratie mit dem chronischen Minderwertigkeitskomplex wegen verlorener KuK-Größe leidet unter der schlimmsten Preisexplosion seit 70 Jahren, im Oktober lag die Inflationsrate bei 11,0 Prozent. Zweitens – das Land befindet sich in der schlimmsten Energiekrise seit dem Zweiten Weltkrieg, denn Österreich (man mag es kaum glauben) ist noch abhängiger von russischem Gas als Deutschland.

Für Bundes- wie Landespolitiker gäbe es also erkennbar einiges zu tun. Die für Frauenfragen zuständige Kärntner SPÖ-Landesrätin (= Landesministerin) Sara Schaar hat sich dennoch die Zeit genommen, das Berliner Vorbild noch zu übertreffen – und sogar auf 71 Seiten einen Leitfaden für gendergerechte Sprache zu Papier gebracht.

Die Sprachanweisung an alle Landesbediensteten untersagt die Anrede „Sehr geehrte Damen und Herren“. Stattdessen muss es künftig, mündlich wie schriftlich, „Sehr geehrte Anwesende“ heißen. Gäste hat das maßgeblich vom Tourismus lebende Land Kärnten künftig auch keine mehr, sondern nur Besuchspersonen. Die Hotels und Wirtshäuser, die von diesen frequentiert werden, haben ab jetzt keine Inhaber mehr, sondern innehabende und besitzende Personen.

Und so geht es weiter, munter und völlig ironiefrei. Auf allen 71 Seiten liest sich der Leitfaden, als käme er direkt aus der Hölle für Sprachästheten:

• Der Absolvent ist abgeschafft und heißt jetzt Abschluss innehabende Person.
• Der Autor ist eine literaturschaffende Person.
• Der Bäcker ist eine Fachkraft für Bäckerei.
• Der Bauer ist ein landwirtschaftlich Beschäftigter.
• Der Bote ist eine überbringende Person.
• Der Held ist eine Schlüsselperson.
• Die Feuerwehr wird künftig mit 40 Personen anrücken und nicht mehr mit 40 Mann.
• Der Patient ist eine zu behandelnde Person.
• Der Polizist ist eine Polizeikraft.

Des Polizisten natürlicher Feind, der „Täter“, ist in Kärnten ab jetzt die „Unrechtsperson“. Auch Sieger wird es keine mehr geben, nur noch den ersten Platz Belegende. Und das kleine Wörtchen man ist absolut tabu. Es heißt also nicht:

„Wenn es zu laut ist, kann man nichts hören.“
Es heißt vielmehr:
„Wenn es zu laut ist, können viele nichts hören.“

„Seinerzeit“ ist auch zu männlich und heißt künftig „zu jener Zeit“. Und selbst im Reich der Magie wird neu formuliert: Die „Hexe“ ist nun eine „Person mit Zauberkräften“. Und eine „unbemannte“ Raumfähre ist künftig „unbemenscht“.

Natürlich möchte jeder erwachsene Mensch, der noch irgendwie bei Sinnen ist, jetzt laut und herzhaft losprusten. Doch das Lachen bleibt einem (oder einer? Ich bin schon ganz verwirrt) im Zuge der weiteren Lektüre leider im Hals stecken.

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„Sprache schafft Bewusstsein.“ Das sagt, offen und unverblümt, der Pressesprecher von Landeshauptmann Kaiser, als er nach dem tieferen Sinn des Gendersprech-Leitfadens befragt wurde. Und zwischen all den skurrilen Formulierungsregeln verstecken sich denn auch einige Vorschriften, die deutlich zeigen, welches Bewusstsein da neu geschaffen werden soll.

• Der Partner ist abgeschafft und heißt nur noch Gegenüber.
• Die Mutter ist abgeschafft und heißt nur noch Elternteil.
• Die Mütterberatung heißt nur noch Elternberatung.
• Die Muttersprache heißt künftig Erstsprache.
• Und das Vaterland heißt künftig Erstland.

Über diese Sprache, zu deren Gebrauch die Staatsdiener in Kärnten verpflichtet werden sollen, wird den Bürgern beinhart ein Gesellschaftsbild übergeholfen, ein Politikverständnis, eine Ideologie – ob die Bürger das nun wollen oder nicht. Oder anders:

„Ist dies schon Wahnsinn, so hat es doch Methode.“ (Shakespeare, „Hamlet“)

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Wie allzu oft in diesen Fällen, gab es anfangs nur wenig Widerstand – und der Widerstand, den es gab, war dann meist auch noch eher wachsweich. Immerhin, die stramm bürgerliche Kärntner FPÖ spricht von „Genderwahnsinn“, und die ebenfalls oppositionelle Partei „Team Kärnten“ nennt den Leitfaden „einen Fall für die Mülltonne“.

Die ihrem Selbstverständnis nach eigentlich konservative ÖVP – örtliche Schwesterpartei der deutschen CDU – hat sich dagegen für etwas entschieden, was die Menschen im Heimatland des Kaiserschmarrns durchaus selbstironisch als „österreichische Lösung“ bezeichnen. Und die geht so:

Wegen der Besonderheiten des Kärntner Wahlrechts stellt die ÖVP einen Landesrat (Landesminister). Der Mann heißt Martin Gruber, und er attackiert den Leitfaden einerseits wörtlich als „Konvolut voller haarsträubender Unsinnigkeiten“ und als „ideologische Bevormundung der Mitarbeiter“. Allerdings: Die Zusammenarbeit mit den SPÖ-Kollegen wollte er offenbar nun auch wieder nicht unziemlich belasten. Und als in der Landesregierung über den umstrittenen Leitfaden abgestimmt wurde, hob Herr Gruber nicht etwa – wie man es angesichts seiner harschen verbalen Kritik an dem Papier vielleicht hätte erwarten können – seine Hand dagegen.

Stattdessen ging er auf die Herrentoilette. Dann, als die Abstimmung gelaufen war, kam er wieder und kritisierte fortan das Ergebnis. Definiere „Kriegsheld“ bzw. „Schlüsselperson im Krieg“.

Allerdings waren die Reaktionen auf den Leitfaden in praktisch allen österreichischen Medien (selbst im ansonsten stramm woken Zwangsgebührensender ORF) zuletzt derart desaströs, dass auch den sozialdemokratischen Personen in der Kärntner Landesregierung offenbar zunehmend mulmig wurde. Landeshauptmann Kaiser zog die Sprachvorschriften deshalb schließlich zurück – offiziell, selbstverständlich, nur „zur Überarbeitung“. Inhaltlich distanzieren von dem Machwerk will er sich auch weiterhin nicht.

„Feigling“ wäre im Gender-Neusprech als Wort absehbar tabu. Im neuen Leitfaden würde so jemand wohl „eine sich wegduckende Person“ heißen.

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