Tichys Einblick
Doppelzüngig

„Je suis Charlie“ und die Pressefreiheit heute

Gestern begann in Paris der größte Prozess im Rahmen der Serie islamistischer Attentate und Anschläge. Was dabei untergeht: Um die Pressefreiheit ist es aktuell nicht gut bestellt.

Richard Malka, Anwalt der satirischen Zeitung Charlie Hebdo, trifft am Gerichtssaal ein

imago images / Hans Lucas

Am Morgen des 7. Januar 2015 dringen zwei vermummte Islamisten in die Satire-Zeitschrift „Charlie Hebdo“ ein und schießen wild auf die gerade tagende Redaktionskonferenz ein. Zwölf Menschen, unter ihnen einige der bekanntesten Karikaturisten Frankreichs, sterben im Kugelhagel. Anschließend machen die Islamisten Jagd auf Juden in einem koscheren Supermarkt. Wieder Tote. Beim Einsatz der Sicherheitskräfte kommen sie selbst ums Leben. Heute, fünfeinhalb Jahre nach dem Massaker, beginnt der Prozess gegen 14 mutmaßliche Komplizen und Hintermänner der Terroristen. Es ist der größte Prozess im Rahmen der Serie islamistischer Attentate und Anschläge, die in der Folge weitere fast 250 Menschen in den Tod rissen.

Keine Massenproteste nach Charlie-Hebdo-Attentat

Nizza und Bataclan sind ebenso unvergessen wie Charlie Hebdo. Aber der Angriff auf die Satirezeitschrift führte anders als die Massaker auf der Promenade des Anglais und im Theater mitten in Paris nicht zu Massenprotesten mit Beteiligung Dutzender amtierender und ehemaliger Staatschefs. Es ging um die Pressefreiheit. Genauer, um die Freiheit, Religion zu verunglimpfen. Da waren alle dabei. Voltaire war und ist auch heute in aller Munde. Dass das alte Lästermaul auf dem Totenbett vermutlich zum katholischen Glauben konvertierte, sagte keiner. Alle waren Charlie.

Bei dem Prozess, der heute beginnt und bis November dauern soll, wird es um Gewalt gehen, um Mord. Um die Pressefreiheit heute aber ist es nicht gut bestellt. In vielen Ländern ist sie geknebelt und selbst in Deutschland und Frankreich sitzt bei den meisten Journalisten die Schere im Kopf, die politische Korrektheit schreit: Je suis Charlie, aber etwas anderes darf man nicht sein. Zum Beispiel Charles Martell, der die islamistischen Horden bei Tours und Poitiers zurückschlug. Oder eine vom Mainstream abweichende Meinung über „Ehe für alle“ darf man auch nicht haben. Vielleicht aber gibt der Prozess über die Empörung von damals hinaus Gelegenheit, auch den Zustand der Pressefreiheit heute in den Blick zu nehmen.


Dieser Beitrag von Jürgen Liminski erschien zuerst in Die Tagespost. Katholische Wochenzeitung für Politik, Gesellschaft und Kultur. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung zur Übernahme.

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