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Der gefallene Star

Jacinda Ardern wirft als Ministerpräsidentin Neuseelands überraschend hin

Weiblich, jung und links. Jacinda Ardern (Labour) war genau nach dem Geschmack der woken Bewegung. Nun tritt die neuseeländische Premierministerin zurück – ausgepowert mit 42 Jahren.

Jacinda Ardern, 18.11.2022

IMAGO / AAP

Der Rücktritt Jacinda Arderns hat die deutsche Medienlandschaft überrascht. Als sie vor fünf Jahren Premierministerin in Neuseeland wurde, war sie die jüngste Regierungschefin weltweit. Ein Traum der woken Bewegung: weiblich, jung und links. Doch jetzt sagt sie, sie gebe das Amt als Labour-Vorsitzende und auch als Ministerpräsident ab. Ihr Tank sei leer, sie wolle sich jetzt dem Privatleben widmen. Die Nachrufe linker Medien in Deutschland feiern nun diesen Star – tun sich aber schwer damit, den Umstand zu erklären, warum die 42-Jährige so abrupt hinwirft.

So wie Ardern als glühender Stern galt, so galt ihr Land Neuseeland als Paradies. Die Konsumausgaben machen einen überdurchschnittlich hohen Anteil am Bruttoinlandsprodukt aus. In der Gesundheits- oder der Klimaschutzpolitik inszenierte Ardern Neuseeland als Vorreiter: Das Land verbietet schrittweise den Menschen das Rauchen und erhebt Steuern auf die Rülpser von Kühen – wegen dem damit verbundenen Ausstoß von Kohlendioxid.

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Doch in diesem Paradies gibt es Ärger. Wirtschaftlicher Natur. Obwohl Neuseeland in mehreren Schritten die Leitzinsen auf über 4 Prozent erhöhte, bekommt es die Inflation nicht in den Griff. Fachleute rechnen mit weiteren Erhöhungen. Auch im Wohnungsbau kommt Neuseeland nicht hinterher. Junge Menschen sind zudem oft arm und beklagen die fehlenden Möglichkeiten, sich aus dieser Armut zu befreien – das Land steht vor der Gefahr, diese Menschen zu verlieren.

Bisher kaufte sich Neuseeland seine gut fünf Millionen Bürger buchstäblich. Die hohen Konsumausgaben ermöglichten ein schönes Leben. Eigentlich geht es doch allen gut, war die Botschaft, mit der die Regierung Ardern auch unpopuläre Maßnahmen verkaufen konnte. Maßnahmen, die in die Freiheit der Bürger schnitten. Nicht nur, aber besonders während der Pandemie.

Neuseeland versuchte die No-Covid-Politik. Der Inselstaat nutzte seine geographische Lage und schottete sich konsequent von der Außenwelt ab. Zudem gab es einen harten Lockdown, indem die Menschen ihre Wohnung nur für wichtige Erledigungen wie Einkäufe verlassen durften. Und dann auch nur jeweils eine Person pro Haushalt. Der Ausstieg aus der No-Covid-Politik erwies sich als schwer, weil Neuseeland mit jeder Lockerung die Infektionen nachholte, die es zuvor vermieden hatte.

Ardern will sich jetzt verstärkt ins Privatleben zurückziehen. Sich mehr um ihre vier Jahre alte Tochter kümmern, ihren Lebensgefährten Clarke Gayford heiraten. Doch ihre Entdeckung des Privatlebens fällt mit einer Politik zusammen, die gescheitert ist. Mit der steigenden Inflation fallen die Konsumausgaben. Rund zwei Drittel der neuseeländischen Haushalte leben in einem Eigenheim. Infolge eines langen Immobilienbooms sind viele davon mit sehr hohen Hypotheken belastet, die durch die steigenden Zinsen teurer werden. Das Leben in Neuseeland wird schwieriger für große Teile der Schichten, die bisher von Arderns Politik profitiert haben.

Die zwei Jahre dauernde Abschottung während der Pandemie hat der für Neuseeland wichtigen Tourismusbranche einen entsprechenden Einbruch gebracht. Der Staat versucht das mit Investitionen und Entschädigungen auszugleichen – läuft aber damit Gefahr, die Entschuldung zu gefährden, die Ardern versucht hat. Das Nervenkostüm der jungen Politikerin war in jüngster Zeit entsprechend gespannt. Öffentlich rutschte ihr etwa eine Beleidigung eines Oppositionspolitikers raus. Nun wird sie bald das Amt ihrem Nachfolger als Vorsitzendem der Labour-Party übergeben. Im Oktober sollen die Neuseeländer dann neu wählen. Für die Tagesschau war Ardern „eine sensible Krisenmanagerin“. Vielleicht zu sensibel für die anstehenden Krisen.

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