Tichys Einblick
"#RIPJKRowling"

J.K. Rowling unter den Rädern der Genderkämpfer

Ursprünglich ging es nur um den absurden Karneval eines Bankmanagers. Inzwischen hat sich die Debatte über Transgender-Identitäten in Großbritannien ausgeweitet. Mit ihrem neuen Kriminalroman sticht J.K. Rowling einmal mehr ins Herz der Debatte und erlebt gerade einen Twitter-Feldzug ihrer Gegner.

imago images / Pacific Press Agency

Auch Joanne K. Rowling wollte ihren Lesern (und Ex-Lesern) einmal etwas von sich mitteilen: »Die Potter-Bücher sind ein ausgebreitetes Argument für Toleranz, für ein Ende der Bigotterie. Und ich denke, das ist einer der Gründe, aus dem manche Menschen die Bücher nicht mögen, aber ich glaube, das ist eine sehr heilsame Botschaft an junge Leute, dass man Autoritäten in Frage stellen und nicht annehmen sollte, dass das Establishment oder die Presse einem die ganze Wahrheit sagt.«
Nun muss man wissen, dass »bigotry« im Englischen gewöhnlich der Gegenbegriff zum sozialliberalen Fortschrittsgedanken ist. Rowling setzt hier also zusammen mit dem Wort »tolerance« zwei deutliche Marker für ihre linksliberale Gesinnung. Mit »bigotry« verbindet man dabei meist die Engstirnigkeit vergangener Zeiten, vergleichbar dem in Deutschland berühmten (angeblichen) »Mief« der fünfziger Jahre. Aber wenn man es recht bedenkt, dann könnte sich Rowling mit ihren Worten auch gegen eine neue Bigotterie gewendet haben, gegen einen neuen Fanatismus, der heute gerade die Jüngeren ergriffen hat.

Unter dem Hashtag #RIPJKRowling erklären derzeit nämlich genau diese Millennial-Twitterati, dass die Karriere von J. K. Rowling beendet ist. Angehörige der Blase behaupten, es wäre nicht schlimm, eine noch immer sehr lebendige Frau mit dem Wunsch »Rest in Peace« zu bedenken. Das sei ohnedies ja nur ein Ausdruck »milder Trauer«. Trotzdem fragten sich viele Twitter-Nutzer spontan, ob Rowling gestorben war. Sogar die Seite selbst sah sich bemüßigt, den Trend zu erklären: Rowling sei nicht tot, nur wegen ihres neuen Buches wünsche man ihr den Tod an den Hals – oder irgendwie so. Vorgeworfen wird Rowling einmal mehr Transphobie – eine Behauptung, die seit dem vergangenen Jahr wie Pech an der Autorin klebt. Doch Rowling spielt dieses Social- Media-Spiel durchaus mit und hat ihre Gründe dafür.

»Dress however you please« – aber was ist schon nicht anstößig?

Es ist allerdings nicht das erste Mal, dass man die Rekord-Bestseller-Autorin totsagt. Schon im Dezember war man zumindest kurz davor gewesen, als Rowling sich in einem eigenen Tweet demonstrativ vor die Steuerfachfrau Maya Forstater stellte. Forstater hatte sich, nach längerem Nachdenken, gegen die Gender-Politik des Entwicklungshilfe-Thinktanks gestellt, für den sie damals arbeitete, und in verschiedenen Tweets darauf beharrt, dass »Frau« ein biologischer Begriff ist, der nicht mit Gender-Begriffen vermengt werden sollte.

Konkret ging es um den Fall eines männlichen Transvestiten (Crossdresser) und Angestellten der Crédit Suisse, Philip »Pips« Bunce, der sich als gender-fluid bezeichnet und am Ende in der Liste der »Top 100 Women in Business« der Financial Times auftauchte. Bunce strebt offenbar keine Geschlechtsumwandlung an. Nach Forstater fordert er die Gender-Normen im Grunde nur heraus, inszeniert sozusagen einen permanenten »Karneval der Geschlechtsidentitäten« (etwa im Sinne des poststrukturalistischen Klassikers »Karneval des Denkens«). Forstater war der Auffassung, Bunce hätte die Auszeichnung mit Verweis auf sein natürliches Geschlecht ablehnen müssen. Sie bezeichnet ihn als »Teilzeit-Crossdresser, der sich meistens Philip nennen lässt«.

Ihre Vorgesetzten machten Forstater schrittweise klar, dass sie sich zu dem Thema besser nicht mehr äußern solle, wenn sie nicht wollte, dass ihre Karriere daran zerbrach. Forstater machte weiter und verlor ihren Job. Sie zog vor Gericht und – verlor. Obwohl ein britisches Gesetz von 2010 den freien Ausdruck religiöser und philosophischer Ansichten ausdrücklich schützt, bewertete das Gericht die Freiheit von Transgender-Personen, ihr Geschlecht frei zu bestimmen, höher als Forstaters Recht, eine wohlbegründete Auffassung dazu zu haben. Sie müsse ja nicht ausgerechnet von einem »Mann« sprechen, wenn sie über Philip »Pips« Bunce redete. Person täte es ja auch. Die Frage ist wohl nur, wieviele Menschen am Ende in diese steril-neutralisierte »Personenwelt« mitkommen werden.

Kurzum, das Gericht war offenbar von Wellen der Wokeness erfasst worden, als es schrieb: »… Menschen können keinen Schutz erwarten, wenn ihre grundlegende Auffassung die Verletzung der Würde anderer umfasst und ein feindseliges, abwertendes, erniedrigendes oder anstößiges Umfeld für sie schafft.« Diese Auffassung Forstaters sei in einer »demokratischen Gesellschaft« keines Respekts würdig. Vor allem das Wort »anstößig« (offensive) ist zusammen mit dem Wörtchen »oder« gemein. So bleibt eigentlich kein Raum mehr für irgendeine freie Meinungsäußerung, da jede einzelne immer bei irgendjemandem als anstößig gelten wird. Und natürlich erinnert all das an Jordan Peterson im Clinch mit dem kanadischen C-16-Gesetz. Peterson kam allerdings mit Verwarnungen seiner Universität davon.

Rowling liegt etwas an der Debatte

Das war aber nur der erste Akt der Causa »Rowling gegen Twitter«. Der Hashtag #IStandWithMaya musste bald schon Platz machen für seinen Zwilling #IStandWithJKR. Da Rowling sich mit Forstater solidarisierte, erhielt sie auch deren Beutestatus. Einige öffentliche Schlachten später kritisierte Rowling einen Internetbeitrag des Entwicklungshilfeunternehmens Devex, in dem statt von Frauen nur von »Menschen, die menstruieren« die Rede war. Natürlich erntete sie einen Twitter-Sturm.

Anscheinend erlebte auch Rowling irgendwann eine Art Erweckungserlebnis, das in spiegelbildlicher Weise dem ›Erwachtsein‹ der sie verfolgenden Woke-Apostel ähnelt. Denn anfangs ging es ihr und Maya Forstater nur darum, dass ein heterosexueller Mann durch sein Transvestitentum auf gefährliche Weise Zugang zu Orten erlangen könnte, die sonst für Frauen reserviert sind. Doch indem sich die Diskussion sich fortsetzte, erwies sich auch Rowlings – schon beinahe konservativ zu nennende – Skepsis gegenüber Hormontherapien und Geschlechtsumwandlungen, vor allem denen, die in jungem Alter vorgenommen werden.

Der Fall »Phips« könnte auch die Inspiration zu ihrem neuen Roman gewesen sein. »Troubled Blood« ist die neueste Fortschreibung einer Reihe von Detektivgeschichten und greift in seiner Handlung teilweise auf das Jahr 1974 zurück, als man von Gender-Dysphorie noch recht wenig wusste. Der Roman handelt von einem Serienmörder, der in Frauenkleider schlüpft, um seine weiblichen Opfer zu töten – anscheinend in Räumen, die Frauen vorbehalten sind. Und natürlich ist das äußerst schlimm, dass die Devianz hier wiederum mit der Kriminalität in Verbindung gebracht wird. Aber halt, geht es überhaupt um Transgender in dem Roman? Nüchterne Beobachter können das nicht erkennen. Und so müssen die Genderkrieger behaupten, ein als Frau verkleideter Mann sehe eben genauso aus wie eine Trans-Frau. Solche Feststellungen sind entlarvend und zeugen eher von Fremd- als von Vertrautheit mit dem Thema.

Andererseits hat Rowlings Plot einen eindeutigen Bezug zu den Ursprüngen der Debatte um sie und Maya Forstater. Die Genderkrieger fühlen sich also zurecht herausgefordert, sie sind sich nur ihrer Sache nicht sicher genug, um charaktervoll zu reagieren. Rowling hat wohl absichtlich etwas mit dem Feuer gespielt. Ihr liegt etwas an dieser Debatte. Wahrscheinlich wollte sie ihre Gegner sogar auf den Plan rufen und provozieren. Man könnte natürlich sagen, das nützt auch dem Verkauf des Buchs.

»Ding dong, die Karriere der bösen Hexe ist tot«

Jedenfalls reagierte die »woke brigade« (Piers Morgan) mit der schrecklichsten, von Rowling offenbar im Detail vorausgesehenen Akkuratesse. Aufmerksamen Beobachtern war bald klar, dass dieses Vorgehen nicht mehr ernst zu nehmen ist: Die Woke-Jünger rufen zu Mitgefühl und Verständnis für Transgender-Menschen auf, doch eine Frau, die ihren alternativlosen Forderungen widerspricht, erklären sie umstandslos für gestorben. Es sind oft im Wortsinn die Millennial-Ex- Leser Rowlings, die sich ihrer Lesefreuden im Nachhinein zu schämen scheinen.

Dass aber viele der Brigadiers den Hashtag wörtlich nahmen, zeigt die Menge der Tweets, in denen Rowlings Tod in lebhaften Farben ausgemalt wird. Etwas so Verfeinertes wie Ironie ist von diesem Menschenschlag ohnehin nicht zu erwarten, und so scheinen die Botschaften durchaus ernst gemeint zu sein. Da heißt es unter anderem:

  • »Wenn JK Rowling wirklich stirbt, dann wird sie verrückt geworden sein, in einer Welt, die Trans-Menschen viel mehr akzeptiert, als sie es tut.«
  • »Sie ist nicht tot, aber mit jedem transphobischen Kommentar, den sie gibt, stirbt ihre Karriere ein Stück mehr.«
  • »Ich kann es nicht erwarten, dass JK Rowling stirbt, Britannien braucht mehr genderneutrale Toiletten.«
  • »Ding dong, Die Karriere der bösen Hexe ist tot. Eine Schande, dass sie nicht vor 15 Jahren gestorben ist.«

Das erinnert natürlich an die Freudentänze bei Margaret Thatchers Tod, deren Bild auch gelegentlich auftauchte. Andere gehen noch weiter und sprechen von der berühmten Autorin schlicht als einem »ekelerregenden Stück Müll« oder posten einfach das Bild einer Ratte, die ebenfalls Rowling darstellen soll. Man unternimmt keine Mühen mehr, seinen Hass zu verbergen. Immer wieder begegnet die Formulierung, Rowling habe ja selbst allen Transgender-Personen den Tod an den Hals gewünscht, als sie ihre Meinung ausdrückte, dass »das biologische Geschlecht real ist«. Das ist ein logischer Sprung, der schon verräterisch ist. Das Bestreiten einer ideologischen Hypothese wird zum Tod-an-den-Hals-Wünschen umgedeutet. Die eigene Existenz scheint auf die pure Ideologie zusammengeschrumpft.

Fehlbare Willensakte

Ironisch ist, dass die sozialliberalen Feministinnen sich einst als Verbündete der fluiden Gender- Identitäten ansahen. Doch die radikalen Transgender-Ideologen wollen die Kategorie des natürlichen Geschlechts ganz streichen oder sie der Gender-Ideologie unterstellen. Ob einer ein Mann oder eine Frau ist, soll nicht mehr das Chromosom X oder Y entscheiden, sondern allein das Gefühl oder der Wunsch eines jeden. Und da machen die Frauenbewegten verständlicherweise nicht mehr mit.

Hier zeigt sich auch, wie gefährlich diese Ideologie ist. Denn die menschlichen Empfindungs- und Willensakte sind natürlich fehlbar und können im Zweifel wie eine Fahne im Wind wehen. So kann Emanzipation zur Hybris werden und in Selbstverletzung enden. Rowling kritisiert mit deutlichen Worten, wie Jugendliche durch das Trans-Thema zu Hormongaben gedrängt und in chirurgische Eingriffe geradezu hineingetrieben werden. Das ist natürlich besonders gefährlich bei Minderjährigen, für die dieses Recht dennoch immer wieder eingefordert wird.

Warum kämpft Rowling diesen Kampf? Sie selbst sagt, dass sie wusste, was auf sie zukam. In der Erklärung zu ihren Gründen spricht sie vom Einsatz für die Rechte von Frauen und für die weitere Erforschung von Multipler Sklerose, einer Krankheit, an der ihre Mutter starb und die sich bei Männern und Frauen sehr verschieden auswirkt. Wenn aber die Definition der beiden Geschlechter offiziell einer Unterscheidung verschiedenster Gender-Identitäten Platz machen sollte, dann befürchtet Rowling, dass letztlich auch die Erforschung solcher Fragen leiden wird.

Daneben geht es ihr um die Entwicklung von Jugendlichen, die in immer stärkerem Maße von der Transgender-Ideologie beeinflusst werden. Man liest von einer explodierenden Anzahl junger Frauen, die eine Geschlechtsumwandlung wünschen. Viele sollen zuvor entdeckt haben, dass sie homosexuell sind, und versuchen mit der Umwandlung eventuell gesellschaftlichen Normen zu entsprechen. Doch Hormongaben in jungem Alter haben nicht nur Auswirkungen auf den Körperbau, sondern auch auf die psychische Entwicklung, und so wollen viele letzten Endes zurück zu ihrem ursprünglichen Geschlecht. Tatsächlich glaubt Rowling, dass das aktuelle »Klima der Angst«, das sich in Großbritannien um das Thema Transgender breitzumachen scheint, niemandem nützt – am wenigsten Personen, die meinen, von dem Thema betroffen zu sein.

In einem Photo-Projekt der Britin Laura Dodsworth sagt die 21-jährige Ellie, eine der gezeigten »detransitioners«, also eine Frau, die zwischendurch ein Mann war und nun zu ihrer Weiblichkeit zurückkehren will: »Ich möchte daran arbeiten, meinen Körper genauso so anzunehmen, wie er jetzt ist. Das hätte man von Anfang an ermutigen sollen.« Natürlich ist es nach einem körperlichen Eingriff vorbei mit der Fruchtbarkeit. Auch in deutschen Medien (Die Welt, 3. Juni 2019) machte die unfrohe Kunde von der Gefahr der Umwandlungen schon die Runde.

Die neue Intoleranz: Eure Liebe sei unser Hass

Bei all dem scheint gewissermaßen evident, dass die Neigung zur Transgender-Identität stark mit dem sozialen Umfeld zusammenhängt – jedenfalls da, wo sie zur Mode geworden ist. In Großbritannien gab es in den letzten Jahren einen deutlichen Anstieg der Transgender- Selbstidentifizierungen bei jungen Frauen. In den USA beschrieb die Ärztin Lisa Littman einen Konversionstrend, bei dem ganze Freundeskreise zur gleichen Zeit begannen, an Gender-Dysphorie zu leiden. Die Ursache wird neben dem Gruppendruck in einer Agitation um das Themas in den Medien gesehen. Instagram und Youtube bilden demnach die Echokammern dieses Trends. Den neuesten Abdruck kann man wohl in der so überaus hasserfüllten Twitter-Diskussion sehen.

In Vancouver wurde ein Plakat mit der Aussage »I love JK Rowling« aufgestellt. Trans-Aktivisten begannen umgehend, das Plakat zu vandalisieren und sprachen Drohungen gegen die Organisatoren aus. Ein Stadtrat nannte die Botschaft des Plakats »auf hinterlistige Art hasserfüllt«. In London wurde ein ähnliches Plakat aus der U-Bahnstation Waverley entfernt, obwohl sich – laut Times – niemand darüber beschwert hatte.

Anzeige