Tichys Einblick
Welche Rolle spielt Präsident Erdoğan?

Hatz auf christliche Symbole: Türkische Polizisten schikanieren Borussen-Fans

Borussia Mönchengladbach hat in der Europa League einen Punkt bei Istanbul Başakşehir geholt. Doch das ist heute Nebensache. Denn die Borussen-Anhänger wurden übel drangsaliert. Im Fokus standen Christensymbole.

Orhan Akkanat/Anadolu Agency via Getty Images

Die Hatz auf christliche Symbole, die von der „Welt“ sehr zurückhaltend damit umschrieben wurde, dass es ein „unwürdiges Ambiente“ gegeben habe, wurde von türkischen Polizisten im Vorfeld eines Europapokalspiels in Istanbul veranstaltet.

Die bisher im internationalen Fußball kaum für möglich gehaltenen anti-christlichen Attacken bekommen dadurch noch erhöhte Bedeutung, dass der betroffene Club Istanbul Başakşehir der Lieblings-Fußballverein des muslimischen türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan ist. Türkei-Beobachter mutmaßen, die Polizei von Istanbul hätte die massiven Angriffe auf christliche Symbole kaum gewagt, wenn sie nicht sicher gewesen wäre, dass die Schikanen ganz im Sinne des muslimischen Türken-Herrschers sind.

Erdogans Verein, der sich wegen seines Hauptsponsors offiziell „Medipol Başakşehir Futbol Kulübü“ nennt, ist unter vielen türkischen Fußballfans nicht sonderlich beliebt: Gerade mal rund 3.500 Türken hatten sich in der Arena versammelt, um das 1:1 von Istanbul Başakşehir gegen Borussia Mönchengladbach in der Europa League zu sehen.

Von deutscher Seite waren immerhin etwa 1.500 begeisterte Borussia-Anhänger ihrem Team bis in die Türkei gefolgt, um ihre Mannschaft zu unterstützen. Doch vor dem Spiel wurden viele deutschen Fußballfans von der türkischen Polizei dann freilich in einer Weise schikaniert, die ihres Gleichen sucht:

  • Erst ist den Gladbach-Fans strikt verboten worden, individuell zum Stadion anzureisen. Stattdessen zwangen türkische Polizisten die Borussen, in übervolle Busse zu steigen.
  • Zwei Gladbach-Anhänger sind von der Polizei in Gewahrsam genommen, ihnen wurde willkürlich vorgeworfen, Polizisten geschlagen zu haben. Erst nach der Auswertung eines Videos, das ihre Unschuld beweist, wurden die Deutschen auf freien Fuß gesetzt.
  • Sportbegeisterten aus Mönchengladbach, die „Ultra-Utensilien“ („Bild-Zeitung“) trugen, wurde der Eintritt in das Stadion verwehrt.
  • VIP-Zuschauer, die ein Borussia-Trikot übergestreift hatten, durften den VIP-Bereich nicht betreten.
  • Doch am Schlimmsten: „Beim Einlass ins Stadion nahm die Polizei den Fans alle Fahnen ab, die das Gladbacher Stadtwappen trugen“ („Bild“). Der Grund: Auf den beschlagnahmten Fahnen sind ein christliches Kreuz zu sehen und der christliche Schutzheilige der Stadt, der heilige St. Vitus.
Deutsche Fans sprechen von unfassbaren Szenen

Simon B. – er ist „Fanhilfe-Vertreter“ bei Borussia – hat der „Bild-Zeitung“ schier unfassbare Szenen geschildert: „Die Polizisten hatten das größte Problem mit St. Vitus.“ In gebrochenem Englisch hätten sie geschrien: „This is Christian!“. Zwar sei den Deutschen ein türkischer Ordner zur Hilfe geeilt, der den Polizisten die Bedeutung des Stadt-Patrons erklärte. Aber Simon B. sagte: „Den Polizisten war das völlig egal.“

Die deutschen Fans und Vereinsmitglieder, die zu Hause als Ordner arbeiten, erklärten, bei den Polizei-Aktionen habe es sich um reine Willkür-Akte gehandelt. Die Polizisten hätten „sich extrem kalt und arrogant verhalten“ („Bild“).

Gladbachs Sportmanager Max Eberl hat dazu unmissverständlich Stellung bezogen: „Ich bin schockiert, wir werden uns bei der Uefa beschweren.“ Dass so was in Europa möglich ist, sei „unfassbar“. Eberl spricht von „Polizei-Diktatur“.

Weiter sagte der Manager, es mache ihn „extrem traurig, dass wir 2019 in Europa solche Zustände haben, dass die Polizei diktieren kann, welche Fahnen mit ins Stadion kommen“. Er verurteile es, „wenn unsere Fans nicht ins Stadion dürfen, weil in unserem Stadtemblem christliche Symbole zu sehen sind“.

Mit einem Europapokal habe das alles nichts zu tun: „Unsere Fans bereichern diesen Totentanz hier, dass zumindest etwas Stimmung aufkommt und werden dann von Anfang an drangsaliert.“ Für ihn sind das „bizarre und groteske Bilder und Szenen, die man heutzutage in Europa nicht mehr erwartet“.

Der Sportmanager kündigte an, dass sich der Klub bei der Uefa offiziell beschweren werde. Der Europäische Fußballverband hat bisher allerdings nur verlautbaren lassen, er warte noch auf die offiziellen Spielberichte. Dann werde entschieden, ob ein Disziplinarverfahren eingeleitet wird.

Wenige Politiker üben scharfe Kritik, andere äußern sich windelweich – oder gar nicht

Kritisch hat sich ebenfalls Alexander Graf Lambsdorff (FDP) zu Wort gemeldet, als er unterwegs war zu einer politischen Konferenz in der Türkei: „Das ist ein weiteres Anzeichen dafür, wie schwer es Christen in der Türkei haben.“ Es könne „nicht sein, dass wir in Deutschland Moscheen bauen, aber deutsche Fans in der Türkei ihre Flaggen abgeben müssen“. Lambsdorff verweist darauf, dass auf der türkischen Fahne der islamische Halbmond verankert ist und fragt: „Sollen wir die etwa bei uns verbieten?“

Auch Grünen-Politiker Cem Özdemir äußerte sich unmissverständlich. „Der Skandal von Başakşehir“ müsse „ein Nachspiel haben“. „Der Erdogan-Retortenverein Başakşehir hat mit Fußball ungefähr so viel zu tun wie die AKP mit Demokratie, nämlich nichts.“

Özdemir, ein erklärter Gegner Erdogans, fordert eine klare Reaktion des europäischen Fußballverbandes. Die Uefa müsse den „Plastik-Fußballverein ohne Fans und Ankara zur Rechenschaft ziehen für die Schikanen“. Statt „sich mit dem Kreuz in der Fahne Mönchengladbachs zu beschäftigen“, solle die türkische Regierung „besser dafür sorgen, dass die letzten in der Türkei verbliebenen Christen nicht auch noch auswandern müssen aus ihrer einstigen Wiege“.

Ob die UEFA, die „Union of European Football Associations“, das Verhalten der Polizei und der Vereinsführung klar sanktionieren wird, steht in den Sternen. Bisher hat der Verband als Europapokalausrichter „stets Toleranz gepredigt“, schreibt dazu der Berliner „Tagesspiegel“. Offenbar erwarten Sportjournalisten keine allzu scharfen UEFA-Sanktionen.

Dass auch die Fußballer verstört sind, hat der Borussen-Nationalspieler Christoph Kramer öffentlich ungewöhnlich deutlich formuliert. Zu den Diskriminierungen in Ankara sagte er: „Im Zeitalter von Toleranz passt das einfach nicht.“

Auf eine klare Positionierung der Bundesregierung wartet die Öffentlichkeit bisher vergeblich. Dagmar Freitag (SPD), Vorsitzende des Sportausschusses des Deutschen Bundestags, äußerte sich schon mal eher zurückhaltend.

Es sei „völlig inakzeptabel, wenn friedliche Fußballfans, die sich, soweit ich weiß, nichts haben zuschulden kommen lassen, willkürlich drangsaliert werden“. Das habe „mit Toleranz und auch Sportgeist nichts mehr zu tun“. Sie sei „gespannt, wie die UEFA darauf reagiert“. Eine scharfe Kritik aus dem Regierungslager hört sich anders an.

Anzeige