Tichys Einblick
Erdogan zielt auf Jerusalem

Hagia Sophia: Das neue Denkmal des politischen Islams

Dem türkischen Präsidenten Erdogan geht es mit der Umwidmung der Hagia Sophia zur Moschee nicht allein um eine Selbstinszenierung. Dahinter steht eine öffentliche Symbolpolitik, die mit einer weltweiten Botschaft den politischen Islam stärkt.

imago Images/Future Image

Immer wieder wurden in der Geschichte Denkmäler umfunktioniert. Man denke bloß an die unzähligen Obelisken in der Geschichte, die als Spolien an öffentlichen Plätzen eine neue Nutzung aufgedrängt bekamen, um den Sieg und die eigene Macht zu symbolisieren. Eine Spolie hatte gleichzeitig die Funktion, dem Volk zu propagieren, dass sie Teil dieses Sieges und dieser Macht seien.

Die Hagia Sophia könnte man als eine Spolie des 21. Jahrhunderts bezeichnen, ohne dass sie ihren Standort dafür wechseln muss. Denn sie wird in diesem Zeitalter zu einem neuen Denkmal inszeniert. Das höchste Verwaltungsgericht der Türkei (Danistay) entschied, dass die türkische Regierung den Kabinettsbeschluss von 1934, mit dem Republikgründer Atatürk die Hagia Sophia in ein Museum umgewandelt hat, mit einem neuen Dekret rückgängig machen kann. Das historische Denkmal des byzantinischen Reiches und seiner Kultur, das größte Denkmal der christlichen Geschichte, das Symbol für orthodoxen Christen weltweit: soll in eine Moschee umfunktioniert werden.

Umwandlung zur Moschee: Ein Akt des politischen Islam

Kritiker sehen diesen Akt als nationalistische Selbstinszenierung oder als Ablenkungsmanöver Erdogans. Doch es ist viel mehr als dies. Der derzeitige türkische Präsident vertritt eine fundamentalistische Religiosität. Er versucht von Beginn seiner politischen Karriere an, einen nationalistischen politischen Islam in der Türkei zu etablieren, mit dem Ziel eines islamischen Staates. Erdogan geht es nicht allein um eine Selbstinszenierung, die eindeutig seiner Ideologie folgt, sondern um eine öffentliche islamische Symbolpolitik, die mit einer weltweiten Botschaft den politischen Islam stärkt. Einerseits inszeniert er sich durch eine Art islamische Rückeroberung der Hagia Sophia als „Eroberer“ im Sinne eines Nachfolgers von Sultan Mehmet II., der mit der Eroberung von Konstantinopel die Hagia Sophia 1453 zur Moschee machte – damit auch zu einem islamischen Siegesdenkmal.

Sultan Mehmet II. hatte die Vision, ein islamischer Weltherrscher zu werden. Erdogan hat die Vision eines islamischen Staates für die Türkei und eines allgemeinen politischen Erstarkens des Islams. Er strebt nicht an ein islamischer Weltherrscher zu werden, doch Erdogan sieht sich als einen Führer der Muslime in aller Welt an.

Es bleibt somit nicht bei einer Selbstinszenierung oder einer Machtdemonstration. Das Handeln bezüglich der Hagia Sophia ist in toto ein Akt des politischen Islams. Das vorherige, starke Symbol für Christen muss der Logik des politischen Islams folgend umfunktioniert werden: Das Symbol darf nicht den Christen überlassen werden; sondern das Christentum ist die Religion, die sich dem Islam unterordnen muss. Gesichtsteile von Mosaiken und Fresken sollen gar in Zukunft mit Laserlicht während der Gebete abgedeckt werden, berichtete die Zeitung Hürriyet.

Der politische Islam duldet nur eine Religion und religiöse Identität. Genau diese ideologische Aggressivität ist die Botschaft, die Erdogan an die islamische Welt als ein Vorbild senden will. Am vergangenen Freitag hielt Erdogan eine Rede zum Umbau zur Moschee und sagte laut i24NEWS: „Die Auferstehung der Hagia Sophia folgt dem ausdrücklichen Willen der Muslime auf der ganzen Welt. Die Auferstehung der Hagia Sophia entzündet das Feuer der Hoffnung in den muslimischen Herzen und den Herzen aller Unterdrückten, Getäuschten, Geschundenen und Ausgebeuteten.“ Hier wird deutlich, dass Erdogan für sich die Rolle als Führer der islamischen Welt beansprucht. Als dessen fiktiver Führer inszeniert er die Hagia Sophia zu einem Denkmal des Sieges des politischen Islams.

Muslime sollen sich als einen Teil dieses Sieges und dieser Macht fühlen, was auch zu funktionieren scheint. Bereits kurz nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichts versammelten sich Befürworter vor der Hagia Sophia und riefen „Allahu Akbar!“ („Gott ist Groß!). Das ist ein Moment, der offenbart wie multikulturelle und säkulare Normen durch islamische Normen erfolgreich ersetzt werden. Dasselbe passiert auch, wenn die größte, renommierteste Universität der Türkei tweetet, dass die Hagia Sophia nun ihre „ursprüngliche Identität“ zurück erlange.

Doch das ideologische Ziel einer islamischen Hegemonie ist nicht nur gegen Christen gerichtet, sondern auch gegen Juden, also vor allem gegen Israel. In seiner Rede verband Erdogan die Umwandlung in eine Moschee mit dem Versprechen die al-Aqsa-Moschee in Jerusalem im Rahmen eines panislamischen Erwachens „zu befreien“. Der Begriff „Auferstehung“ ist doppeldeutig gemeint: Eine Abkehr von der – zeitgenössisch gesehen – modernen, säkularen Republik Atatürks und gleichzeitig eine Stimmungsmache sowie Aufstachelung gegen Christen und Juden. Erdogan inszeniert sich dadurch als Führer, der Muslimen weltweit diese „Auferstehung“ schenkt. In regierungsnahen türkischen Zeitungen liest man einen Tag nach der Gerichtsentscheidung dieselben anti-israelischen Botschaften, dass die „Wiederauferstehung der Hagia Sophia“ der „Vorbote zur Befreiung der al-Aqsa-Moschee in Jerusalem, die Muslime verlassen die Phase des Interregnums“ sei. Die Türkei wird in jenen regierungsnahen Medien als ein Retter der „Tyrannei der Kreuzfahrer“ dargestellt.

Hagia Sophia muss für Erdogans Anti-Israel Politik herhalten

Die al-Aqsa-Moschee ist eine der wichtigsten Stätten des Islams und liegt auf dem Tempelberg in Ost-Jerusalem. Der Tempelberg, der sowohl für Juden als auch Muslime heilig ist, ist ein Konfliktort zwischen muslimischen und jüdischen Gläubigen. Es herrscht ein Status quo, indem Israelis das Gelände bewachen, Jordanien es verwaltet und die islamische Waqf Stiftung die Kontrolle sowie religiöse Verantwortung hält. Jede Seite will die Kontrolle behalten. Erdogan ist als Akteur des politischen Islams auf der Seite von Palästina und provoziert seit Jahren mit anti-israelischen Aussagen. Er meint, dass er als Präsident eines muslimisches Landes die Verantwortung habe, die al-Aqsa-Moschee zu schützen und sagte in diesem Jahr, Jerusalem sei die „türkische rote Linie“. Seit mehreren Jahren ist zu beobachten, dass Erdogan gezielt mehr Einfluss auf den Tempelberg und die Proteste nimmt, was sogar mit Unterstützung der Hamas einhergeht. Der israelische Geheimdienst ging 2017 davon aus, dass das Türkische Präsidium für Internationale Kooperation und Koordination (TIKA) – das in Ostjerusalem, im Westjordanland und im Gazastreifen tätig ist – Mitglieder der Islamischen Bewegung in seinen Büros unterbrachte und mehrere seiner Mitglieder Gelder und Informationen an die Terrorgruppe Hamas übermittelte.

Wenn Erdogan ergo mit der Symbolik der Hagia Sophia verspricht die al-Aqsa-Moschee im Rahmen eines panislamischen Erwachen „zu befreien“, meint er damit den Tempelberg von jüdischen Gläubigen „zu befreien“. Wenn es nach Erdogan geht, soll Israel von der Kontrolle ausgeschlossen werden. Es ist offensichtlich, dass er im selben Zug auf eine Art „Gesamtbefreiung“ der Palästinensern von den Israelis anspielt, weshalb regierungsnahe türkische Medien Erdogan als Retter der „Tyrannei der Kreuzfahrer“ bezeichnen. Der derzeitige türkische Präsident versucht folglich die Hagia Sophia zu einer anti-jüdischen und anti-israelischen Botschaft zu verwandeln, mit dem Ziel für eine islamische Hegemonie die Stimmung anzuheizen. Die Hagia Sophia muss als ein de facto Weltkulturerbe für Erdogans Anti-Israel Politik herhalten.

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