Tichys Einblick
Wie wird Akt 22?

Gelbwesten, Akt 21: Sinkende Teilnehmerzahl?

Nach einer Umfrage der Zeitung „Le Figaro“ schenken wenige Wochen vor der Wahl zum EU-Parlament nur 26 Prozent der Franzosen Macron ihr Vertrauen.

© Kai Horstmeier

Der Mann sitzt blutüberströmt am Boden, um ihn herum Sicherheitskräfte. Filmen dürfen wir ihn nicht, da hilft auch kein Presseausweis. Die Polizisten lassen uns nicht durch. Der Mann in den Dreißigern ist mit einem Schlagstock malträtiert worden, die Bilder könnten falsche Assoziationen wecken. Überhaupt war die Demonstration der Gelbwesten an diesem Nachmittag des 21. Aktes der Gelbwesten-Proteste in Lyon von Gewalt überschattet. Von Anfang an haben die Sicherheitskräfte versucht, die Demonstration aufzulösen und die gut 1.000 Teilnehmer mit Tränengas und Knüppeln auseinander zu treiben. Es sieht nach einem Strategiewechsel aus, offenbar soll es gar nicht erst dazu kommen, dass sich eine geschlossene Kundgebung bildet. Das ist gelungen. Der Demonstrationszug konnte sich zunächst erst gar nicht bilden, und wenn sich dann doch mehrere Grüppchen zusammengefunden hatten, ging umgehend die Polizei dazwischen, um die Demonstration wieder aufzulösen.

Die Bilder ähneln sich an jedem Wochenende: Die Sicherheitskräfte sperren sämtliche Zugänge zu den Geschäftsvierteln ab, die Gelbwesten wissen nicht so recht, wohin sie eigentlich marschieren sollen. Und so laufen sie erst einmal eine gute Stunde lang im Kreis. Bis sie von der Polizei aus dem Stadtzentrum in umliegende Viertel abgedrängt werden, wo sie keinerlei Aufmerksamkeit erhalten können.

„Dann sollen sie mich doch holen kommen“

Nach Angaben des Innenministeriums nahmen an diesem Samstag landesweit 22.300 Gelbwesten an den Protesten teil, das ist die niedrigste Zahl seit Beginn der Proteste am 17. November vergangenen Jahres. Am Samstag zuvor waren es noch 33.700. Die Gelbwesten haben inzwischen eigene Zählungen eingeführt, weil sie den Angaben des Innenministeriums nicht trauen – nach ihren Angaben gingen bei diesem 21. Akt mehr als 73.400 Demonstranten auf die Straße. Bereits zum zweiten Mal hatten sich am Freitagabend mehrere Dutzend Gelbwesten vor der Villa von Präsident Emmanuel Macron und seiner Gattin Brigitte in Touquet im Département Pas-de-Calais versammelt. Die Kundgebung wurde mit Tränengas aufgelöst, die Präsidenten-Villa wird rund um die Uhr von einer Kompanie Gendarmerie bewacht.

Macron selbst wurde seit einem Jahr nicht mehr dort gesehen. „Dann sollen sie mich doch holen kommen“, hatte der Präsident noch im vergangenen Juli gesagt. Damals gab es noch keine Gelbwesten, der Hintergrund war die Affäre um Macrons Sicherheitsberater und Leibwächter Alexandre Benalla. Der war bei Protesten am 1. Mai vergangenen Jahres äußerst brutal gegen Demonstranten vorgegangen, obwohl er als Beobachter nicht das Recht dazu hatte. Der ehemalige Élysée-Mitarbeiter Vincent Crase ließ nun durchblicken, dass Macron von Anfang an über die Vorfälle informiert war, obwohl der Präsident das seit Monaten bestreitet. Benalla habe in noch in derselben Nacht per SMS darüber in Kenntnis gesetzt, dass Macron auf dem Laufenden und „stinkwütend“ sei.

Nach einer Umfrage der Zeitung „Le Figaro“ schenken wenige Wochen vor der Wahl zum EU-Parlament nur 26 Prozent der Franzosen Macron ihr Vertrauen. Das hat seine Gründe. In Frankreich ist jetzt die sogenannte „Große Debatte“ zu Ende gegangen, eine Art Bürgerdialog, mit dem Macron versucht, einen Ausweg aus der Gelbwesten-Krise zu finden. Ursprünglich sollte sie schon am 15. März beendet werden, Kritiker werfen Macron nun vor, er habe zwölf Millionen Euro an Steuergeldern missbraucht, um Wahlkampf für seine Regierungspartei „La République en Marche (LREM)“ für die Europawahl zu betreiben. Außerdem seien sowohl die Teilnehmer als auch die Themen dieses Bürgerdialogs vom Élysée-Palast augewählt worden. Nun warten die Franzosen auf Antworten.

Klar ist, dass die Hauptforderungen der Gelbwesten dabei nicht berücksichtig werden. So soll es weder ein „Réferendum d’Initiative Citoyen (RIC)“, ein auf Bürgerinitiativen basiertes Referendum zu nationalen Fragen, noch die Wiedereinführung der sogenannten „Reichensteuer“, „Impôts de Solidarité sur la Fortune (ISF)“ geben. Kritiker bezeichnen die „Große Debatte“ als Augenwischerei und „großes Blabla“. Selbst Premierminister Édouard Philippe warnte bereits vor zu hohen Erwartungen. Dennoch liegt die LREM in Umfragen zur Europawahl mit 23,5 Prozent der Wahlabsichten knapp vor Marine Le Pens „Rassemblement Nationale (RN)“, der ehemaligen „Front National (FN)“ mit 21 Prozent. Es dürfte spannend werden in Frankreich am 26. Mai.

Anti-Randalierer-Gesetz teilweise abgelehnt

In der vergangenen Woche lehnte der Verfassungsrat in Paris das von der LREM auf den Weg gebrachte sogenannte „Anti-Randalierer-Gesetz“, das „Loi Anti Casseurs“, teilweise ab. Zur Begründung sagten die Verfassungshüter, es räume den Behörden zu viel Spielraum bei Demonstrationsverboten ein. Das Gesetz sah vor, dass zukünftig die Präfekten, also der von der Zentralregierung in Paris eingesetzte verlängerte Arm der Staatsmacht, über Versammlungsverbote für Einzelpersonen verfügen können – ohne richterlichen Beschluss. Die Regierung hatte das Gesetz angesichts der Gewalt und des Vandalismus bei manchen Gelbwesten-Protesten einführen wollen. Es bleibt allerdings dabei, dass Vermummte und Organisatoren von nicht genehmigten Demonstrationen demnächst härter bestraft werden können. Wer sein Gesicht verhüllt, muss zukünftig mit einer Strafe von einem Jahr Haft und einer Geldstrafe von 15.000 Euro rechnen. Wer ein Demonstrationsverbot auferlegt bekommen hat und dennoch an einer Kundgebung teilnimmt, kann mit bis zu sechs Monaten Haft und einer Geldstrafe von 7.500 Euro geahndet werden.

Für Kritiker handelt es dabei sich um eine massive Einschränkung der Bürgerrechte. Das alles sind keine guten Nachrichten für Emmanuel Macron. In den vergangenen Monaten häuften sich in der französischen Presse Berichte über den Gesundheitszustand des Präsidenten. Er sei „müde“, heißt es, man sehe ihm an, dass er an Gewicht verloren habe, und er befinde sich in einer Phase des Zweifels. Das liege vor allem an seinem „höllischen Arbeitsrhythmus“. Der ehemalige konservative Präsident Nicolas Sarkozy verstieg sich bei einer Gendenkfeier anlässlich des 75. Jahrestages des Todes von 100 Widerständlern gegen die Nationalsozialisten in Glières in den Hochsavoyen gar zu der Aussage, das werde alles ein „schlimmes Ende“ nehmen. Er verstehe das Chaos nicht, das im Lande herrsche, die Unfähigkeit der Regierung, die öffentliche Ordnung wiederherzustellen. Er bemühe sich zwar, Macron gute Ratschläge zu erteilen, der halte sich aber nicht daran.

Unglückliche Regierungsumbildung

Und dann gab es in der vergangenen Woche noch eine etwas unglückliche Regierungsumbildung. Nach dem Ausscheiden von Regierungssprecher Benjamin Griveaux, der für das Bürgermeisteramt in Paris kandidieren will, ernannte Macron die aus dem Senegal stammende Sibeth Ndiaye zu dessen Nachfolgerin. Die Macron-Anhängerin der ersten Stunde hatte vor allem für Schlagzeilen gesorgt, weil sie einem Journalisten des Wochenmagazins „L’Express“ mitgeteilt hatte, dass sie „lügen würde, um den Präsidenten zu schützen“. Die Europapolitikerin und KZ-Überlebende Simone Veil bezeichnete die 39-Jährige als „Meuf“, frei übersetzt so etwas wie „Tussi“. Ndiaye bestreitet das zwar, der Schaden ist aber angerichtet. Ausgeschieden aus der Regierung ist auch die Ministerin für europäische Angelegenheiten, Nathalie Loiseau. Sie steht nun an der Spitze der LREM-Liste bei der EU-Wahl. Ihr nachgefolgt als Staatssekretärin ist Amélie de Montchalin. Die als streberhaft geltende 33-Jährige steht vor allem wegen ihres harten wirtschaftsliberalen Kurses in der Kritik. „Wir müssen entschlossen gegen die Auswüchse der Gelbwesten-Bewegung vorgehen“, sagte sie in einem Radio-Interview, außerdem war de Montchalin eine der ersten und stärksten Verfechterinnen für die Abschaffung der Reichensteuer, die ISF. Für Ausgleich und Dialog mit den Gelbwesten sorgt das nicht.

In Lyon gehen indes die samstäglichen Proteste der Gelbwesten zu Ende. Die Polizei berichtet von drei vorübergehenden Festnahmen. Die Strategie der Sicherheitskräfte ist aufgegangen, es finden sich lediglich vereinzelt Grüppchen zusammen, von einem geschlossenen Demonstrationszug kann um 18 Uhr nicht mehr die Rede sein. Aber möglicherweise sind die Gelbwesten am kommenden Samstag besser auf die neuen Maßnahmen der Sicherheitskräfte vorbereitet. Auf jeden Fall haben die Gelbwesten bereits zu Akt 22 aufgerufen.