Tichys Einblick
Eurobudget

Gegen Macrons „mehr, mehr, mehr“

Gegen die Achse Berlin–Paris wächst der Widerstand. Kleinere Staaten werden von den großen gern übersehen und wehren sich nun gegen die Zwangsvergemeinschaftung von Schulden, Haftung und Budget. Ein Blick auf das andere Europa: Die Widerspenstigsten sitzen in den Niederlanden.

Peter de Jong/AFP/Getty Images

En marche! Präsident Emmanuel Macron versucht sich, woran Sonnenkönige und Napoleons seit vier Jahrhunderten gescheitert sind, der Einigung Europas unter Frankreich. Dieses Mal kommt die Unterwerfung weder im Namen der Eroberung noch im Namen der Revolution, sondern im Namen der Europäischen Union (EU).

Und wie so oft sind es die Niederländer, die in der Verantwortung stehen, französischen Ambitionen Einhalt zu gebieten.

En marche! Am 19. Juni schritt Monsieur Macron mit einem Ziel ins Schloss Meseberg: die Bundeskanzlerin davon zu überzeugen, Europa in Frankreichs Hände zu übergeben. Merkel unterschrieb, doch sie unterschrieb mit Bleistift. So können Merkels Konzessionen – mehr Geld und Macht für Europa, Schuldenbeteiligung, Europa-Steuern – noch ausradiert werden.

Doch wer steht bereit, sich dem französischen Drang zur Formung Europas gemäß dem eigenen Abbild in den Weg zu stellen? Von den in Europa Regierenden bleiben eigentlich nur zwei: der niederländische Premier Mark Rutte und sein Finanzminister Wopke Hoekstra, der eine ein Liberaler, der andere ein Christdemokrat. Schließlich lehrt die Geschichte, dass es stets die Oranier waren, die Pariser Pläne vereitelten.
Schon Ende des 17. Jahrhunderts hegte Ludwig XIV. europäische Ambitionen.

Versailles, Kriege und europäische Hegemonie waren Ausdrucksformen seiner Macht und des Bedürfnisses, für die dauerhafte Souveränität und Sicherheit Frankreichs zu sorgen. Später sah sich Napoleon in der Tradition des Sonnenkönigs und erklärte sich selbst zum Kaiser. Beide Herren scheiterten bei dem Versuch, Europa mit der Waffe in der Hand zu vereinen – auch um sich gegen echte wie erfundene Feinde abzusichern.

Letzteres strebt auch Macron an. Er spricht von der Souveränität Europas und meint doch Integration nach französischem Vorbild. Er sieht sich in der Tradition seiner monarchischen Vorgänger und strebt nach der Kaiserkrone Europas. Menschen sind halt ein Produkt ihrer Vergangenheit, ganz besonders die Franzosen mit ihrer hervorragenden Geschichtsbildung.

Eine Geschichte zweier Oranier

Doch Macron muss auch wissen, woran seine Vorbilder scheiterten: Wilhelm III. von Oranien-Nassau, Statthalter der Niederlande, schmiedete schon 1672 ein antifranzösisches Bündnis. Zusammen mit zahlreichen, oft zaghaften deutschen Prinzen, die lieber zauderten, als Kanonen sprechen zu lassen, rang er Ludwig XIV. nicht nur dauerhaft die niederländische Unabhängig- keit ab, sondern stieß auch Ludwigs katholischen Bruder vom anglikanischen Thron Englands. So setzte er den Universalansprüchen des Sonnenkönigs ein Ende.

Kaum 150 Jahre später war es wieder ein Niederländer, diesmal Wilhelm II., Prinz von Oranien, der den schwankenden Feldherrn Wellington vor schwerwiegenden Fehlern bewahrte und dadurch die alles entscheidende Schlacht von Waterloo erst ermöglichte. Zwar waren es Wellington und Blücher, Engländer und Deutsche, die den Lorbeer und Triumph ernteten, doch abermals hatten die Niederländer das Funda- ment für den Sieg gelegt.

Wird sich nun, im 21.Jahrhundert, wieder eine solche Allianz finden lassen? Es hat sich in der Welt jedenfalls wenig geändert. Wieder einmal stehen die Niederlande allein da. Umringt von zweifelhaften Verbündeten – dem trägen Michel, dem abgelenkten Beefeater –, kauert der holländische Löwe ängstlich vor dem gallischen Gockel. So schmieden Rutte und Hoekstra eine neue Allianz: Irland, Dänemark, Schweden, Finnland und die baltischen Staaten stehen schon an ihrer Seite, vor Kurzem sind nun Österreich, Belgien, Malta und Luxemburg dazugestoßen. Die Kleinen verbünden sich: jene, die bei einer französischen Dominanz in Europa nur verlieren können.

Nun suchen Rutte und sein Finanzminister deutsche und – solange es noch geht – englische Hilfe. Macrons Verlangen nach „mehr, mehr, mehr“ setzen sie ein vehementes „nein, nein, nein“ entgegen. Deutschland ist am Wanken; der deutsche Michel ist in seiner Selbstzufriedenheit gestört. Manfred Weber, Europaparlamentarier für die CSU und Fraktionsvorsitzender der Europäischen Volkspartei, sprang Rutte am 19. Juni schon zur Seite.

Doch Deutschland ist noch nicht geeint in seiner Meinung: Huldigen seine Politiker öffentlich einer weiter zu vertiefenden Europäischen Union, verzweifeln die Bürger an den Exzessen der Bürokraten. Allmählich kehrt sich die Stimmung um und einige Institutionen respektive ihr Handeln werden auch von Politikern infrage gestellt.

Macron gegen den Peanutbutterman

Merkel scheint zu hoffen, dass sie mit ihren Zugeständnissen gerade genug getan hat, um Macron zufriedenzustellen. Doch insgeheim hofft sie, dass Rutte und Hoekstra mit ihrer Allianz der kleinen Länder die Ergebnisse des Meseberg-Zwischenfalls blockieren werden. Es ist ein gefährliches Spiel, das sie da treibt, ein Tanz auf Messers Schneide: sich öffentlich Frankreich anzudienen und heimlich doch auf das Scheitern der Initiative zu bauen.

Doch Merkel vergisst, dass Frankreichs traditionelles Gegengewicht fehlt: Das Vereinigte Königreich, seit einem halben Jahrtausend Bewahrer des europäischen Gleichgewichts, hat seinen Wachtposten verlassen, beschäftigt sich lieber mit sich selbst als mit dem Kontinent, welchen Großbritannien in seiner Arroganz nun zu vernachlässigen droht.

Nun steht er also fast allein da, der Erdnussbutterfabrikpersonalabteilungschef Rutte. Zwar ist er weder Statthalter noch Prinz und gehört noch nicht einmal dem (deutschen) Hause Oranien- Nassau an. Und doch folgt er ihrem Wahlspruch: „Je maintiendrai“ (Ich werde bewahren). Nun bleibt nur zu hoffen, dass die modernen Wellingtons, die neuen Blüchers ihm auch bald zu Hilfe eilen werden.


Dieser Beitrag ist in Ausgabe 08/2018 von Tichys Einblick erschienen >>