Tichys Einblick
Ex-Frontex-Chef will gegen Lobbies kämpfen

EU-Wahlen: Fabrice Leggeri tritt für das Rassemblement an

Mit einer kleinen Überraschung kann die Partei Marine Le Pens in Frankreich aufwarten: Der vor zwei Jahren von linken Kritikern verjagte Frontex-Chef Fabrice Leggeri wird bei den EU-Wahlen im Juni für das RN antreten. Leggeri hat große Pläne, möchte Frankreich und Europa neu ausrichten und die illegale Migration nach Europa bremsen.

IMAGO

Die Spatzen hatten es schon einige Zeit, fein verhüllt, von den Dächern gesungen: Fabrice Leggeri, der 1968 im elsässischen Mühlhausen geboren wurde und später mehrere Eliteschulen absolvierte, bevor er 1996 ins französische Innenministerin eintrat, würde bei den EU-Wahlen für eine rechtsgerichtete Partei antreten, hieß es. Man durfte höchstens noch raten, ob es das Rassemblement National (RN) oder die Éric Zemmours Partei Reconquête! wurde.

Nun ist es amtlich: Leggeri wird an dritter Stelle auf der Liste des RN antreten. Es ist eine Landung mit Aplomb. Nur ein Listenplatz zwischen Leggeri und dem Partei- und Fraktionschef Jordan Bardella – das zeigt, wie erfreut man in der Partei über den Zugewinn ist. Es ist ein „hübscher Coup“ für den RN, wie der Figaro schreibt. Ein Absolvent der Eliteschulen ENA und ENS, der sich ein Arbeitsleben lang mit Grenzschutzfragen beschäftigt hat, schärft das Wahlprogramm von Marine Le Pen und Bardella und verleiht ihrer Kampagne etwas geradezu Staatstragendes. Dabei spielt kaum eine Rolle, dass Leggeri im linken und linksradikalen Lager – wegen seiner Amtsführung als Frontex-Direktor – umstritten ist. Das geht seinen neuen Parteifreunden nicht anders.

„Unser Ziel ist klar“, schreibt Leggeri auf der Plattform X zu seiner Kandidatur. „Wir wollen die Kontrolle über die Grenzen der Europäischen Union und Frankreichs zurückgewinnen. Das Rassemblement National verfügt über einen konkreten Plan und die nötige Entschlossenheit, um ihn umzusetzen.“ Man müsse die ungebremste illegale Migration bekämpfen, welche die Kommission und die „Eurokraten“ herunterspielen: „Meine Erfahrungen bei Frontex bestätigen diese Tatsache. Es ist an der Zeit, konkrete Maßnahmen zum Schutz unserer Grenzen zu ergreifen.“ In den Wahlen vom 9. Juni sieht Leggeri eine „einzigartige Chance, Frankreich und Europa neu auszurichten“. Man müsse den Franzosen „die Kontrolle über ihre Zukunft“ zurückgeben.

Kampf gegen die Kommission und den „Einfluss der Lobbies“

Zwischen den Zeilen scheint er hier zu sagen, dass es in der EU zu viele Gegner seiner Position des Grenzschutzes gibt und dass er vielleicht auch deshalb als Frontex-Chef verjagt wurde. In seiner neuen Rolle möchte Leggeri die Begrenzungen seiner früheren Ämter überwinden und sich nunmehr politisch für seine Überzeugungen einsetzen. Und noch einen Gegner macht Leggeri aus: den „Einfluss der Lobbies“, der sich nachteilig auswirke. Auch ihm will er mit „politischem Mut“ widerstehen.

Reichlich wirklichkeitsfern ist es, wenn die EU-Linke Manon Aubry behauptet, Leggeri habe Frontex zu einer „Bande von Söldnern“ gemacht, die „bis an die Zähne bewaffnet“ seien und „tausende Flüchtlinge an unseren Grenzen sterben“ lassen. Frontex hatte bisher keine Grenzschutzaufgaben, unterstützte nur nationale Grenzer. Dabei geht es etwa im Mittelmeer auch um Seenotrettung, an der Frontex immer wieder mitwirkt.

Nach Marine Le Pen hat Fabrice Leggeri versucht, „aus Frontex eine Küstenwache zur Kontrolle der illegalen Einwanderung zu machen“. Und genau deshalb sei er von den Ideologen „der Aufnahme von Migranten“ bekämpft worden. Es blieb beim Traum von einer EU-Grenzschutzagentur, die aktiv gegen die illegale Zuwanderung kämpft. Eine Vision, die damals nach dem „arabischen Frühling“, dem Zusammenbruch Libyens und angesichts des Bürgerkriegs in Syrien eine gewisse Plausibilität hatte, aber niemals ernsthaft von den EU-Regierenden verfolgt wurde.

Weiteres Zeugnis einer Annäherung im rechten Lager

Auch Le Pen hatte einst harsche Worte zu Frontex gefunden. Nun schließt sich der einstige Musterschüler des französischen Establishments Leggeri, von Paris im Kampf um seinen Führungsposten verraten, dem Rassemblement an, um politisch für einen Ausbau des EU-Grenzschutzes zu arbeiten.

Am Montag reiste Parteichef Bardella zusammen mit Leggeri in die Grenzregion Alpes-Maritimes, wo es für Frankreich immer wieder um den Schutz seiner Grenzen geht. Zugleich ist die Provence besonders betroffen von der schon langjährigen Präsenz einer nordafrikanischen Minderheit, die noch immer anwächst. So werden auch die langfristigen Probleme der Zuwanderung deutlich. Auf dem Programm stand der Besuch einer Kaserne der Bereitschaftspolizei CRS und zweier Grenzposten in Menton. Das ist nichts Neues. Eine Woche zuvor war der Chef der Républicains, Éric Ciotti, dort zu Besuch. Auch das zeigt, dass sich in Frankreich zwei Blöcke einander annähern: die konservativen Republikaner und das Rassemblement national. In der Mitte zwischen beiden – manchmal auch Ausreißer zur Rechten – steht noch Éric Zemmour mit seiner Reconquête. Leggeris Antritt ist ein weiteres Zeugnis dieser Annäherung auf der Rechten des französischen Parteiensystems.

Dem RN verleiht die Anwerbung Leggeris langfristig eine erhöhte Glaubwürdigkeit, weil ein Mann der Exekutive die Pläne der Partei für machbar hält. Der Zuspruch für die Partei ist auch ohne diesen Faktor schon sehr hoch. In Frankreich hat der RN derzeit die höchste Zustimmung aller Parteien (28 Prozent), während Macrons Renaissance (früher LREM) sich mit 19 Prozent zufriedengeben muss. Es ist ein steiler Aufstieg seit den letzten Wahlen. Eine Umfrage, die erforschte, wen die Franzosen wählen würden, wenn der aktuelle Premier Gabriel Attal gegen Marine Le Pen anträte, ergab sogar eine Wahl Le Pens in der zweiten Runde mit 51 zu 49 Prozent. Gegen den Ultralinken Mélenchon würde Le Pen sogar deutlich siegen (64 zu 36 Prozent). Unentschieden ginge ein Kräftemessen nach derzeitigem Stand gegen den Ex-Premier Philippe aus, der heute die kleine Partei Horizons anführt (50 zu 50 Prozent). Emmanuel Macron darf nicht mehr antreten.

Macron hat nun, auch mit Bezug auf die EU-Wahlen, seine Formulierung wiederholt, dass der RN keinen Platz im „republikanischen Bogen“ habe. Das ist etwa die französische Entsprechung zur „Brandmauer“ in Deutschland. Bezeichnend ist, dass der neue Premier Gabriel Attal sich dieser Linie nicht angeschlossen hat – vielleicht, weil er die Stimmen des RN noch brauchen könnte.

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