Tichys Einblick
Salvini souverän

Diplomatie am Tresen: „Mach Dir keine Sorgen, Angela …“

Giuseppe Conte schmeichelt sich bei Angela Merkel ein - illoyal gegen Matteo Salvini: Dessen Reaktion zeigt, wer in Rom das Sagen hat.

Screenprint: Youtube

Die Kritiken zum Weltwirtschaftsforum in Davos waren nicht so berauschend. Seit Jahren schon erlahmen die Themen, die Ziele und das Interesse etlicher Akteure. Donald Trump selbst schwänzte die Veranstaltung, die trotz VIP-Schwund aber wie gewohnt gut abgesichert wurde von Polizei und Militär. Über 2.500 Personen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sowie aus der Wissenschaft, trafen sich im Kongresszentrum, um über neue Herausforderungen zu diskutieren. Letztendlich aber fanden die Medien ihre Story mit der 16-jährigen Umwelt-Aktivistin „Greta“ (Thunberg).

Höchstwahrscheinlich war die junge Schwedin auch noch später bei den Prominenten und Sich-Wichtigfühlenden der Welt, das Gesprächsthema zu Tisch im Bergrestaurant „Weissfluhgipfel“ des Grandhotel Belvédère.

Ganz sicher aber nicht bei Kanzlerin Angela Merkel, die der Charmeoffensive des italienischen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte nicht widerstehen konnte und von ihm eine Einladung zum „Caffé“ (Espresso) sehr gern annahm. Ganz unkompliziert am Tresen einer Bar. Beide, die Deutsche und der Italiener führten ungezwungen aber nicht ganz unbeobachtet einen politischen Smalltalk zur Lage vor den nächsten Wahlen.

Im italienischen Fernsehen kursierte jüngst ein Handyvideo, das eben diese Szene sehr gut dokumentierte. Trotz hoher Geräuschkulisse in dieser Bar mit Messe-Atmosphäre, konnte man dem Gespräch folgen, und wo der Ton dann doch zu schwach wurde, der Lärmpegel war hoch bei den umstehenden Personen, rekonstruierte ein Lippenleser der Politshow im italienischen Programm („Piazzapulita“, auf La7) eben das Gesagte – und lag wohl auch richtig.

[Hier das Video von Merkel und Conte an der Bar]

Giuseppe Conte, ganz Gran‘ Signore, bestellte der Kanzlerin den heißen Kaffee und nippte selbst am Orangensaft. Direkt zum Punkt kommend, fragte dagegen die Kanzlerin den italienischen Premier, wie es denn momentan mit der „Partei Cinque Stelle“ und der Immigration und Flüchtlingsthematik aussähe?

Und ganz direkt, „worauf lege“ Cinque Stelle ihren Fokus, als Regierungspartei und Koalitionspartner von Matteo Salvinis Lega? Klar, die EU, und allen voran Deutschland und Frankreich zappeln nervös. Die Europa-Wahl steht an, der Brexit zieht sich wie ein zäher Kaugummi, in Polen formiert sich bereits die nächste EU-Austrittspartei. Da käme ein Wahldesaster in Italien gerade ganz schlecht. Giuseppe Conte, der parteilose Ministerpräsident, beugte sich gestikulierend zu Merkel und erklärte ihr die Lage in etwa so: „Momentan sind die Cinque Stelle in einer leidlichen Position, weil…“, und Angela Merkel unterbricht – auf Englisch parlierend – Conte ganz kurz: „… wegen Di Maio?“

Giuseppe Conte winkt ab, und fährt fort mit seiner Erklärung, „…weil die letzten Umfragen zeigen, dass Cinque Stelle gerade im Fallen sind, bei 27 bis 26 % während Salvini auf 35 bis 36 kommt. Und sie fragen sich natürlich, welche sind die Themen und Aufhänger, die uns im Wahlkampf helfen könnten?“

Merkel rührt im Kaffee und blickt in die Tasse, nickt, und zum Thema Immigration und Integration meint Conte: „Hier bestimmt eindeutig Salvini das Thema“, der stehe über allem und der Großteil der Bürger hinter ihm. Salvinis Thema schlechthin. Auch die letzten Daten und Fakten, der gesunkenen Todesraten von Ertrunkenen im Mittelmeer, sie gingen gleich um ein Vielfaches zurück. Kriminelle Zuwanderer würden konsequent abgeschoben, neue Migranten, vor allem Männer aus Afrika, würden kaum noch aufgenommen.

Die Besatzungen der NGO-Schiffe werden nun weit vor den Häfen akkurat überprüft, und die aufgenommenen Migranten erst einmal an Bord versorgt.

Angela Merkel wirkt nachdenklich und fragt, „Also er…“, sie meint wohl Salvini (hier bricht ihre Stimme unverständlich ab, aber aus Contes Ausführungen wird klar, was sie wohl fragte). Giuseppe Conte setzt an, bemüht um Diskretion und Vertraulichkeit: „…Er schließt alles. Da bleibt nicht viel Platz, bei mir ist es aber anders, … erinnerst Du dich an Malta?“, fragt Conte Merkel auf Englisch. Merkel nickt, und Conte erklärt: „…als ich damals in Malta sagte, wir bringen Frauen und Kinder mit dem Flugzeug nach Italien. Juncker wollte es kaum glauben. Ja, aber, sagte Juncker, Salvini macht doch alle Häfen dicht. Und ich antwortete, ja deshalb mit dem Flugzeug…“, schmunzelt Conte, der sich im ganzen Gespräch als Regierungsmoderator und Vermittler zwischen Italien und der EU darstellt.

Besonders als Merkel wegen der Flüchtlinge nachhakt, „ja, aber, ist es wahr…(nehmt ihr sie auf?)“, beruhigt Conte sie fast generös: „Mach dir keine Sorgen, Angela, natürlich nehmen wir sie. Ich bin da ziemlich fokussiert, und wenn ich Schluss sage, hören sie auch auf, darüber zu streiten. Das ist meine Position …“

Danach möchte Merkel nochmals wissen, was denn der Fokus des Koalitionspartners sei. Conte etwas vereinfacht: „Nun, jeder sucht seine Positionen, welche EU-Politik ziehen könnte. Die einen sind gegen Frankreich, sie sagen, Deutschland ist unser Freund, also lasst uns gegen Frankreich eine Kampagne machen …“.

Die Kanzlerin wird emotional, zieht die Augenbrauen hoch und lacht: „Das ist aber wirklich zu einfach.“ Und Salvini? Der ist sicher gegen uns? Und Conte, nun verplappert er sich, einen Tick zu offenherzig: „Salvini ist gegen alle beide …“

Mit dieser Aussage des Premiers wurde Legachef Salvini dann auch prompt konfrontiert. Während sich Conte natürlich in „Silenzio Stampa“ übte (kein Wort zur Presse), gab sich Salvini dennoch kollegial: „Scusi, so schön ist es auch nicht, Dinge von den Lippen anderer abzulesen oder mitzuhören. Giuseppe Conte hat weiterhin mein volles Vertrauen und meine Wertschätzung.“

Außerdem wolle der Minister für Innere Sicherheit und Immigration an dieser Stelle „Kanzlerin Merkel“ etwas beruhigen. Er, Salvini, habe überhaupt nichts gegen Deutschland. Und ganz ehrlich? Habe Salvini die Wahl „zwischen Frankreich und Deutschland – ich würde mich immer für Berlin entscheiden …“, eine Antwort, die eigentlich kein weiteres Nachfragen zulässt. Außer vielleicht, würde sich „la Merkel“ von Salvini auch zum Kaffee einladen lassen?


Giovanni Deriu, Dipl. Sozialpädagoge, Freier Journalist. Seit 20 Jahren in der (interkulturellen) Erwachsenenbildung tätig.