Tichys Einblick
Feuerkopf über alle Gräben hinweg

Der Komponist der Nation: Mikis Theodorakis mit 96 Jahren gestorben

Theodorakis war der bekannteste und der populärste griechische Komponist seiner Zeit, zugleich Widerstandskämpfer und glühender Kommunist. Je älter er wurde, desto mehr sah er die Notwendigkeit, nicht so sehr die eigene Ideologie zu pflegen als vielmehr etwas für sein Land zu tun. Premierminister Kyriakos Mitsotakis verkündete eine dreitägige Staatstrauer für den Vorkämpfer der griechischen Demokratie.

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Mikis Theodorakis, der vielleicht bedeutendste, mit Sicherheit international bekannteste griechische Komponist des 20. Jahrhunderts, ist am Donnerstag in Athen im Alter von 96 Jahren gestorben. Griechenland verabschiedet sich von seinem »Erzengel« Michael, formuliert die Tageszeitung Proto Thema. Fernseh- und Radiosender unterbrachen ihr Programm, um mit seiner Musik an den allseits geachteten Komponisten, Politiker und kritischen Denker zu erinnern.

In der kommenden Woche soll sein Leichnam für drei Tage in der Kathedralkirche von Athen öffentlich aufgebahrt werden, wie die Familie des Musikers mitteilte. Am Donnerstag wird dann die Beisetzung stattfinden. Theodorakis selbst hatte den Wunsch geäußert, in der Gemeinde Galatás auf Kreta beigesetzt werden, wo das Elternhaus seines Vaters steht und auch seine Eltern mit seinem Bruder begraben sind.

Dass Theodorakis bekennender Anhänger der sich selbst immer aufs Neue marginalisierenden Kommunistischen Partei Griechenlands war, hielt im Leben wie im Tode niemanden davon ab, ihm seinen Respekt zu erweisen. Auch nicht den konservativen Premierminister, der nun eine dreitägige Staatstrauer ausrief. Kyriakos Mitsotakis schrieb auf Twitter: »Mikis Theodorakis geht nun in die Ewigkeit ein. […] Ich hatte die Ehre, ihn für viele Jahre zu kennen. Seine Ratschläge waren immer wertvoll, vor allem jene, die die Einheit unseres Volkes und die Überschreitung der trennenden Linien anbetrafen.« Es war vor allem sein Einsatz für die Wiederherstellung der griechischen Demokratie, der Theodorakis zur einheitsstiftenden Figur machte.

Politischer Feuerkopf von Anfang an

Geboren wurde Theodorakis am 29. Juli 1925 auf der Ägäis-Insel Chios. Seine Eltern – der Vater aus Kreta, die Mutter aus dem kleinasiatischen Çeşme – hatten sich kurz vor der »Katastrophe« des dortigen Griechentums (1922) in Kleinasien kennengelernt. Als staatlicher Beamter wurde sein Vater später in verschiedene Provinzstädte versetzt. Die Familie lebte nacheinander in Mytilini auf Lesbos, im nordgriechischen Ioannina, dann vor allem auf der Peloponnes. Schon der siebzehnjährige angehende Komponist solidarisierte sich bei seinem ersten Auftritt mit dem Widerstand gegen die Achsenmächte und von den Italienern festgenommen. Später beteiligte er sich am Bürgerkrieg und wurde auf die Ägäis-Insel Ikaria verbannt. Knapp zwei Jahre später folgte die Amnestie nach Interventionen seines Vaters und Onkels.

Theodorakis studierte Musik und Komposition in Athen und Paris (für kurze Zeit auch bei Olivier Messiaen) und komponierte zunächst vor allem symphonische und Kammermusik. Ab 1960 erneuerte er, nach Griechenland zurückgekehrt, die griechische Lied- und Gesangstradition – vor allem mit Vertonungen berühmter Dichter wie Jorgos Seferis, Odysseas Elytis (»Axion Esti«), oder Jannis Ritsos (»Epitaphios«). Aber auch die neue politische Spaltung, die sich Mitte der Sechzigerjahre in Griechenland ankündigte, ließ ihn nicht unberührt: 1964 wird er Parlamentsabgeordneter für die Vereinigung der demokratischen Linken (EDA). Im selben Jahr erwirbt er sich internationalen Ruhm mit der Musik zum Film »Alexis Zorbas«, darunter der inzwischen zum Klassiker gewordene Syrtaki.

Unter der Diktatur der Obristen wird er erneut inhaftiert, dann unter Hausarrest gestellt und schließlich in ein Lager im nördlichen Attika deportiert. Auf internationalen Druck hin – unter anderem von Dmitri Schostakowitsch, Arthur Miller und Yves Montand – wird er 1970 freigelassen und kann ins Pariser Exil ausreisen. Aus dem Ausland setzte er sich weiter für die griechische Demokratie ein. Seine Lieder wurden auch im Inland zu geheimen Abzeichen dieses Kampfes.

1974 war das Jahr, in dem er nach Griechenland zurückkehrte. Seitdem wuchs sein gesellschaftliches Wirken, das immer politisch blieb, aber dabei nicht in den engen Bahnen der Parteipolitik festhing. Er gründete Komitees für die Förderung der griechisch-türkischen Freundschaft. Den Premiers Andreas Papandreou und Konstantinos Mitsotakis diente er als Botschafter mit gutem Draht zur türkischen Regierung. 1988 organisierte er zwei Friedenskongresse in Köln und Tübingen, an denen neben dem Schweizer Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt auch Oskar Lafontaine und Johannes Rau teilnahmen.

Einsatz für ein freies Griechenland – auch in der Evros-Krise

Das Ausmaß seiner Annäherung an das politische Zentrum zeigte sich 1989, als er zum Ziel der linksterroristischen Bande »17. November« wurde. Ab 1990 arbeitete er mit der konservativen Nea Dimokratia zusammen. 2015 begrüßte er die Wahl von Alexis Tsipras, den er später scharf kritisierte. Die folgenden Jahre sahen weitere politischen Häutungen des Musikers, der sich 2018 für ein einiges, griechisches Makedonien aussprach. Das linke Griechenland und die regierende Syriza-Partei heulten auf: eine nationalistische »Entgleisung«, ein »historischer Fehler« wurden diagnostiziert. Sogar eine »rechtsradikale Färbung« seiner Worte wurde Theodorakis unterstellt. Der bezeichnete die Kritiker daraufhin als seine linken »Nazi-Brüder« und sprach von der Gefahr eines linksgewendeten Faschismus.

Während der Evros-Krise im Frühjahr 2020 stellte sich Theodorakis dann unzweideutig hinter die Verteidigung der nationalen Grenzen gegen die »hybride« Taktik der Türkei, die – nicht erst seit diesem Zeitpunkt – Migranten dabei unterstützte, die EU-Außengrenze illegal zu übertreten. Obwohl seine eigenen politischen Ideen – oder die, denen er folgte – sich nicht immer als mehrheitsfähig erwiesen, war Theodorakis fähig, das größere Ganze zu sehen und auch einen politischen Konkurrenten dort zu unterstützen, wo es dem Gemeinwohl diente. Seinen zuletzt oft linksstehenden Kritikern hielt er entgegen, dass sie offenbar nicht akzeptieren könnten, dass ein alter Kommunist ein so großer Patriot sei.

Als Kommunist wollte er freilich sterben, dieses Glaubensbekenntnis vertraute er dem Vorsitzenden der griechischen KP letztes Jahr als sein Vermächtnis an: Aber nicht so sehr mit seiner »Ideologie« wollte er in Erinnerung bleiben als vielmehr mit seinen »Kämpfen für die Einheit der Griechen«. Am Ende wird er seinen Landsleuten und allen anderen wohl vor allem durch seine Lieder und Gesangszyklen gegenwärtig bleiben, die Schmerz und Trauer mit einer ekstatischen Lebenskraft verbanden. In Griechenland werden die geläufigsten der Lieder bis heute von Alt und Jung mitgesungen.